30.07.2017

Cumhuriyet

Sieben Journalisten werden freigelassen

Der Herausgeber der Zeitung sowie der Chefredaktor und zwei weitere prominente Medienschaffende bleiben allerdings in U-Haft. Die Angeklagten erhalten derweil Unterstützung des früheren türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül. Dieser plädiert dafür, dass angeklagte Journalisten während dem Prozess frei sein sollten.
Cumhuriyet: Sieben Journalisten werden freigelassen
Unterstützer der regierungskritischen «Cumhuriyet» demonstrieren vor dem Istanbuler Gerichtsgebäude gegen den Prozess. (Bild: Keystone)

Im Prozess gegen Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung «Cumhuriyet» müssen die vier prominentesten Angeklagten in Untersuchungshaft bleiben. Das Gericht in Istanbul folgte am Freitag dem Antrag der Staatsanwaltschaft, Chefredakteur Murat Sabuncu, Herausgeber Akin Atalay, den Investigativjournalisten Ahmet Sik und den Kolumnisten Kadri Gürsel nicht freizulassen.

Sieben weitere inhaftierte Mitarbeiter der Zeitung werden nach dem Gerichtsbeschluss dagegen bis zu einem Urteil in dem Prozess auf freien Fuss gesetzt, wie «Cumhuriyet» und die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu übereinstimmend berichteten. Zuvor hatten Anwälte der Beschuldigten die Freilassung ihrer Mandanten gefordert und die Anklage scharf kritisiert.

«Anklage, die Vebrechen frei erfindet»

Es gebe «keinen konkreten Beweis in der Anklage», und dennoch sei sein Mandant Kadri Gürsel seit neun Monaten in Haft, kritisierte der Anwalt Ilhan Koyuncu vor Gericht. Sein Anwaltskollege Alp Selek sagte, er arbeite seit fast 60 Jahren in der Justiz, doch habe er noch nie eine derartige Anklage gesehen, «die Verbrechen frei erfindet».

Am Samstagmorgen verliess auch der Karikaturist Musa Kart das Silivri-Gefängnis ausserhalb von Istanbul. Er sagte nach 271 Tagen Haft: «Wir wurden von den Menschen, die wir lieben, unseren Verwandten und unserer Arbeit ferngehalten.»

Neben Kart kamen auch der Literaturchef der Zeitung sowie Mitarbeiter aus der Justizabteilung vorläufig frei. Sie bleiben angeklagt und müssen sich regelmässig bei den Behörden melden.

Unterstützung erhielten die Angeklagten vom früheren Staatspräsidenten Abdullah Gül. «Ich habe immer gesagt, dass Journalisten frei sein sollten, während ihnen der Prozess gemacht wird. Auch jetzt denke ich, dass es richtig wäre, dass ihnen der Prozess gemacht wird, ohne dass sie in Haft sind», sagte Gül, der sich sonst selten öffentlich äussert.

Neue Ermittlungen gegen Sik

Das Gericht befürwortete ausserdem neue Ermittlungen gegen Sik, die die Staatsanwaltschaft nach Angaben von «Cumhuriyet» wegen «Verunglimpfung des Türkentums» gefordert hatte. 

Grundlage ist ausgerechnet eine Ansprache, die Sik am Mittwoch vor Gericht zu seiner eigenen Verteidigung hielt. Er hatte darin mit Blick auf die Terrorvorwürfe gegen die Angeklagten unter anderem gesagt: «Die Organisation, die sie bei der Zeitung ‹Cumhuriyet› suchen, regiert unter dem Deckmantel einer politischen Partei das Land.»

Sik war bereits 2011 inhaftiert worden, weil er in einem Buch vor der Unterwanderung des Staates durch die Bewegung des islamistischen Predigers Fethullah Gülen gewarnt hatte.

Die Bewegung, die heute für den gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 verantwortlich gemacht wird, war damals noch mit dem heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verbündet. «Cumhuriyet» wird vorgeworfen, die heute als Terrororganisation gelistete Bewegung sowie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die linksextreme DHKP-C zu unterstützen.

«Cumhuriyet»-Schlagzeile kritisiert Justiz

«Unzulängliche Justiz», lautete am Samstag die «Cumhuriyet»-Schlagzeile über einem Foto der vier inhaftierten Mitarbeiter. «Unsere Freunde und ihre Anwälte haben bewiesen, dass die Anschuldigungen unbegründet und illegal sind. Die Welt hat es gesehen, das Gericht aber nicht.»

Der Prozess stiess auch international auf Kritik. So verlangte die US-Regierung die Freilassung aller Journalisten, die nach dem gescheiterten Putsch im vergangenen Juli «willkürlich» festgenommen
worden seien.

Das US-Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) bezeichnete das Verfahren gegen die «Cumhuriyet»-Mitarbeiter am Samstag als «absurd». Die Entlassung der sieben Beschuldigten aus der U-Haft sei «ein kleiner Schritt in die richtige Richtung». 

Eine «halbe Demokratie»

«Cumhuriyet» nannte die Freilassung von sieben Angeklagten bei gleichzeitig andauernder U-Haft für die anderen Beschuldigten eine «halbe Demokratie». 

Nach dem Beschluss über seine fortdauernde Inhaftierung rief Ahmet Sik im Gerichtssaal: «Das heute hier ergangene Urteil besagt: ‹Wir werden Euch in die Knie zwingen›». Alle «Tyrannen» müssten aber
wissen, dass er nur in die Knie gehe, «um die Hand meiner Mutter und meines Vaters zu küssen».

Urteil bis Ende Jahr erwartet

«Cumhuriyet» berichtete, als nächsten Verhandlungstag in dem Prozess habe der Richter den 11. September bestimmt. Das Gericht wolle noch vor Jahresende ein Urteil fällen. Den Angeklagten drohen langjährige Haftstrafen.

Neben den vier «Cumhuriyet»-Mitarbeitern bestätigte das Gericht am Freitag auch die fortdauernde Untersuchungshaft für einen weiteren Angeklagten, der aber nicht für die Zeitung tätig ist. 

Der Prozess hatte am vergangenen Montag begonnen (persoenlich.com berichtete). Angeklagt ist auch der frühere Chefredaktor von «Cumhuriyet», Can Dündar. Er lebt aber inzwischen im Exil in Deutschland. (sda/dpa/afp/tim)



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