11.12.2016

Medienpranger.ch

Mit Glitzer gegen Sexismus

Das Watchblog Medienpranger.ch hat am Wochenende einen «Blick»-Artikel zum sexistischsten Text des Jahres gekürt. Die Redaktion erhält einen goldenen Tampon. Wer steht hinter dieser Auszeichnung? persoenlich.com hat die drei Frauen getroffen.
Medienpranger.ch: Mit Glitzer gegen Sexismus
Die Aktivistinen Salome, Anne-Sophie und Jessica mit den Köpfen der Cartoonfiguren aus «Powerpuff Girls»: Buttercup, Bubbles und Blossom. (Bild: zVg.)
von Claudia Maag

Wer sie wohl sind? Am Telefon hiess es: «Wir sind ganz normale junge Frauen.» Der Geräuschpegel in einem Café im Zürcher Kreis 5 ist hoch. Kurz schweift der Blick durch das Lokal, doch schnell wird klar, welche Ecke das Ziel ist. Nicht, weil klischierte optische Vorstellungen von Feministinnen erfüllt worden wären, sondern weil links vom Eingang zwei moderne Frauen mit wachem Blick sitzen.

Medienpranger.ch ist eine Aktion des feministischen Kollektivs aktivistin.ch und kritisiert anhand konkreter Beispiele sexistische Berichterstattung. Bei aktivistin.ch formte sich eine Arbeitsgruppe (AG), die hinter dem Blog steht. In dieser AG sind drei Frauen aktiv.

Sie stellen sich mit Vornamen vor. Anne-Sophie hat blonde Locken und ein selbstbewusstes Auftreten. Die Thunerin ist Journalistin. Jessica ist 30-jährig und Ethnologin sowie Sozialarbeiterin. Sie hat schulterlanges braunes Haar und wirkt bedachter. Die dritte im Bunde, Salome, auch Sozialarbeiterin, ist beim Treffen nicht dabei. Zwei der Gründungsmitglieder sind parteilos, die Dritte möchte ihr «Anliegen nicht auf eine Partei reduziert sehen».

Glitzergrüsse von den Medienprangerlis

Während des Gesprächs bleibt bei der Zuhörerin ein ambivalentes Gefühl zurück. Einerseits sind die Frauen sehr engagiert, gebildet, argumentieren sachlich. Zwischendurch wird jedoch klar, dass sie ganz anders auf das Thema sensibilisiert sind als die Meisten. Manchmal freuen sie sich auf fast schon kindliche Weise oder nehmen sich selbst auf die Schippe. Ihre Signatur, in E-Mails und auch in Kommentaren auf dem Blog, lautet: «Glitzergrüsse, die Medienprangerlis». Ob sie sich damit einen Gefallen tun, sei dahingestellt.

Auf der anderen Seite wirken sie komplett abgeklärt, wenn sie über Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen sich im Internet erzählen – allerdings eher im Zusammenhang mit aktivistin.ch. Dennoch sollen ihre Gesichter auf dem Gruppenfoto für diesen Beitrag (s. oben) nicht zu erkennen sein. «Wir zeigen unsere Gesichter nicht, weil es nicht um uns geht, sondern um die Sache», heisst es später auf Nachfrage per E-Mail.

Einsendungen auch von Männern

Gab es einen Aha-Moment, worauf sie medienpranger.ch lancierten? «Es gab keinen besonderen Artikel, bei dem wir fanden, das geht gar nicht», sagt Anne-Sophie. Auf die Frage, warum denn kein Mann dabei sei, antwortet sie: «Grundsätzlich ist die AG für alle offen, wir haben einfach noch keinen Mann gefunden, der das machen möchte.» Jessica ergänzt: «Wir haben schon viele Einsendungen von Männern erhalten und diese auch veröffentlicht.»

Die Kriterien, nach welchen sie die Texte auswählen, seien ganz klar: «Wenn Frauen oder Männer auf ihr Geschlecht reduziert und somit diskriminiert werden». Sie seien sich auch schon uneins gewesen, erzählt Anne-Sophie. Doch generell seien sie sich einig: Sexismus und sexualisierte Gewalt seien alltäglich. Nicht nur auf blick.ch und 20min.ch, sondern auch im «Tages-Anzeiger» oder der NZZ.

Keine systematische Auswertung

Gemeinsame Sitzungen mit einer systematischer Auslegeordnung und Auswertung gibt es allerdings nicht. «Ja, das kann man kritisieren. Aber wir finden, es ist vielleicht gar nicht schlecht, konzentrieren wir uns auf die grossen Medienhäuser. Diese haben eine extreme Reichweite und können somit auch grösseren Schaden anrichten», findet die 27-Jährige. «Ich fände es super, wenn es noch mehr Einträge geben würde», ergänzt Jessica. Aber so viele Ressourcen hätten sie halt nicht. «Darum sind alle Leute eingeladen, uns Beispiele zu schicken», so die Zürcherin.

Von der Zusammensetzung her sind sie nicht nur des Geschlechts wegen weniger repräsentativ, wie sie es gerne hätten. Anne-Sophie: «Das ist uns mega bewusst. Mehrheitlich sind wir schon Personen aus der weissen Mittelschicht, gut gebildet und meistens städtisch.»

Stereotypen engen beide Geschlechter ein

Sie hätten auch Beiträge, bei denen sie fänden, deren Stereotypen engten beide Geschlechter sehr stark ein. «Diese Stereotypen führen dann beispielsweise dazu, dass Männer einen extremen Druck haben, eine Familie zu ernähren. Die Selbstmordrate ist hoch, die meisten Terroranschläge werden von Männern verübt. Wir sind überzeugt, dass dies ein Problem von Sexismus ist», so die Thunerin.

Die Journalistin sagt über sich selbst: «Ich bin ja so ein bisschen die Nestbeschmutzerin. Auch ich habe schon sexistische Berichte geschrieben und erst später ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass das nicht okay ist.» Die Journalisten, respektive die Medien, würden hier eine «wahnsinnige Verantwortung» tragen.

NZZ-Altherrn «ans Bein pissen»

Ihren Einfluss auf die Debatte schätzen sie so ein: «Über uns ist berichtet worden, der Tagi hat Artikel auch schon angepasst», so Anne-Sophie. Beispielsweise habe der «Tages-Anzeiger» nach ihrer Kritik nicht nur über die Badimütter, sondern auch die Badiväter geschrieben.

«Und der Journalist Rainer Stadler hat sich in seinem NZZ-Medienblog über uns aufgeregt. Wir finden, wenn wir so einem NZZ-Altherrn ans Bein pissen können... ich finde, wir können sehr viel bewirken.» Als Antwort auf seine Kolumne hätten sie eine Replik veröffentlicht, auf die er allerdings nicht reagiert habe.

Rainer Stadler erinnert sich. «Ja, sie hatten mich als Sexisten bezeichnet», sagt er auf Nachfrage von persoenlich.com. Sie hätten offenbar eine andere Weltsicht. «Ich möchte sie nicht bekehren.» Zur ausgebliebenen Reaktion äussert er sich so: «Mein Beitrag wurde nicht einmal verlinkt. Ich erkannte keinen Grund zu antworten.»

Wer sich so exponiert, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, muss natürlich mit negativen Reaktionen rechnen. Die beiden lassen sich jedoch nicht beirren. «Aus unserer Sicht müssen wir trotzdem sagen: ‹We don’t care›», sagt Anne-Sophie. Etwas entspannter sieht es Jessica: «Meiner Erfahrung nach gibt es aber auch viele Männer, die sich an diesen Sachen genauso stören wie wir.» Dass durch das Blog eine Männer-Frauen-Feindschaft entstehen könnte, befürchtet die Zürcherin nicht.


Auf dem Watchblog medienpranger.ch wurde bis Samstag, 10. Dezember über den «sexistischsten Artikel des Jahres abgestimmt (persoenlich.com berichtete). Der Gewinner wird zwar auf dem Blog nicht offiziell verkündet, aber als das Voting um Mitternacht endete, hatte der «Blick»-Artikel über Steffi Buchli die Nase vorn. Am 16. Dezember wird der goldene Tampon der Redaktion übergeben.



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Medien Pranger, 12.12.2016 19:31 Uhr
    Liebster Nico. Jetzt machen wir mal Folgendes: Du gehst zurück in deine Höhle, googlest Sexismus und kommst wieder, wenn du weisst, wovon du sprichst. Gut? Schön. Und PS: Wenn du dich (oder deine Geschlechtsgenossen) so angegriffen fühlst, liegts vielleicht an dir. Lieber Robert: Das haben wir uns allerdings auch überlegt! Es gibt ja auch Frauen, die aus diversen Gründen keine Tampons benutzen, etc. Wir haben den Tampon gewählt, weil er für die meisten etwas Unangenehmes, Schambehaftetes ist - quasi als Zeichen. Und weil wir ihn als Symbol mögen. Das kann man aber durchaus kritisieren. Immerhin ist er ein «weibliches» Objekt und wir haben auf dem Pranger auch Artikel aufgelistet, die Männer auf ihr Geschlecht reduzieren.
  • Hannah Lilith Müller, 12.12.2016 12:17 Uhr
    Wenn ich kollektivistisch und identitär dächte wie diese „Aktivistinnen“, dann müsste ich mich als Frau fremdschämen für solche Frauen. Die „Aktivistinnen“ haben mit der Befreiung der Frau nichts mehr zu tun, ihr Wirken beschränkt sich ausschliesslich darauf Männer zu hassen. Und das erst noch aus der feigen Anonymität heraus. Keine dieser Frauen hat Rückgrat, hinzustehen. Darum nimmt sie auch niemand ernst. Worauf sich die feigen „Aktivistinnen“ freilich wieder empören, dass man sie „als Frau“ weniger ernst nimmt. Ich erachte es als unprofessionell, dass „Persönlich“ Leuten eine Plattform bietet, die zu feige sind, ihr Gesicht zu zeigen und mit ihrem Namen hinzustehen.
  • Robert Tobler, 12.12.2016 11:34 Uhr
    Ist die Auszeichnung nicht diskriminierend gegenüber Frauen, die keine Tampons mehr brauchen?
  • Nico Herger, 12.12.2016 10:01 Uhr
    "Dem NZZ-Altherrn ans Bein pissen" - das ist natürlich überhaupt nicht sexistisch. Aber frau darf das, denn sie ist "jung, gut ausgebildet und Mittelstand". Man staunt immer wieder, wie wichtig sich solche Loserinnen nehmen, die mit "wachem Blick" die (Männer-)Welt überwachen. Blockwächterinnen - wie damals in der DDR und heute noch in Kuba. Doch, das brauchts auch hier.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240424