04.01.2018

SRF

«Wir sind Justizbeobachter, keine Gehilfen»

Die «Rundschau» hat am Mittwochabend ihr 50-jähriges Bestehen mit einer Spezialsendung gefeiert. Redaktionsleiter Mario Poletti blickt zurück auf umstrittene Fälle und spricht im Interview über Bedrohungen, Boulevard – und Bier.
SRF: «Wir sind Justizbeobachter, keine Gehilfen»
Mario Poletti, Redaktionsleiter der «Rundschau»: «Guter Boulevard ist eine optimale Verdichtung von Information und Emotion.» (Bild: SRF/Oscar Alessio)
von Christian Beck

Herr Poletti*, warum sind Sie eigentlich nicht bei der Polizei?
Den Scherz lancieren meine Jungs zuhause manchmal auch: «Du machst denselben Job wie ein Polizist». Tatsächlich haben auch wir Journalisten die Lizenz zum Fragen – und auch wir suchen die Wahrheit. Allerdings endet die anspruchsvolle Arbeit des Polizisten mit dem Klicken der Handschellen, unsere mit dem Ausstrahlen eines Beitrags. Darum nein, ich bin kein Polizist, das sind zwei komplett verschiedene Berufe.

Kurz nach Ihrem Amtsantritt als Redaktionsleiter im 2013 sagten Sie in einem persoenlich.com-Interview: «Wir wollen mit unbequemem Recherchejournalismus Terrain zurückgewinnen.» Ist das gelungen?
Ja, ich denke schon. Wir haben ein junges, motiviertes Team zusammengestellt, das hartnäckig Recherchen anpackt und leidenschaftlich Reportagen dreht. Und: Moderator und Interviewer Sandro Brotz ist ein Glücksfall für die «Rundschau». Es ist gelungen, mit exklusiven Storys immer wieder schweizweite Debatten auszulösen – zum Beispiel mit den Offshore-Millionen von Johann Schneider Ammann oder der Luzerner Polizei-Affäre. 

Es hagelt aber auch immer wieder Kritik an der Sendung. Sie provozieren bewusst…
Nein, provozieren ist nicht unsere Aufgabe und wir wollen das auch nicht. Aber wer brisante und hochemotionale Themen anpackt, wer in Wunden greift, provoziert auch mal einen Aufschrei. Wir suchen die heftige Gegenreaktion nicht bewusst, rechnen aber damit, weil unbequemer Recherchejournalismus nicht allen gefällt.

Und die «Rundschau» ist boulevardesker geworden…
Hin und wieder mag dieser Eindruck entstehen. Allerdings scheint mir der Begriff oft zu negativ besetzt. Guter Boulevard ist eine optimale Verdichtung von Information und Emotion. Wir sind keine NZZ, die auf einer Seite Komplexes und Kompliziertes mit viel Buchstaben meisterhaft analysiert. Selbstverständlich sind aber auch wir analytisch – jedoch ein TV-Politmagazin, das mit Emotionen arbeitet. Wir wollen dem Publikum auch die Erlebniswelt der Menschen hinter den Schlagzeilen vermitteln. 

Sie wollen auch Primeure setzen. Bleibt auf der Primeurjagd manchmal die Genauigkeit auf der Strecke?
Definitiv nicht, im Gegenteil. Weil bei heiklen Themen die Gegenseite oft Juristen mobilisiert, checken wir jedes Komma ab, bevor eine Story auf den Sender geht. Die Bilanz der Ombudsstelle zeigt, dass wir mit dem neuen Team keine Beanstandung vollumfänglich verloren haben. In Nebenpunkten sind wir schon – allerdings selten – gerügt worden. Das nehmen wir ernst und ziehen unsere Learnings daraus.

Nehmen wir den Mordprozess um den Nachtclubbesitzer Ignaz Walker (persoenlich.com berichtete). Die «Weltwoche» warf der «Rundschau» vor, Beweise manipuliert, Fakten unterschlagen und das Opfer zum Täter gemacht zu haben. Harte Vorwürfe.
Wir weisen die Vorwürfe entschieden zurück. Die Berichterstattung der «Rundschau» basiert auf intensiven Recherchen und minutiösem Studium der Akten. Justizkritik gehört zu den Kernaufgaben unabhängiger Medien. Die «Rundschau» hat Schwachstellen und Widersprüche im Fall aufgezeigt, aber nie geurteilt oder den Angeklagten gar als unschuldig bezeichnet. Es war das Urner Obergericht als höchste kantonale Instanz, die das Freispruch-Urteil gefällt hat. Anzufügen ist, dass der «Weltwoche»-Autor in zentralen Punkten Sachverhalte falsch darstellt.

Zum Beispiel?
Zwei Beispiele: So behauptet er, die Tatwaffe gehöre dem Angeklagten Walker, obwohl sich dafür kein Beleg in den Akten finden lässt. Auch falsch ist die Behauptung, der verurteilte Schütze Sasa Sindelic habe die neue Tatversion zurückgezogen. Richtig ist, dass Sindelic vor dem Urner Obergericht die gegenüber der «Rundschau» gemachten Aussagen bestätigt hat.

WeltwocheCoverLeutschenbach

Statt kritische Beobachter zu sein, seien die «Rundschau»-Macher in die Rolle der Strafverfolger geschlüpft, hiess es weiter. Müssten Sie Erkenntnisse aus Recherchen nicht mit der Justiz teilen?
Wir sind Justizbeobachter und keine Justizgehilfen. Es gibt eine klare Abgrenzung: Journalisten recherchieren und die Behörden ermitteln und urteilen. Wir publizieren Rechercheergebnisse und konfrontieren alle involvierten Personen damit, selbstverständlich auch die Behörden. Das geschah auch im Fall Walker.

Wie häufig werden eigentlich «Rundschau»-Journalisten bedroht?
Das gibt es immer wieder. Wenn ein Kollege in der Neonazi-Szene recherchiert, kann es zu brenzligen Situationen kommen. Oder unser Moderator Sandro Brotz erhält schriftlich Drohungen, wird manchmal auch auf der Strasse verbal attackiert.  

Und wie gehen Sie damit um?
In der Regel machen wir eine Anzeige.

Zufrieden mit der «Rundschau» ist unser TV-Kritiker René Hildbrand, der der Sendung glatt Bestnoten verteilen würde. Was sagen die Quoten?
2013 befand sich die Quote im Sinkflug. Diesen haben wir gestoppt und es ist gelungen, die Quote sanft zu steigern – am Mittwochabend gegen immer wieder härteste Fussballkonkurrenz.

Und wie läufts mit dem vor einem Jahr eingeführten «Rundschau talk»?
Sehr gut. Das war ja eine Initiative von Susanne Wille und Sandro Brotz. Sie haben sich durch alle Instanzen geboxt – und stiessen dabei schliesslich überall auf offene Türen. In Zusammenarbeit mit dem Team in Bern und mit der Unterstützung der Chefredaktion gelang es, auch Bundesräte für die Sendung zu gewinnen, wie Ignazio Cassis an seinem Wahltag oder unlängst Simonetta Sommaruga. Die Sendung scheint mir nach vier Ausstrahlungen bereits etabliert.

Von 1994 bis 2001 waren Sie Reporter bei der «Rundschau», seit fünf Jahren sind Sie Redaktionsleiter. Was ist besser: Chef oder an der Front sein?
Beides ist spannend. Ich liebte den Frontkontakt in verschiedensten Milieus und auch die Recherche. Nun aber ist es genau so faszinierend, mit einem motivierten Team die Fregatte durch die stürmische See zu steuern.

Was reizt Sie an Ihrer Arbeit?
Journalismus ist ein herausfordernder Job. Kein Tag ist wie der andere. Meist fliesst das Adrenalin von früh bis spät, vor allem wenn es gelingt, sich konstruktiv einzumischen. Überspitzt kann man sagen: wir sind ein Wachhund der Demokratie.

Sie waren nicht die ganzen 50 Jahre bei der «Rundschau» dabei – aber zusammengerechnet zu einem Viertel. Was war Ihr persönliches Highlight?
Das Interview mit dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad war ein eindrückliches Erlebnis. Sandro Brotz fasste monatelang immer wieder nach, bis plötzlich der Termin stand. Dann musste alles sehr schnell gehen: Die Reise nach Beirut, auf dem Landweg weiter durch mehrere Checkpoints nach Damaskus, das Interview am Dienstagvormittag, das Material noch im Präsidentenpalast nach Zürich überspielen, wo es eingebettet in einen Hintergrundbericht schliesslich über den Sender ging. Ein wichtiges Zeitdokument. Da war ich echt stolz auf mein Team.

Wie wird in solchen Momenten gefeiert?
Man köpft eine Flasche oder zwei – wie eine Maurerbrigade, die einen Rohbau fertiggestellt hat und dann eine Kiste Bier trinkt. Wir reden über das Making-of, was spannend war und was wir hätten besser machen können.

Was könnte man mit der «Rundschau» generell noch besser machen, wie wird sich die Sendung weiterentwickeln?
Wir sind gut unterwegs, konnten mit Recherchen, Reportagen und packenden Interviews Marken setzen. Selbstverständlich können wir noch besser werden, müssen zum Beispiel versuchen, vermehrt auch Jüngere anzusprechen.

Wie?
Durch die Themensetzung. Hier könnten wir überraschender sein – wie wir es gemacht haben mit einem Insiderbericht aus der Sprayerszene oder dem Besuch bei Hatern zu Hause. Schliesslich wollen wir die Zusammenarbeit mit den Onlinekollegen forcieren, um im Web präsenter zu werden.

Und die Zusammenarbeit mit anderen Redaktionen? Wird die «Rundschau» ab Frühjahr 2019 Teil des geplanten Newsroom?
Nein. Aber wir werden intensiv mit dem Newsroom zusammenarbeiten. Liegt eine grosse Story auf dem Tisch, werden wir wohl vermehrt vorgängig einen «Tagesschau»-Bericht lancieren und mit den Kollegen von «10vor10» und online Nachfolgeberichte absprechen. Unsere Storys sollen auf den verschiedenen Vektoren verlängert werden.

Am 4. März steht auch die No-Billag-Abstimmung bevor. Was kriegt der Gebührenzahler bei der «Rundschau» für sein Geld?
Er bekommt einen unbequemen Recherchejournalismus, so wie ihn andere unabhängige Recherche-Redaktionen im Land auch pflegen. Wir bei der «Rundschau» haben jedoch wie wenige andere das Privileg, uns über längere Zeit in ein Dossier hineinzugraben. So gelingt es immer wieder, Themen zu setzen, die schweizweit für Aufsehen sorgen und bewegen. 

Wie wird abgestimmt?
Ich bin sehr zuversichtlich. Aber ich nehme diese Abstimmung sehr ernst und bin sicher, dass sich die Stimmbürger gut in das wichtige Thema einlesen.


* Mario Poletti stieg bei der «Luzerner Neusten Nachrichten» in den Journalismus ein. 1994 hatte er seinen Einstand bei SRF und war bis 2001 Reporter und Themenplaner bei der «Rundschau». Anschliessend hatte er bis 2004 einen Abstecher beim Nachrichtenmagazin «Facts» und kehrte dann zurück als Chefreporter bei «10vor10». Seit 2013 ist Poletti Redaktionsleiter der «Rundschau» mit 15,5 Vollzeitstellen. Der 56-Jährige ist liiert und Vater von drei Söhnen im Alter von 13 bis 28 Jahren.

 



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Kommentare

  • Patricia Hauser, 04.01.2018 13:41 Uhr
    Liebe Rundschau-Verantwortlichen! Bringt uns dieses Signet zurück :-) : https://www.youtube.com/watch?v=z2tNB-tQjiE Danke! ;-(
  • René Reutegger, 04.01.2018 11:44 Uhr
    Stimmt schon! Als ich gestern «Crosswind» im TV hörte, kam mir sofort die Rundschau von SRF in den Sinn. Ein starkes Erkennungszeichen, passend, immer noch modern und cool. Doch wie das aktuelle Stationssignet tönt, könnte ich nicht nachsingen. Wird irgend so ein austauschbarer Technoschwurbel à la SRF sein.
  • Marlene Frick, 04.01.2018 01:41 Uhr
    Das alte Signet der Rundschau (Crosswind/Billy Cobham) war sowas von gut, verstehe heute noch nicht, dass dieses durch eine billig-peinliche Eigenproduktion ausgetauscht wurde. Der Titel Crosswind machte aus der Rundschau ein Markenzeichen. Hingegen könnte heute kaum jemand das aktuelle Titelsignet summen. Nicht immer alles neue ist besser am Leutschenbach.
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