29.05.2016

Ringier

«Ein kompletter Egoshooter wäre am falschen Ort»

Das Chefredaktoren-Paar von der Dufourstrasse: Iris Mayer und Peter Röthlisberger führen bei «Blick» und «Blick am Abend» rund 260 Leute. persoenlich.com hat das Duo im Newsroom getroffen. Ein Gespräch über verwässerte Verantwortung, das erste Date in Berlin und den Boulevard der Zukunft.
Ringier: «Ein kompletter Egoshooter wäre am falschen Ort»
von Michèle Widmer

Frau Mayer, Herr Röthlisberger, die SRF-«Arena» will den «Blick»-Chefredaktor in die Sendung einladen. Wem von Ihnen beiden muss Jonas Projer die Einladung schicken?
Peter Röthlisberger: In die «Arena» geht der, der nicht in den Ferien ist (lacht). Im Ernst: Wir können das gut miteinander ausmachen. In diesem Fall käme es auf das Thema an. Iris ist sehr kompetent in In- und Aussenpolitik. Würde ein urschweizerisches Thema auf dem Programm stehen, wäre wohl eher ich der richtige Gast.

Aber wer vertritt die «Blick»-Produkte gegen Aussen?
Iris Mayer: Wir beide, und dies mit verschiedenen Eigenschaften. Das Arbeitsvolumen ist so gross und so vielfältig, dass es nicht den einen grossen Zampano gibt, der immer alles weiss und alles kann. Journalistische Arbeit ist Teamwork und das fängt in der Chefredaktion an. Auch der Rest des Hauses funktioniert ähnlich. Es gibt viele Co-Leitungen auf Ressortebene.

Durch diese Co-Leitungen verwischt doch die Verantwortung.
Röthlisberger: Man kann es auch anders sehen. Im Team zu einem guten Ergebnis zu kommen, ist viel anspruchsvoller, als alles mit dem eigenen Ego durchzuziehen. Verantwortung tragen wir beide gleichermassen. Sie lässt sich nicht delegieren. Und auch wichtig: Wir leiten zusammen vier grosse Produkte. Das wäre allein gar nicht machbar.
Mayer: Wenn jemand ein kompletter Egoshooter ist, ist er in einer Doppelführung sicherlich am falschen Ort. Sich gegenseitig auf dem neuesten Stand zu halten, braucht viel Disziplin.  

Und bei welchem Büro klopfen die Mitarbeiter an, wenn sie ein Problem haben oder Inputs brauchen?
Röthlisberger: Bei dem, der da ist. Büros haben wir keine. Aber man trifft uns im Newsroom. Wir informieren uns dann gegenseitig.
Mayer: Dieses Spiel «Ich kläre das lieber mit Peter, oder doch lieber mit Iris» spielen wir nicht. Und das haben wir von Anfang an klar gemacht.

Wie haben Sie beide sich eigentlich kennen gelernt?
Röthlisberger:
«Blick»-Geschäftsführer Wolfang Büchner sagte mir, dass er eine Frau in Deutschland kenne, mit der ich zusammen gut die Chefredaktion des Blick-Desks bilden könnte. Also bin ich quasi für ein Blinddate nach Berlin geflogen. Beim gemeinsamen Abendessen haben wir rasch gemerkt, dass wir die journalistische Welt ähnlich sehen.

Welche Fragen kamen bei diesem ersten Date auf den Tisch?
Röthlisberger: Wie nimmst du die Schweiz wahr? Wie siehst du die Situation der Syrienflüchtlinge? Was ist für dich eine gute Boulevardgeschichte? Oder: Wie gehst du mit Menschen um?
Mayer: Wieviel Staat braucht die Politik? Oder: Wie sieht für dich der Boulevard der Zukunft aus?

Sie hatten beide alles Interesse daran, sich gut zu verstehen. Sie wollten ja schliesslich den Chefredaktoren-Posten.
Röthlisberger: Das schon, aber nicht um jeden Preis. Wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, hätte Wolfgang eine andere Konstellation suchen müssen.
Mayer: Hätte es nicht gepasst, hätten wir es beide nicht gemacht. Ich gehe nur eine Doppelspitze ein, wenn ich mich mit dem anderen Part gut verstehe. Das funktioniert nur mit Vorschussvertrauen und der Bereitschaft sich einzulassen.

Das klingt alles sehr harmonisch. Bei welchen Themen waren Sie sich uneins, und wer hat sich durchgesetzt?
Mayer: Komplett uneinig waren wir uns wirklich noch nie.
Röthlisberger: Es wäre kein Erfolgsrezept, wenn wir untereinander oftmals Auseinandersetzungen hätten.

Frau Mayer, Sie teilen sich Ihre Stelle mit jemandem, der bereits seit Jahren für das Unternehmen tätig ist. Hat Sie das nicht abgeschreckt, als Sie angefragt wurden?
Mayer: Ich sehe das eher als Pluspunkt. Mich hat die Grundidee dieser Doppelspitze überzeugt. Man wollte beim «Blick» Prozesse aufreissen und inhaltlich einen anderen Schwerpunkt setzen. Dafür holt man jemanden Neues, der das Ganze mit der Aussenperspektive betrachtet und tut ihn mit jemandem zusammen, der die politischen Gegebenheiten im Land, im Haus sowie die Kollegen kennt. Wenn sich die beiden in der Richtung einig sind, ist es eine Win-win-Situation.

Wie teilen Sie sich Ihre Aufgaben im Alltag auf?
Mayer: Einer von uns ist immer als Desk-Chef im Tagesgeschäft im Einsatz, da teilen wir uns tageweise auf. Zudem haben wir in den letzten Wochen oftmals das Blattmachen beim «Blick» übernommen. Ist einer von uns nicht im Tagesgeschäft eingebunden, kümmert er sich um strategische, längerfristige Aufgaben.
Röthlisberger: Wir sind ja beide auch mit dem grossen Relaunch der digitalen Kanäle befasst. Dieser soll in den nächsten Monaten vonstatten gehen.

Was können die Leser da erwarten?
Röthlisberger: Im Mobilen liegt die Zukunft. Auf diesen Geräten wird «Blick» dann ganz anders aussehen. Wir wollen einen zeitgemässen Auftritt realisieren, an dem sich andere Medienhäuser in Bezug auf Design, Umsetzung und den technischen Features orientieren werden.

Wie weit ist das Projekt fortgeschritten?
Mayer: Zusammen mit Digital-Chef Juan Baron und Geschäftsführer Wolfgang Büchner haben wir in den letzten Wochen die Design- und Entwicklungsvorschläge internationaler Agenturen begutachtet. Da stehen wir kurz vor der Vergabe. Danach geht die Entwicklungsarbeit los.

Immer wichtiger wird Bewegtbild. Wo steht der «Blick» in diesem Bereich und wo will er hin?
Röthlisberger: Wir haben derzeit 20 Leute im Videobereich. Sie produzieren serielle Formate, aktuelle Beiträge, Reportagen, streamen live und arbeiten an längerfristigen Projekten. Vor allem im Sport setzen wir stark auf Videos. Generell sehen wir im Bewegtbild viel Potenzial.

Wolfgang Büchner hat den Newsroom des Blick völlig neu organisiert. Wo ist man heute aufgrund der Umstrukturierung wirklich besser als zuvor?
Röthlisberger: Wir können Geschichten viel besser über die verschiedenen Kanäle spielen. Früher hatte jeder Chefredaktor den Auftrag für seinen Titel das Beste rauszuholen. Diese chinesischen Mauern haben wir durchbrochen. Die Story steht jetzt im Vordergrund.

Frau Mayer, Sie sind von der Deutschen Presse-Agentur hinzustossen. Die DPA macht alles andere als Boulevard.
Mayer: Man kann das machen, was man immer schon gemacht hat, oder man macht mal was anderes. Im Übrigen beliefern Nachrichtenagenturen auch Boulevardmedien und müssen diesen Ansprüchen gerecht werden.

Wolfgang Büchner hat Sie damals von Focus Online zur DPA geholt, und nun zum «Blick». Sind Sie wegen dem «Blick» hier oder wegen Wolfgang Büchner?
Mayer: Wegen dem Job. Ich fand es sehr spannend bei einem Projekt mitwirken zu können, bei dem man alles auf den Kopf stellt. Bei dem aber auch schon extrem viel Gutes da ist.

Der Printtitel kämpft mit stark sinkenden Leserzahlen - minus sechs Prozent im letzten halben Jahr. Wie wollen Sie den Sinkflug bremsen?
Röthlisberger: Der Verlust beim Print ist ja nicht allein unser Problem, sondern jenes aller Medienhäuser. Wir versuchen mit einer anderen inhaltlichen Ausrichtung die Leserzahlen zu stabilisieren, sind dabei aber realistisch. Es geht ja nicht nur um Print, wir setzen stark aufs Digitale und wollen die gesamte Marke attraktiv für die nächste Generation machen. Dazu gehört auch ein ernsthafterer Ansatz. Wir setzen stärker auf Relevanz und harte Themen.

Das Beispiel Rupperswil zeigt aber etwas anderes.
Röthlisberger: An dieser schrecklichen Geschichte kam kein Medium vorbei, wir als Boulevardmedium schon gar nicht. Wenn Sie sich die letzten Wochen anschauen, werden Sie aber sehr viel mehr politische und wirtschaftliche Themen auf der Titelseite finden.
Mayer: Und nicht nur das, wir haben bei einer Reihe von Themen die politische Agenda bestimmt. Nehmen Sie den Fall Parmelin. Es war der Blick, der den privaten Interessenkonflikt des Bundesrates aufdeckte und thematisierte. Nehmen Sie die Kontroverse um minderjährige Flüchtlinge, die der Bund systematisch zu 18-Jährigen macht und so leichter ausschaffen kann, auch das hat der «Blick» aufgedeckt.

Wie sieht denn der «Blick» der Zukunft aus?
Mayer: Der «Blick» ist im Kern ein Boulevardmedium. Das heisst heute aber etwas anderes als vor 20 Jahren. Wir ignorieren grosse politische Debatten nicht, sondern stecken viel Energie rein, um sie auf unsere Art zu erzählen.
Röthlisberger: Unsere Daseinsberechtigung für die Zukunft ist die Reduktion von Komplexität. Wir müssen Geschichten herunterbrechen, so dass sie jeder versteht. Für uns ist das schwieriger, weil wir dies mit den Mitteln des Boulevardjournalismus tun und am Schluss die Fakten stimmen müssen. Der «Blick» stand schon immer extrem im Fokus der Öffentlichkeit und unserer Journalisten-Kollegen.

Inwiefern beeinflusst die Vermarktungsfirma von Ringier mit der SRG und der Swisscom die Berichterstattung beim «Blick» über die beiden Allianzpartner?
Röthlisberger: Es gab bei uns bisher intern keinerlei Interventionen bei Berichten über Swisscom oder die SRG. In erster Linie sind wir Journalisten, die gute Geschichten machen wollen.

Über die Sendung «Bachelorette» zum Beispiel, berichtet der «Blick» bei dieser Staffel weniger als früher. Das Format wird vom Admeira-Konkurrent Goldbach vermarktet.
Röthlisberger: Natürlich lebt Boulevard auch von Fernsehgeschichten. Aber wir fahren einen ernsthafteren Kurs, da müssen wir die «Bachelorette» nicht in aller Tiefe ausloten.



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