14.08.2016

Frank Elstner

«Wahrscheinlich wäre ich selbst gern einer von ihnen geworden»

«Wetten, dass ..?»-Erfinder und TV-Legende Frank Elstner hat eine besondere Passion: In den Achtzigerjahren interviewte er alle Nobelpreisträger. Was als TV-Sendung begann, wird jetzt als digitales Projekt von seinem Sohn Thomas in Partnerschaft mit UBS weiter geführt.
Frank Elstner: «Wahrscheinlich wäre ich selbst gern einer von ihnen geworden»
Findet die Interviews mit den Nobelpreisträgern viel wichtiger als die Erfindung von «Wetten, dass ..?»: TV-Legende Frank Elstner. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Elstner, herzliche Gratulation! Zum Zeitpunkt dieses Interviews feiern Sie Ihren 74. Geburtstag. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?

Nicht viel. Ich bin sowohl ein Geburtstags- als auch ein Festmuffel. Dies zum Unwillen meiner Frau. Sie wirft mir ständig vor, dass ich diese Tage zu wenig geniessen würde und mich viel mehr feiern lassen sollte. Doch dazu bin ich wohl nicht der richtige Typ (lacht).

Das ist ungewöhnlich. TV-Stars – und Sie sind einer der bekanntesten im deutschsprachigen Raum – stehen doch gerne im Mittelpunkt.

Ja, aber mein Credo ist ein anderes: Bei mir sind es die Gäste, die im Mittelpunkt stehen. Das habe ich immer so gehalten. Auch bei «Wetten, dass ..?».

Nun haben Sie mit der UBS einen Deal abgeschlossen, wonach diese Ihr Archiv mit den Inverviews der Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, die Sie seit den Achtzigerjahren geführt haben, übernimmt. Eigentlich wäre dies ein Moment zum Feiern.
Das ist ein Moment zum Feiern. Dieses Archiv bietet einen Querschnitt durch das Geisteswissen der letzten Jahrzehnte. Rückblickend gesehen, war der Entschluss, alle lebenden Nobelpreisträger zu interviewen, viel wichtiger als die Erfindung von «Wetten, dass ..?».

Jetzt finanziert die UBS Ihr «Lebenswerk».
Ja, das ist für uns ein riesiges Geschenk. Ich spürte schon nach wenigen Gesprächen, dass diese Interviewserie, die bis 1994 unter dem Titel «Die stillen Stars» im ZDF lief, für mich zu einer Herzensangelegenheit werden würde. In den Neunzigerjahren, als das Privatfernsehen nach schrilleren Programmen verlangte, sank das Bedürfnis nach langen und ruhigen Gesprächen am TV. Wir waren betrübt, da wir lange keinen Partner fanden, der dieses Projekt mit uns weiterführen wollte. Es ist ein absoluter Glücksfall, dass die UBS nun nach ihrer Neuausrichtung auf uns zugekommen ist, um unser Projekt, «Die Bilanz des Wissens», als Partner weiterzuführen. Nach langem Gespräch haben wir realisiert, dass dies wie die berühmte Faust aufs Auge passt. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, alle lebenden Nobelpreisträger zu interviewen. 132 sind schon im Kasten, die nächsten 100 stehen auf dem Programm. Die UBS wird unsere Interviews mit den Wirtschaftsnobelpreisträgern weiterverbreiten. Dazu gehören auch kritische Stimmen wie der Linke und Bankenkritiker Paul Krugman. Auf ubs.com/nobel kann man sich diese anschauen. Glücklicherweise kann ich das Projekt an meinen Sohn Thomas weitergeben, der die gleiche Faszination für das Ganze entwickelt hat.

Sie wollen alle Nobelpreisträger interviewen?
Ja, unser Ziel ist es, alle Nobelpreisträger zu interviewen. Sollten sie bereits verstorben sein, erstellen wir eine Dokumentation mit Archivmaterial, die auch digital abrufbar ist. Die neuen Folgen werden aufgrund der Möglichkeiten, die das Internet bietet, anders aufgearbeitet als meine früheren Fernsehinterviews.

Der Blick behauptete, die UBS habe Ihnen drei Millionen Franken für das Projekt bezahlt.
(Lacht.) Deutlich weniger – und wir nehmen das Geld nicht für uns, sondern investieren es in unser Projekt. Wir sind mit dem Ganzen an unsere eigenen finanziellen Grenzen gestossen. Mein Traum ist es, dass «Die Bilanz des Wissens» komplett bleibt. Der einzige Wermutstropfen ist, dass sich die UBS – begreiflicherweise – nur für die Ökonomen interessiert. Aber das kann sich noch ändern (lacht).

Ihre Nobelpreisträger-Interviews sind eher ruhig und sachlich und stehen im krassen Gegensatz zur schrillen Welt von «Wetten, dass..?». Gab es da nie eine innere Zerrissenheit?
Es ist doch schön, wenn man eine solche Palette anbieten kann. Ich wollte immer breit gefächert durch das Leben gehen, und ich fände es furchtbar, ausschliesslich auf eine Richtung fixiert zu sein. Aber vielleicht hat dies auch einen tieferen Grund: Ich bin vor vielen Jahren durch das Abitur gefallen, was für unsere Familie einen riesigen Schandfleck bedeutete. Damals habe ich mir vorgenommen, dass dies nie mehr passieren würde. Das fehlende Abitur versperrte mir den Zugang zum Studium der Theaterwissenschaften. Als ich die Serie mit den Wissenschaftlern startete, wurde mir klar, warum ich so gerne Fragen stelle. Höchstwahrscheinlich wäre ich selbst gerne einer von ihnen geworden.

Gehen wir zurück. Wie sind Sie auf die 
Idee gekommen, die Nobelpreisträger zu interviewen? Das war etwas Revolutionäres.
Da muss ich Ihnen widersprechen, auch wenn es mir schwerfällt. Das war nichts Revolutionäres. Wenn man davon ausgeht, dass es Nobelpreisträger gibt, so wird es auch solche geben, die sie porträtieren wollen. Ein Nobelpreisträger erhält jede Woche eine Anfrage von jemandem, der ihn fotografieren, malen oder eben interviewen möchte. Doch die Nobelpreisträger sind in der Regel an einer grossen Öffentlichkeit gar nicht interessiert. Sie sind mit ihrem Werk und ihrer Arbeit beschäftigt und fühlen sich sogleich abgelenkt, wenn ein «Interviewheini» auftaucht. Meine Leistung bestand darin, sie überhaupt zum Mitmachen zu bewegen.

Aber was gab den Ausschlag für die Sendung?
Ich sah im französischen Fernsehen eine Sendung über Einstein. Diese faszinierte mich so sehr, dass ich beschloss, etwas Ähnliches für das deutsche Fernsehen zu kreieren. So ist die Interviewreihe «Die stillen Stars» entstanden. Mein allererster Gast war der amerikanische Physiker Murray Gell-Mann. Er erhielt 1969 den Nobelpreis für seine Beiträge und Entdeckungen betreffend die Klassifizierung der Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen. Er hat mich in seinem Haus in Santa Fe empfangen, das er von Max Delbrück gekauft hatte. Wir sprachen über Gott und die Welt. Höchstwahrscheinlich war er aber so nett zu mir, weil seine Tochter beim Fernsehen arbeitete und mich wohl kannte.

Gibt es unter den Nobelpreisträgern ein verbindendes Element?
Viele. Zum einen ihre Ernsthaftigkeit, mit der sie ihren Beruf ausüben, zum anderen ihre Bescheidenheit. Ich war in Wohnungen, die weit unter dem Standard lagen, den Normalbürger für sich beanspruchen. Ich sah Nobelpreisträger, die auf kaputten Stühlen oder löchrigen Sofas sassen. Ihre Schreibtische waren so unaufgeräumt wie mein eigener. Es ist klar: Nobelpreisträger legen keinen Wert auf Äusserlichkeiten, ihr einziges Ziel ist es, so schnell wie möglich in ihre Welt einzutauchen, die auch ein Kellerraum von vier Quadratmetern sein kann. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass fast alle Nobelpreisträger grosse Wanderer und Bergsteiger sind. Das finde ich äusserst bemerkenswert.

Worauf führen Sie dies zurück?
Höchstwahrscheinlich muss das Bedürfnis, die Welt von oben zu sehen, in diesen Menschen stark ausgeprägt sein. Viele Nobelpreisträger haben ihre Wohnung mit Asiatika geschmückt, also japanischem Glas oder Buddha-Statuen. Vielleicht möchten sie damit ihre kosmopolitische Haltung unterstreichen. Zudem ist auffallend, dass die meisten Nobelpreisträger ihre Urkunde in ihren Büros nur diskret oder überhaupt nicht aufgehängt haben. Bis auf zwei, deren Namen ich nicht verrate, waren alle «meine» Nobelpreisträger uneitel.

Gab es bei den Interviews auch Überraschungen?
Sehr viele. Der amerikanische Chemiker Linus Pauling wurde 1954 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Acht Jahre später folgte der Friedensnobelpreis, weil er sich gegen Atomwaffentests eingesetzt hatte. Beim Gespräch mit einem anderen Nobelpreisträger erfuhr ich, dass dessen Schwager den Text der deutschen Nationalhymne verfasst hatte. Ein weiterer erzählte mir, dass der Autor des weltberühmten Kinderbuchs «Pinocchio» sein Vorfahr war, und wieder ein anderer bat mich im Vorfeld, ihn während des Gesprächs nicht auf seine uneheliche Tochter in Stuttgart anzusprechen. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht einmal von dieser gewusst.

Das komplette Interview kann in der aktuellen Ausgabe von «persönlich» gelesen werden.



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