07.07.2009

"In einer Rezession spielen Familienwerte eine zentralere Rolle"

Heute Mittwoch nimmt ein ehrgeiziges Web 2.0 Projekt seinen Betrieb auf. familienleben.ch heisst die Plattform und richtet sich an Familien. Hinter der Lancierung stecken die beiden bekannten New-Media-Spezialisten Andreas Waldis und Johannes Hummel. Die ehemaligen Ringier-Manager wollen mit ihrer Idee den Schweizer Family-Markt erobern. Das könnte ihnen auch gelingen, denn alle wichtigen Familieninstitutionen unterstützen das Projekt. Im Gespräch mit "persoenlich.com" legten die beiden Familienmenschen ihren Plan auf den Tisch. Das Interview:
"In einer Rezession spielen Familienwerte eine zentralere Rolle"

Herr Hummel, Herr Waldis, Sie starten die Familien-Plattform familienleben.ch. Warum?

Herr Hummel, Herr Waldis, Sie starten die Familien-Plattform familienleben.ch. Warum?

Hummel: Es gibt in der Schweiz noch kein Medium, das modernen Familien vollumfänglich gerecht wird. Die Familie als Institution hat sich wie gesagt weiter entwickelt, die Medien sind dieser Entwicklung und den daraus resultierenden medialen Bedürfnissen allerdings nicht gefolgt. Es ist ein Fakt, dass heute jede zweite Ehe geschieden wird. Es ist auch ein Fakt, dass viele Familien neue Strukturen den alten vorziehen. Mit familienleben.ch wollen wir eine generationenübergreifende Plattform aufbauen, die der jetzigen Familiensituation gerecht wird. Diese Sichtweise der Familie teilen wir im übrigen mit den relevanten Verbänden. Alle wichtigen Familien-Institutionen wie Pro Familia, pro Juventute, Pro Infirmis und dem Schweizerischen Verband alleinerziehender Mütter und Väter (SVAMV) unterstützen uns, was in der Schweiz wohl einzigartig ist.

Sie wollen die Familien übers Internet erreichen. Kommen diese im Web zu kurz?

Hummel: Wir denken schon. Die Platzhirsche machen zweifellos gute Arbeit im Print, im Onlinebereich sind sie mit ihren traditionellen Webseiten eher schwach auf der Brust. Moderne Schweizer Familien haben heute im Internet kein zu Hause. Wir wollen dies ändern.

Wann kamen Sie beide auf die Idee, eine solche Plattform ins Leben zu rufen?

Hummel: Die Idee entstand bereits vor drei Jahren am Rande eines Kongresses in München. Dort wurde eine schwedische Familienplattform vorgestellt, die im Forumsbereich sehr stark ist. Jeden Tag werden sage und schreibe 7000 Einträge veröffentlicht. Die Leute tauschen sich zu allem aus.

Waldis: Wir sagten uns, dass wir etwas in dieser Art auch in der Schweiz aufgleisen sollten. Bald darauf begannen wir zu recherchieren, veranstalteten Workshops und trafen Medienspezialisten und Familienmenschen, um das Potential abzuschätzen. Zu unserem Erstaunen stiess die Idee auf grosses Interesse. Auch der Werbemarkt äusserte sich durchs Band extrem positiv. Ich begleitete schon viele Medienprojekte, aber bei keinem war das Feedback auf Anhieb so gut.

Auf was führen Sie das positive Feedback im Werbemarkt zurück?

Hummel: Es gibt verschiedene Gründe: Erstens sind Familien eine wichtige Zielgruppe geworden. Viele Entscheidungen werden am Familientisch getroffen. Immer mehr Firmen beschäftigen daher inzwischen Familien-Segmentmanager, die sich speziell mit dieser Zielgruppe beschäftigen. Zweitens bieten wir sehr interessante Werbeformen an, die weit über Display hinausgehen. Nicht nur in der Rezession, aber gerade dann suchen Firmen nach neuen innovativen wegen der Ansprache.

Warum sollen sich Familien ausgerechnet auf familienleben.ch organisieren?

Waldis: Es gibt ein starkes Bedürfnis nach der klassischen Medienleistung, nämlich gut recherchierten Informationen. Das ist unbestritten. Es gibt aber auch ein Bedürfnis nach intermedialem Austausch. Nehmen wir die "Spielplatzgespräche" als Beispiel. Die sind unheimlich wichtig, um sich zu organisieren. Hoch relevante Tipps, Empfehlungen und "Familien-Best-Practice" werden unter Familienmenschen ausgetauscht. Das zeigt auch die Plattform in Schweden. Auf Google können Sie zwar alles Mögliche zum Thema Familie finden, entscheidend ist aber der Austausch untereinander. Denn niemand weiss soviel über die Familie wie die Familie selbst. Weiter bieten wir viele familienrelevante Services an wie eine Waren- und Jobs-Börse oder die Möglichkeit, andere Familien mit ähnlichen Interessen zu finden.

Interessant ist das Geo-Tagging, welches Sie anbieten. Erklären Sie uns das.

Hummel: Viele Probleme einer Familie lassen sich im Prinzip mit einer Karte lösen. Wo finde ich die nächsten Spielplätze an meinem Ferienort, an welches Ausflugsziel gehe ich mit meinem Göttikind oder wo gibt’s ein kinderfreundliches Schwimmbad? Deshalb bieten wir ein Kartentool an, wo die User in rund 30 verschiedenen Kategorien familienrelevante "Point of Interests" finden. Inzwischen haben wir knapp 4000 Geopunkte eingetragen. Meines Wissen haben wir somit auch die umfangreichste Freizeit-Datenbank der Schweiz.

Haben Sie alles selbst recherchiert?

Hummel: Nein. Einen Teil haben wir erfasst, einen weiteren Teil stellen uns die Kantone zur Verfügung. Aber es kontaktierten uns schon jetzt Leute, die uns nun freiwillig unterstützen. Wir haben zum Beispiel einen Burgen-Fan, der jedes Wochenende eine Burg besucht und für uns Einträge schreibt. Ein anderer erfasst Schwimmbäder. Zukünftig kann jeder User Einträge machen oder bestehende Einträge bewerten. Ein derartiges Teilen von Erfahrungen ist ein ganz wichtiges Element auf unserer Plattform.

Familien sind im Prinzip schon genug mit dem Bewältigen des Alltags gefordert. Bleibt da wirklich noch Zeit, um auf familienleben.ch aktiv zu sein?

Hummel: Wir staunen ja selbst immer wieder, wie intensiv die Familien im Internet unterwegs sind. Aber es besteht eben in dieser Lebensphase ein grosses Mitteilungs- und Informationsbedürfnis. Wir nennen das "Spielplatzgespräche". Viele Familien engagieren sich ja ohnehin schon in vielen Breichen ehrenamtlich.

Waldis: Die Frage ist sicher berechtigt. In erster Linie machen wir das, was alle Medien machen: Themen setzen und eine Art Wegweiser spielen. Um jedoch im Segment der Familien erfolgreich zu sein, reicht das allerdings nicht. Man kann den Familien nicht einfach nur die Welt erklären. Die wissen am besten, wie diese funktioniert. Sie wollen sich aber austauschen und von den Erfahrungen anderer profitieren. Dass dies funktionieren kann, zeigt die schwedische Plattform, die uns auf die Idee brachte und auch andere Beispiele in europäischen Märkten.

Sie sind beide ausgewiesene New-Media-Spezialisten. Herr Waldis, Sie haben sogar mit der Mitmachplattform Youme.net von Ringier Erfahrungen sammeln können. Was braucht es, um User an eine Web 2.0 Plattform zu binden?

Waldis: Mehrwert, der in erster Linie mit gutem Journalismus und relevanten Services zu Stande kommt. Er entsteht aber auch im Austausch mit vielen interessanten Leuten. Und man muss sinnvolle Entscheidungshilfen anbieten. Da wären wir beim Stichwort Geo-Tagging.

Nun gibt es viele Konkurrenten. Krankenkassen wie beispielsweise die Sanitas werben aktuell mit der Retro-Familie Huber für Ausflugstipps. Wo ist familienleben.ch die berühmte Nasenlänge vorn?

Hummel: Es gibt tatsächlich viele Plattformen und Unternehmen, die uns in Teilbereichen konkurrenzieren. Ein grosses Differenzierungsmerkmal ist aber sicher unsere Ganzheitlichkeit. Wir versuchen alle Facetten zum Thema Familien abzudecken. Ein weiteres ist die Verbindung von Inhalten und Services sowie die starke Betonung der Interaktion zwischen Familien.

Bewirtschaften nur Sie beide die Plattform?

Waldis: Nein. Wir können auf ein grosses Freelancer-Netzwerk zählen. Zudem haben wir eine Redaktion, die sich um die um die gut recherchierten Inhalte kümmert. Zudem haben wir die wichtigsten Familienverbände als Partner am Bord: Pro Familia, Pro Juventute, Pro Infirmis. Diese haben ein grosses Kommunikationsbedürfnis und spannende Inhalte. Wir bieten ihnen ein mediales Sprachrohr.

Wie finanziert sich die Plattform?

Waldis: Ausschliesslich über Werbung. Jedoch nicht allein über Display-Werbung. Affiliate-Marketing, Kooperationen und Sponsoring sind auch ein wichtiges Thema. Wenn der Markt reif ist, werden wir uns sicherlich noch mit Sonderwerbeformen wie Videoads und Geomarketing beschäftigen.

Was sind die Ziele auf Ende Jahr?

Hummel: Wir wollen ganz klar die Nummer eins werden im Markt. Und ich glaube auch, dass wir das erreichen.

Und in Zahlen?

Waldis: Ende Jahr wollen wir 500'000 Page Impression aufweisen. Das ist vorsichtig gerechnet und durchaus im realistischen Bereich. Um das Ziel zu erreichen, sind wir eine Medienpartnerschaft mit "20minuten.ch" eingegangen. Wenn wir gut arbeiten, sind wir im Familiensegment Ende Jahr führend, wenn man uns mit den klassischen Angeboten vergleicht.

Abschlussfrage: Hätten Sie sich nicht lieber einen anderen Zeitpunkt für die Lancierung ausgesucht?

Hummel: "Die Zukunft war früher auch besser" sagte schon Karl Valentin. In einer Rezession spielen Familienwerte eine zentralere Rolle. Insofern ist der Zeitpunkt richtig. Kommt hinzu, dass Werbetreibende in solchen Zeiten nach neuen Möglichkeiten suchen. Und so viele Gespräche mit spannenden Leuten wie jetzt hatten wir noch nie.

Waldis: Wir waren beide lange genug Berater um zu wissen, wie schnell man von seiner eigenen Faszination geblendet werden kann. Als alte "Frontgurgel" kann ich aber sagen, dass die bisherigen Reaktionen im Markt sehr gut waren, was uns in unserem Vorhaben bestärkt. Sicher gibt es einfachere Jahre für einen Startup im Medienbereich. Wir haben das allerdings kalkuliert.

(Interview: Christian Lüscher)

familienleben.ch soll ein digitaler Tummelplatz für Familien werden:



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