07.06.2018

Tamedia

Reaktionen auf das Aus von Print-«Le Matin»

Gewerkschaften zeigten sich «empört». Bundesrätin Leuthard sieht eine mögliche Antwort auf neue Gewohnheiten.
Tamedia: Reaktionen auf das Aus von Print-«Le Matin»
«Le Matin» soll künftig nur noch in einer Online-Version erscheinen. (Bild: Keystone/Valentin Flauraud)

Für Bundesrätin Doris Leuthard stellt der Entscheid von Tamedia, die gedruckte Tageszeitung von «Le Matin» zugunsten einer Online-Version einzustellen, eine mögliche Antwort auf die geänderten Kundengewohnheiten dar. «Es wird interessant sein für uns zu beobachten, ob dieser Wechsel eine langfristige Lösung darstellt», sagte die Medienministerin am Donnerstagabend in der Sendung «Forum» des Westschweizer Radios RTS. Möglicherweise könnten andere Zeitungen von diesen Erfahrungen profitieren.

«Die Westschweizer Presse sei nicht gefährdet, aber die Vielfalt sei kleiner», stellte die Bundesrätin weiter fest. «Ich kann niemanden zwingen, eine Zeitung zu abonnieren.» Die Entlassungen seien für die betroffenen Personen natürlich schwierig. Für Leuthard könnte das neue Mediengesetz Antworten auf die Schwierigkeiten der Presse geben. Aber die Instrumente seien durch die Verfassung sehr beschränkt. «Wir haben nur die indirekte Presseförderung, und das wird sich nicht ändern», sagte Leuthard weiter.

Opfer von Überangebot

Das Verschwinden der Printausgabe von «Le Matin» sei die logische Folge eines medialen Überangebots, sagt der Medienexperte Philippe Amez-Droz. Er sei überzeugt, dass Tamedia alles versucht habe, den Titel zu halten. Die Einstellung des gedruckten «Le Matin» sei bedenklich, hielt der Forscher am Medialab der Universität Genf am Donnerstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone_sda fest. «Ein wichtiger Player im Beizenleben verschwindet.»

Wirtschaftlich gesehen aber gebe es nichts zu rütteln. Das Scheitern des «Matin du Soir», die anhaltenden Verluste der orangen Tageszeitung und der dramatische Rückgang der Werbeeinnahmen hätten das Schicksal des gedruckten «Matin» besiegelt. «Tamedia hat alles versucht, davon bin ich überzeugt», sagte Amez-Droz.

Für den Medienwissenschaftler ist das Angebot schlicht zu gross: «Die Westschweiz zählt 15 Titel für 1,8 Millionen Einwohner, gegenüber einem einzigen Titel für acht Millionen Einwohner in der französischen Region Rhône-Alpes.» Es bereite Mühe, diese Realität nach so vielen Jahren Luxus zu akzeptieren. Aber die wirtschaftliche Realität obsiege.

Gewerkschaften: «Leichenbestatter»

Die Mediengewerkschaft Syndicom und der Journalistenverband Impressum zeigen sich empört über die angekündigte Einstellung der Printausgabe von «Le Matin». Das Zürcher Verlagshaus Tamedia benehme sich wie der «Leichenbestatter» der Pressevielfalt in der Westschweiz. Syndicom und Impressum fordern, dass Tamedia auf den Entscheid zurückkommt.

Das Verlagshaus müsse sich an der Suche nach einer Lösung zur Rettung der beliebten Tageszeitung beteiligen und Entlassungen vermeiden. Als Quasi-Monopolist habe Tamedia eine spezielle Verantwortung gegenüber den Leserinnen und Lesern, aber auch gegenüber den Mitarbeitende.

«Verarmung der Information»

Die Waadtländer Regierungspräsidentin Nuria Gorrite zeigte sich am Donnerstag betroffen. Die Exekutive werde um eine Unterredung mit der Chefetage von Tamedia ersuchen, sagte sie zur Nachrichtenagentur Keystone_sda. Tamedia – ein Unternehmen, das Gewinne schreibe – ziehe den Stecker bei einem beliebten Zeitungstitel, einer der letzten überregionalen Tageszeitungen der Romandie. «Wir stellen eine Konzentration von Zeitungstiteln, eine immer schwächer werdende Sensibilität gegenüber der Romandie und eine Verarmung der Information fest.»

SP wirft Tamedia Profitdenken vor

Die Einstellung des gedruckten «Le Matin» zeige, dass «reines Profitdenken Gift für die Schweizer Medienvielfalt» sei, sagt die SP Schweiz. Besonders in der Romandie erweise sich jeder weitere Abbau verheerend für eine vielfältige Medienlandschaft mit hoher Qualität.

Tamedia habe die «nächste Bombe in der Schweizer Medienlandschaft platzen» lassen, heisst es in einem SP-Communiqué vom Donnerstag. Die Romandie verliere eine der wenigen verbleibenden Tageszeitungen und 41 Mitarbeitende stünden ohne Job da. Gleichzeitig weise das Medienunternehmen für das vergangene Jahr einen Gewinn von 170 Millionen Franken aus.

«Tamedia verfolgt dabei ein reines Profitdenken und betrachtet den Journalismus als Verlustgeschäft», schreibt die SP Schweiz. «Das stellt eine gefährliche Entwicklung für den Qualitätsjournalismus und die vierte Gewalt in unserer Demokratie dar», lässt sich der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer im Communiqué zitieren.

Weiter heisst es in der Mitteilung, die dramatische Situation verleihe der Forderung der SP neue Dringlichkeit, auch für die gedruckte Presse im neuen Mediengesetz Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen. Aebischer kritisiert, das Beispiel «Le Matin» mache noch einmal deutlich, dass der Journalismus nicht einfach ein Marktgut sei, das dem Gutdünken eines profitorientierten Konzerns überlassen werden könne. (sda/wid/cbe)

 



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Kommentare

  • Roland Jäger, 08.06.2018 08:21 Uhr
    Profitdenken. Wie böse! Wie kann man Profitdenken als Vorwurf betrachten? Profitabilität ist die Grundlage für Investitionen und somit für ein nachhaltiges Bestehen eines Unternehmens. Was wünscht sich die SP konkret? Eine Non-Profit Organisation, die Journalismus betreibt? Oder noch besser: einen vom Staat kontrollierten Verlag, der mit Steuergelder finanziert wird?
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