04.12.2017

No Billag

Schon wieder Kritik an der «SonntagsZeitung»

57 Prozent würden die No-Billag-Initiative zum jetzigen Zeitpunkt annehmen. Mit diesem Umfrageergebnis sorgte die SoZ am Wochenende für Wirbel. Denn: Über 65-Jährige sowie der Kanton Tessin wurden nicht berücksichtigt. Die Zeitung gesteht zumindest zum Teil Fehler ein.
No Billag: Schon wieder Kritik an der «SonntagsZeitung»
Die Initiative gibt bereits vier Monate vor der Abstimmung stark zu Reden: Regieaufnahmen aus der «Arena»-Senung zu «No Billag». (Keystone/Ennio Leanza)
von Marius Wenger

Am Sonntag präsentierten die «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» Umfrageergebnisse, denen zufolge die No-Billag-Initiative heute deutlich angenommen würde. Die zugrundeliegende Studie von Marketagent.com Schweiz hinterlässt beim genaueren Betrachten aber mehr Fragen als Antworten. Der Politologe Mark Balsiger, Kampagnenkoordinator des Vereins «Nein zum Sendeschluss», bezeichnet die Studie in einem Blog-Post als «unseriöse Pfuscharbeit».

Es ist bereits die zweite von der SoZ veröffentlichte Studie innert kurzer Zeit, die Kritik auslöst (persoenlich.com berichtete). Damals bemängelte Vinzenz Wyss die Interpretation einer Studie über die politische Einstellung von Journalisten, die der ZHAW-Medienprofessor selber verantwortete.

Im aktuellen Fall schreibt die SoZ, es handle sich bei der Studie um eine «repräsentative Onlinebefragung bei Stimmberechtigten». Die Autoren vergassen jedoch zu erwähnen, dass keine Personen über 65 Jahren befragt wurden – dabei weist gerade diese Altersgruppe in der Schweiz oftmals die höchste Stimmbeteiligung vor. Ebenfalls in der Studie nicht berücksichtigt – und in der SoZ nicht erwähnt – wurden die Tessiner. Im Zusammenhang mit No Billag besonders heikel, da die italienischsprachige Schweiz am meisten von der Gebührenfinanzierung profitiert – und darum ein anderes Stimmverhalten als in der Restschweiz keine Überraschung wäre.

«Das war ein Fehler»

In Bezug auf den fehlenden Hinweis gesteht Armin Müller, Mitglied der gemeinsamen Chefredaktion von SoZ und Tagi, zumindest zum Teil Fehler ein: «Im Print-Beitrag fehlt der Hinweis auf den Umfrage-Steckbrief, das war ein Fehler», sagt er auf Anfrage von persoenlich.com. Über den abgedruckten Link wäre der Steckbrief hingegen zu finden gewesen. Man kann sich nun fragen, ob die journalistische Sorgfaltspflicht erledigt ist, wenn der Leserschaft über Verlinkungen die Möglichkeit gegeben wird, Aussagen in ihre richtige Relation zu stellen.

Dass eine Mitberücksichtigung der fehlenden Gruppen das Umfrageergebnis wesentlich verändert hätte, glaubt Müller nicht: «Die Stichprobe ist repräsentativ für die stimmberechtigte Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren in der deutschen und welschen Schweiz», sagt er. Man könne sich darüber streiten, wie stark ein Einschluss der über 65-Jährigen das Resultat beeinflusst hätte. Um den Ja-Anteil unter 50 Prozent fallen zu lassen, müsste sich das Abstimmungsverhalten der über 65-Jährigen sehr stark von jenem der 50- bis 65-Jährigen unterscheiden. Und: Auch der Einbezug des Tessins hätte von ihrem Gewicht her die Resultate nur wenig beeinflussen können.

SoZ fasst keine Abstimmungsparolen

1010 Personen nahmen an der Umfrage teil. In der Auswertung wurden jedoch nur diejenigen berücksichtigt, die angaben, «bestimmt an der Abstimmung teilzunehmen», was gemäss Müller ein gängiges Verfahren sei. Dies waren 648 Personen. Viel zu wenig, meint Mark Balsiger: «Erfahrene Schweizer Meinungsforscher wie Michael Hermann mit Sotomo oder das Duo Lucas Leemann und Fabio Wasserfallen machen bei Online-Umfragen Samples mit mindestens 10'000 Personen.» Gemäss Müller sehe der Verband Schweizer Markt- und Sozialforschung bei politischer Forschung eine Probandenzahl von 1000 Personen vor, um Repräsentativität gewährleisten zu können.

Mit Leemann/Wasserfallen arbeiten auch «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» in Abstimmungsumfragen üblicherweise zusammen, die SoZ sei dabei jedoch nicht beteiligt, so Müller.

Angefragt zur Haltung der SoZ in der aufgeheizten No-Billag-Debatte sagt Müller: «Die ‹SonntagsZeitung› fasst keine Abstimmungsparolen und bestimmt auch keine Redaktions-Haltungen zu Abstimmungsvorlagen. Der ‹Tages-Anzeiger› hat die Abstimmung in der Redaktion noch nicht durchgeführt, wird dies aber noch tun.»



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Kommentare

  • Kurt Heller, 06.12.2017 12:31 Uhr
    Jenseits jeglicher Professionalität in Umfrageforschung und Journalismus. Billige Meinungsmache! Unehrlich! Absichtliche, bewusste Beeinflussung des Stimmverhaltens. Dass sich ein Marktforschungsinstitut dafür hergibt eine solche unprofessionelle Studie ohne die (relevanten) über 65-järhigen und ohne den Tessin zu machen, müsste eigentlich auch die Branchenorganisation VSMF auf den Plan rufen.
  • Ueli Custer, 05.12.2017 14:59 Uhr
    Es ist schon ziemlich unverfroren, wenn die SZ jetzt behauptet, das Weglassen des Stammpublikums der SRG-Sender habe keinen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis. Damit beweist die SZ lediglich, wie wichtig solid finanzierter Journalismus ist. Wenn nämlich genügend Geld zur Verfügung gestanden hätte, hätte man die Umfrage nicht nur im Rahmen eines Omnibus machen müssen. Mit dem Ergebnis einer derart falsch angelegten Studie eine Titelgeschichte zu machen ist schlicht und einfach grobfahrlässig. Immerhin dürften jetzt alle vernünftig denkenden Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gemerkt haben, wie wichtig ihre Stimme sein wird.
  • Marc Wilmes, 05.12.2017 14:42 Uhr
    Das ist genau der Beweis warum es wichtig ist, unabhängige und seriöse Medien zu haben. Die Initiative muss abgelehnt werden sonst diktieren ein paar wenige Millionäre die Meinungsbildung in der Schweiz.
  • Nico Herger, 05.12.2017 10:37 Uhr
    Herr Widmer: Sollten Ihre Behauptungen zutreffen, sind es eher Argumente für ein Ja zur Initiative. Der Kt. TI hat ca. 350'000 Einwohner, davon sind 27% Ausländer. Die Zahl der Stimmberechtigten liegt demzufolge viel tiefer, und selbst bei einer Stimmbeteiligung von 70% hätte das Tessin nur einen sehr geringen Einfluss auf das gesamtschweizerische Ergebnis. Es ist auch nicht einzusehen, warum die Jüngeren den Radio-/TV-Konsum der über 65-J. subventionieren sollten. Dies bedeutete ja, dass die SRG ein Auslaufmodell ist. PS: Es gibt übrigens im Tessin bereits heute Privatradio und -TV (Tele Ticino).
  • Pascal Senti, 05.12.2017 10:30 Uhr
    Nachhilfe für die SonntagsZeitung in Sachen eigenem Berufsverständnis: Sie fasst zwar keine Abstimmungsparolen, aber sie gibt politischen Extrempositionen etwas gar viel Beachtung, weil sie weiss, dass diese Aufmerksamkeit erzeugen (wie genau dieses Beispiel beweist) und diese Aufmerksamkeit wiederum Werbegelder bringt. So macht die Kommerzialisierung des werbefinanzierten Journalismus gerade ganz viele Ideen zwar nicht besser als sie sind, aber er lässt sie salonfähig erscheinen. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch dumm, weil diese Logik auf die Abschaffung des Journalismus hinausläuft. Nicht das bessere Argument und damit die Qualität der Arbeit gewinnt, sondern die grössere Aufmerksamkeit. Und damit heiligt das Resultat die Arbeit: Alles was Angst und/oder Freude bereitet ist gut, wahr und schön. Dafür braucht niemand Journalismus. Dafür können wir Krimis streamen und uns Komiker-Clips reinziehen.
  • Dieter Widmer, 05.12.2017 04:51 Uhr
    Es ärgert mich, wie fahrlässig (oder: grobfahrlässig) die SonntagsZeitung mit Meinungsumfragen umgeht. Das Tessin wird wie ein Mann bzw. eine Frau hinter der SRG stehen, und die über 65-Jährigen werden das Nein überproportional erheblich stärken. Ich glaube die Aussage nicht, dass der Tamedia Verlag an einer Schwächung der SRG nicht interessiert ist. So gesehen werden die Leute von der SonntagsZeitung an der Nase herumgeführt. Peinlich.
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