25.11.2010

"Man schickt Geld zu Tamedia und hinten raus kommt Information"

Stefan M. Seydel darf man im Schweizer Web-Kosmos ruhig einen Kult-Blogger nennen. Während Jahren sorgte er mit seinen provokativen und pointierten Beiträgen auf Rebell.tv für Dampf in der hiesigen Blogospähre. Ende Jahr nun gibt der Web-Aktivst auf. Grund: Der vife Medienmacher findet keinen Sponsor mehr. Im Interview mit "persoenlich.com" zieht der Rebell mit der Kamera ein Fazit. Von den Medienunternehmen in der Schweiz hält er wenig. Das Interview:
"Man schickt Geld zu Tamedia und hinten raus kommt Information"

Herr Seydel, seit 15 Jahren sind Sie im Netz als Blogger und Webaktivist tätig. Mit rebell.tv haben Sie sich in der Bloggerszene ein Denkmal gesetzt. Warum ist jetzt Schluss?

Aus finanziellen Gründen. Daniel Model hat uns während den letzten Jahren unterstützt, das war sensationell. Es ist uns leider nicht gelungen, neue Investoren zu finden, um rebell.tv weiter fortzuführen.

Weshalb wollte niemand investieren?

Es ist ein Projekt, das nicht darauf aus ist, möglichst viele "Klicks" zu generieren. Da ist es immer schwierig, einen Geldgeber zu finden.

Was ist denn der Zweck von rebell.tv?

Rebell.tv ist ein multimedialer Zettelkasten. Gebe ich zum Beispiel das Wort Medium ein, finde ich im Nu alle meine Gedanken, die ich zu diesem Begriff festgehalten habe. Und nicht nur meine Gedanken. Es verknüpft meinen Zettelkasten im Web mit den Zettelkasten von anderen. Wenn ich also eine Beobachtung mache zu einem Thema, hat vielleicht ein anderer bereits eine andere Beobachtung dazu notiert, die dann gleich verlinkt wird.

Der Blog als Forschungsprojekt?

Ja genau.

Und was sind die Forschungsziele?

Als Sozialarbeiter erforsche ich soziale Fragen: Wie kommunizieren Menschen miteinander und wie wirkt sich diese Kommunikation in der Gesellschaft aus. Ich wollte herausfinden, was das Internet mit mir und meinen Ablagen macht. Ich war selbst erstaunt, weil ich plötzlich alles ins Web setzte. Rebell.tv bewegt sich in vier Feldern: Kunst, Wissenschaft, Politik und Ökonomie.

Wem würden die Forschungsresultate etwas bringen - sprich wer hätte Ihrer Meinung nach in das Projekt investieren sollen?

Bedarf an einer Investition hätten insbesondere die Medienhäuser, denn dort klappt das System als erstes zusammen. "20 Minuten" ist ein gutes Beispiel. Das ist einfach kein Journalismus sondern nur Werbung. Man schickt Geld zu Tamedia und hinten raus kommt Information. So geht das nicht mehr lange weiter. Der Berufsstand und die Medienhäuser unterhölen sich selbst. Und das wissen sie sogar selbst, deshalb rennen alle weg und wollen zu was anderem werden. Zum Beispiel einem Unterhaltungskonzern. Sie glauben selbst nicht mehr an sich. Wir sind davon ausgegangen, dass es im deutschsprachigen Raum noch Unternehmen gibt, denen gute Information noch etwas bedeutet und die etwas dafür tun wollen. Wir sind überzeugt, dass wir mit unserer Forschung Methoden entwickeln hätten können, die hier Lösungen gebracht hätten.

Rebell.tv ist also gescheitert. In welchem Zustand ist die Blogszene Schweiz?

Die beobachte ich nicht wirklich. Aber ich befürchte, dass das gleiche geschieht, wie früher mit dem Radio: Eine grossartige Technik ist verkommen zu einer Distributionsmaschine.

Was ist denn schief gelaufen?

Die Kapitalisierung ist nicht gelungen. Ich habe schon vor vielen Jahren gesagt, dass der Konflikt zwischen Journalisten und Bloggern Unsinn ist. Wir befinden uns in derselben schwierigen Situation. Was funktioniert sind Formate wie Blocher TV. Das hat aber mit Journalismus nichts zu tun, sondern ist PR-Fernsehen. Das ist legitim.

Bloggen kann jeder. Wie steht es da um die Glaubwürdigkeit?

Wichtig ist, dass man erkennt, mit was man es zu tun hat. Ich schreibe anders, je nachdem, ob ich ein Buch, einen Zeitungsartikel oder auf einen Einkaufszettel schreibe. Geht es um einen gut durchdachten und recherchierten Bericht oder um eine erste spontane Gedankenäusserung? Deshalb schreibe ich im Blog immer unter die Beiträge, dass es sich hierbei um einen Zettelkasten und keinen Subtraktionsblog handelt. Wenn ich für den Zettelkasten schreibe, denke ich nicht an mögliche Leser.

Was ist denn ein guter Blogbeitrag?

Ein guter Blogbeitrag ist einer, der zum einen möglichst viele Links und zum anderen möglichst ausgewogen verlinkt ist nach innen, das heisst auf Einträge, die ich schon zu einem Thema gemacht habe, und nach aussen, zu Beiträgen, die jemand anderes zu diesem Thema erstellt hat.

Andere Blogger zielen im Gegensatz zu Ihnen darauf ab, die Aufmerksamkeit möglichst vieler Leser zu erreichen.

Das ist auch gut so. Ich habe mich immer für Räume stark gemacht, die nicht so kontrolliert sind. Freiräume, in denen man auf andere Art und Weise etwas ablegen oder schreiben kann. Räume, in denen man mit einer Kamera herum rennen kann, ohne dass jemand gleich meint, man wolle ins Fernsehen oder mache Fernsehen.

Was bleibt übrig von rebell.tv?

Die beiden Bücher, "Die Form der Unruhe", die wir verfasst haben.

Der zweite Band ist soeben erschienen. Um was geht es genau?

Wir versuchen zu zeigen, wie man mit Informationen umgehen kann unter der Bedingung, dass diese im Internet ständig unterlaufen werden. Unter anderem geben wir fünf Handlungsanweisungen, wie man Informationen ablegen kann. Den geplanten dritten Band können wir nun leider nicht verwirklichen.

Interview: Corinne Bauer

http://rebell.tv; http://dfdu.org



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