09.02.2016

Quellenschutzdebatte

Peter Hartmeier antwortet Medienethiker Vinzenz Wyss

Vinzenz Wyss hatte den «Tages-Anzeiger» kritisiert, der in seinem Politblog die anonymen Äusserungen eines «Zürcher Polizisten» abgedruckt hatte – zum Missfallen des langjährigen «Tages-Anzeiger»-Chefredaktors Peter Hartmeier.
Quellenschutzdebatte: Peter Hartmeier antwortet Medienethiker Vinzenz Wyss

Der Medienprofessor und seine Standards

Von Peter Hartmeier*

Selbstverständlich muss über die Veröffentlichung des anonymen Polizistenblogs des Tages-Anzeigers diskutiert werden – gerade in der aufgeputschten Atmosphäre der Abstimmungskampagne. Anonyme Beiträge, deren Autoren nur die Redaktion kennt, sollten ausschliesslich in Ausnahmefällen publiziert werden. Die Diskussion darüber muss aber auf einem entsprechenden Niveau geführt werden – sowohl medienhandwerklich als auch ethisch. Medienprofessor und Medienethiker Vinzenz Wyss hat mit folgendem erstaunlichen Satz dem «Tages-Anzeiger» das Recht abgesprochen den Blog anonym zu veröffentlichen: «Ein einzelner Polizist kann vielleicht seinen Berufsalltag schildern, er kann aber nicht verlässliche Aussagen über hochkomplexe statistische Verfahren machen», persoenlich.com berichtete.

Welche Botschaft verkündet der Medientheoretiker mit diesem Satz? Was suggeriert er damit? Im Klartext spricht Vinzenz Wyss mit diesem Satz Berufsmännern und - frauen (in diesem Fall Polizisten) Reflexionsfähigkeit über die eigene Tätigkeit ab; ebenso sind gemäss Wyss Polizisten unfähig, ihren beruflichen Alltag zu beobachten. Wyss fordert stattdessen «hochkomplexe statistische Verfahren», welche Polizisten überfordern. Wie sähen Medien mit Wyss als Redaktionsverantwortlicher aus? Alltagsbeschreibungen von betroffenen Menschen wären mit seiner Dogmatik gar nicht mehr möglich. Eine der zentralen Aufgabe des Journalisten-Berufs, Menschen zu Wort kommen zu lassen, könnte nicht mehr erfüllt werden

 Ich vermute, dass Herr Wyss diesen Satz so formuliert hat, weil ihm jegliche publizistische Erfahrung und jeder Praxisbezug fehlt: Meines Wissens hat er sich nie als Journalist, Blattmacher oder gar als Redaktionsverantwortlicher bewähren und durchsetzen müssen. Das Beiwort «Medien-Ethiker» wirkt nach der Lektüre dieses Satzes schal: Über die eiskalte Arroganz, die in seinem Satz zum Ausdruck kommt, möchte ich mich aber nicht äussern. Jedenfalls entspricht er nicht meinem Werte-System.

*Peter Hartmeier, Publizist und Berater, Partner von Lemongrass Communications AG Zürich; ehemaliger Kommunikationschef UBS Schweiz und früherer Chefredaktor des «Tages-Anzeigers».



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