15.03.2017

Schweizer Presserat

Quelle anonymer Briefe muss geprüft werden

Ein anonymes Schreiben darf nur dann publiziert werden, wenn der Redaktion die Urheberschaft bekannt ist. Der Presserat heisst eine Beschwerde gegen ticinonews.ch gut. Eine weitere Beschwerde gegen «10vor10» wurde abgewiesen.
Schweizer Presserat: Quelle anonymer Briefe muss geprüft werden
Entschliesst sich eine Redaktion zur Publikation eines anonymen Briefes, soll sie im Artikel angeben, dass ihr die Namen der Verfasser bekannt sind, schreibt der Presserat. (Bild: Christian Beck)

Das Tessiner Onlineportal ticinonews.ch hätte bei der Veröffentlichung eines anonymen Briefs, die Urheberschaft detailreicher darstellen müssen. Dies hat der Schweizer Presserat gerügt. Er hiess zugleich eine Beschwerde der Tessiner Sektion des Journalistenverbandes Impressum gut, wie er am Mittwoch mitteilte. Der vom Presserat beanstandete Brief geht auf das Frühjahr 2016 zurück: Damals sorgten die Entlassungsmethoden beim Radio und Fernsehen der italienischen Schweiz (RSI) für Schlagzeilen.

Das Onlineportal ticinonews.ch hatte in diesem Zusammenhang einen Artikel mit dem vollständigen Wortlaut eines anonymen Briefs veröffentlicht. Gemäss der Stellungnahme des Schweizer Presserats war der Brief von «anonymen RSI-Journalisten» unterzeichnet. Im Brief forderten sie den Rücktritt des RSI-Managements um Direktor Maurizio Canetta, weil das Unternehmen nur so seinen guten Ruf wiederherstellen könne.

Journalistenverband reichte Beschwerde ein

Die Associazione Ticinese dei Giornalisti (ATG) reichte nach der Publikation des Briefs Beschwerde ein – bei ihnen handelt es sich um die Tessiner Sektion des Journalistenverbands Impressum. Ticinonews habe Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, hiess es auf Seiten von ATG. Diese Ziffer verlangt, dass nur Informationen und Dokumente zu veröffentlichen sind, deren Quellen bekannt sind.

Der Presserat teilte diese Einschätzung und hiess deshalb die Beschwerde gut. Ob die Redaktion von ticinonews.ch die Autoren des anonymen Briefes kenne, sei dabei nicht abschliessend zu beantworten.

Der Presserat hält jedoch fest, dass die lapidare Stellungnahme, man habe die Quelle wie üblich auch in diesem Fall überprüft, nicht ausreichend sei. Wenn sich eine Redaktion entschliesse, nach sorgfältiger Prüfung der Quelle einen anonymen Brief zu publizieren, dann solle sie im Artikel angeben, dass ihr die Namen der Verfasser bekannt seien.

Auch bei Wahrung der Anonymität müssten relevante Merkmale «bis zur Grenze der Identifizierbarkeit» offengelegt werden, so der Presserat. Denn wenn die Leserschaft nicht erfährt, wer und wie viele Verfasser hinter einem anonymen Brief stehen, kann sie weder seine Echtheit noch seine Bedeutung beurteilen.

Das zur MediaTI-Holding gehörende Onlineportal ticinonews.ch hatte sich dagegen auf den Standpunkt gestellt, dass unter gewissen Umständen die Publikation eines anonymen Schreibens gerechtfertigt sei – insbesondere dann, wenn die Urheber bei namentlicher Nennung Opfer von Vergeltungsmassnahmen wie etwa einer Entlassung werden könnten.

Die Beschwerdegegnerin hielt es ausserdem «aus ethischer Sicht für gravierend», dass der ATG-Präsident, von dem die Vorwürfe mitgetragen wurden, Angestellter der RSI sei und wiederholt für den attackierten RSI-Direktor Partei ergriffen habe.

Filme kamen nicht von Islamisten

Zudem hat der Schweizer Presserat eine Beschwerde gegen einen Beitrag der Nachrichtensendung «10vor10» des Schweizer Fernsehens abgewiesen. Ein Zuschauer hatte den Beitrag «Syrische Regierung setzte Chlorgas ein» vom 31. August 2016 bemängelt: Die eingespielten Filmsequenzen über die Opfer der Giftgasangriffe vom März 2015 stammten seiner Meinung nach von einer Medienanstalt der terroristischen Nusra-Front. Das schloss der Zuschauer aus den links oben im Bild zu sehenden arabischen Signeten.

Die Redaktion von «10vor10» konnte jedoch gegenüber dem Presserat überzeugend nachweisen, dass die Videosequenzen nicht von der radikalislamistischen Nusra-Front kamen, sondern einerseits von lokalen syrischen Anbietern, andererseits von den zivilen Helfern der Organisation Weisshelme. SRF belegte zudem, dass es die Herkunft der Filmbilder und deren Glaubwürdigkeit sorgfältig geprüft hatte. Trotzdem teilt der Presserat die Kritik des Beschwerdeführers in einem Punkt: Die arabischen Signete sagten wohl den wenigsten Zuschauern etwas. Ein knapper, klarer Hinweis zur Herkunft der Filmsequenzen hätte dem Publikum gedient. (sda/ots/cbe)



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