02.05.2017

SGKM

Innovation, Datenjournalismus und die Macht von Algorithmen

Mit klaren Strukturen und interdisziplinären Teams können Medien erfolgreich innovativ sein. Und: Nur bei finanzieller Unabhängigkeit von Verlagshäusern kann der Journalismus überleben. Das sind zwei provokative Positionen, die an der diesjährigen SGKM-Tagung diskutiert wurden.
SGKM: Innovation, Datenjournalismus und die Macht von Algorithmen
Diskutierten über Medien und Bildung (v.l.): Ernst Hafen, Gilles Marchand, Hanna Muralt, Edzard Schade, Per Bergamin und Christian Glahn. (Bild: zVg.)

«Innovation als Herausforderung» lautete das Tagungsthema der diesjährigen Konferenz der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM), wie es in einer Mitteilung heisst. 120 Fachleute nahmen daran teil.

In ihrer Keynote «Raum für Chaos schaffen: Innovationsmanagement in Medienunternehmen» zeigte Christina Elmer (vgl. Bild unten), seit März 2017 Mitglied der Spiegel-online-Chefredaktion, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen auf, wie solche Projekte glücken können: «Innovation braucht im Chaos klare, Strukturen.» Es brauche Ideengeber, interdisziplinäre Teams, einflussreiche Paten in der Geschäftsleitung – aber auch die klare Fokussierung auf die Interessen und Wünsche der Nutzer. Erfahrungsgemäss könnten von hundert Ideen vielleicht zehn weiterverfolgt und vielleicht eine umgesetzt werden. «Es braucht deshalb Raum für glückliche Zufälle», so Elmer.

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«Welche Infrastruktur braucht der Journalismus, damit eine neue, vielfältige digitale Medienlandschaft entstehen kann?» fragte Hansi Voigt (vgl. Bild unten), ehemaliger Chefredaktor der Online-Redaktion von «20 Minuten» und Gründer des Newsportals «Watson», in seinem Eröffnungsreferat. Seit April 2016 arbeitet er als selbständiger Medienberater und Entwickler neuer Projekte.

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Dass der Journalismus in Bedrängnis sei, bezweifele in der Branche heute niemand mehr, auch wenn die Prognosen unterschiedlich düster ausfallen würden, so Voigt. Er ist laut Mitteilung ausserdem überzeugt, dass der Journalismus in Zukunft nur bestehen könne, wenn er von der finanziellen Abhängigkeit der Verlagshäuser gelöst werde. Die «Republik» des Project R, die seit Mitte letzter Woche dank Crowdfunding gestartet werden konnte, sei für ihn ein Hoffnungsschimmer.

Papersessions, Workshops, Tech-Shows

An der zweitägigen Konferenz vom 27. bis 28. April präsentierten die Kommunikations- und Medienwissenschaftler Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen Bereichen: Organisationskommunikation, Publikums- und Medienforschung, Innovation und Qualität, Theorie und Geschichte sind nur einige Forschungsfelder, in denen sie tätig seien. Es gab zehn Papersessions, ein Nachwuchs-Panel sowie zwei Praxisworkshops. Parallel dazu wurden neue Dimensionen der Medienwelt präsentiert: «Drohnen und Aero-Journalismus», «Hologramme» und «Makerspace».

Medien und Bildung: Diskussionsforum mit neuem SRG-Generaldirektor Gilles Marchand

Als wichtiges Forum zeigte sich laut Mitteilung der Praxisworkshop «Personalisierung und Individualisierung von Bildungsangeboten». Auf dem Podium diskutierten Gilles Marchand, der ab 1. Oktober SRG-Generaldirektor wird, Ernst Hafen, Studiendirektor Departement Biologie an der ETH Zürich, Per Bergamin, Leiter Forschungseinheit Fernstudium und E-Learning an der Fernfachhochschule Schweiz, und Christian Glahn, Leiter Blended Learning Center an der HTW Chur (vgl. Bild unten). Geleitet wurde das Podium von Hanna Muralt Müller, Vizepräsidentin der Schweizerischen Stiftung für audiovisuelle Bildungsangebote, und Edzard Schade von der HTW Chur.

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Kontrovers diskutiert wurde dabei über die Chancen und Risiken von personalisierten Bildungsdaten, welche zum Beispiel Studierende als digitale Spur im Laufe ihres Studiums in Online-Lernplattformen hinterlassen. Einerseits seien durch eine Auswertung solcher Daten mit Hilfe von «Learning Analytics» Rückschlüsse auf individuelles Lernverhalten möglich, welche wertvolle Hinweise für Verbesserungen des Lernprozess geben würden. Andererseits würden sich aber auch wichtige Fragen nach dem Datenschutz und der Privatsphäre stellen, welche zur Forderung geführt hätten, dass jede und jeder ein Kopie seiner personalisierten Bildungsdaten erhalten sollte.

Datenjournalismus und die Macht von Algorithmen

Auf grosses Interesse stiess der Workshop «Science meets Practice» vom vergangenen Freitag über Datenjournalismus. «Das ist wie Sex an der Uni – alle sprechen darüber, wenige machen es, und noch weniger machen es gut», erwähnte Colin Porlezza in Anlehnung an ein Bonmot, das in seinem Forschungsbereich häufig zu hören sei. In der Schlussdebatte wurde «The power of algorithms» thematisiert. Einig waren sich laut Mitteilung Michael Latzer (Universität Zürich), Judith Möller (School of Communication Research, Amsterdam), René Pfitzer (Datenwissenschaftler, NZZ), Jens Kaessner (Telecom-Jurist Bundesamt für Kommunikation Bakom) und Urs Karrer (Digital Consultant IBM Schweiz), dass die Auswirkungen von Algorithmen auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Gegebenheiten riesig sind. Und dass die Datenmengen (Big Data), die wir alle täglich bewusst und unbewusst generieren würden, nur mit der konsequenten Nutzung von Algorithmen geordnet und einigermassen bewältigt werden könnten.

Edda Humprecht von der Universität Zürich (vgl. Bild unten) wurde für ihre Präsentation über «Neue Typen von Onlinemedien» mit dem Best Paper Award ausgezeichnet.

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Studierende (vgl. Bild unten) des Bachelorstudiengangs Multimedia Production der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur begleiteten die gesamte Tagung multimedial auf Facebook, Twitter & Co unter dem Hashtag #SGKM2017. Sie seien dafür besorgt gewesen, dass sich die Teilnehmenden auf dem Weg zu den verschiedenen Hotspots der Tagung problemlos zurechtgefunden hätten.

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Der geschäftliche Teil der SGKM-Generalversammlung fand am Donnerstag, 27. April, im Hauptgebäude von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) statt. Dabei stellte sich auch die Universität Lugano USI vor, an der die nächste SGKM-Konferenz am 12./13. April 2018 stattfinden wird. (pd/tim)



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