26.04.2017

NZZ-Gruppe

«Wir sparen dort, wo es die Leser nicht tangiert»

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Pascal Hollenstein Superchefredaktor vom «St. Galler Tagblatt» und der «Luzerner Zeitung». Ein Gespräch über Kooperationsmöglichkeiten, die neue 2-Bund-Zeitung, Medienvielfalt und die Chefredaktion der «NZZ am Sonntag».
NZZ-Gruppe: «Wir sparen dort, wo es die Leser nicht tangiert»
Pascal Hollenstein ist seit 2016 Leiter Publizistik der NZZ-Regionalmedien (Bild: NZZ)
von Edith Hollenstein

Herr Hollenstein, letzte Woche wurde das Ende von NZZ.at verkündet. Hat Sie diese Nachricht gefreut?
(Pause). Warum soll mich diese News freuen?

Sie mussten gegenüber Mitarbeitern in St. Gallen oder Luzern immer wieder erklären, warum die NZZ-Gruppe in Österreich Millionen investiert in ein neues, hoch riskantes Projekt, während bei den etablierten Regionalmedien gespart und noch mehr gespart wird.
Ja, diese Stimmen gibt es. Aussagen wie «Wir zahlen hier ständig einen grossen Wasserkopf in Zürich», höre ich immer wieder. Richtig sind sie dennoch nicht. Die Tatsache, dass wir Teil der NZZ-Gruppe sind, bringt den Regionalmedien enorme Vorteile. Wir profitieren zum Beispiel von der digitalen Kompetenz der Abteilung von Anita Zielina und können in diesem Bereich deshalb schon bald wesentliche Fortschritte erzielen. Alleine könnten wir das nicht. Und um nochmals auf NZZ.at zurückzukommen: Ich bin über das Ende überhaupt nicht glücklich. Ich hätte mich gefreut, wenn das Produkt kommerziell erfolgreich gewesen wäre. 

Sprechen wir über die Wemf-Leserschaftszahlen. Die «Ostschweiz am Sonntag» konnte stark zulegen; plus 15 Prozent. Wie ist das gelungen?
Die Zeitung ist mit viel Liebe gemacht, von einer engagierten Redaktion. Es ist schön, dass die Leser das honorieren und es spornt uns an, weiterhin unser Bestes zu geben.

Kooperiert die «Ostschweiz am Sonntag» auch mit der «Zentralschweiz am Sonntag»?
Ja. Der erste Bund, also Inland, Ausland und Wirtschaft, wird von der «Zentralschweiz am Sonntag» hergestellt – selbstverständlich in Absprache mit der Redaktion in St. Gallen. Der zweite Bund mit den regionalen Themen wird an vier Standorten hergestellt: in Luzern, Zug, St. Gallen und Frauenfeld. Der dritte Bund «Leben», meiner Meinung nach das sonntägliche Sahnehäubchen, kommt aus St. Gallen. Und auch im Sport kooperieren die beiden Standorte. In der Summe: Was immer wir zusammen besser machen können, machen wir. Und was in die Region gehört, bleibt in der Region. 

Neu gibt es eine eigene Ausgabe der «Ostschweiz am Sonntag» für den Thurgau.
In dieser Ausgabe hat es mehr Thurgauer Inhalte. Damit wollen wir auf die regionalen Befindlichkeiten im Thurgau Rücksicht nehmen, noch näher an die Leser heran gehen. Das gleiche Modell kennen wir übrigens auch in der Zentralschweiz mit der Zuger Ausgabe der «Zentralschweiz am Sonntag».

Vor drei Jahren hatte das «St. Galler Tagblatt» noch vier Bünde. Offenbar wechseln Sie jetzt dann von nur drei Bünden auf gerade noch zwei. Wie viel können Sie so sparen?
Wir versuchen die Zeitung trotz Kostendruck weiterhin so zu gestalten, dass das Angebot für die Leser gleich bleibt oder sogar reichhaltiger wird. Die Umstellung auf eine Zweibund-Architektur, die übrigens auch bei der «Luzerner Zeitung» kommt, führt zu keinem Abbau. Aber wir können effizienter drucken. Wir sparen also dort, wo es die Leser nicht tangiert.

Welche Inhalte fallen weg?
Es wird keinen Abbau im redaktionellen Angebot geben.

Diese Bundreduktion ist also eine Folge des Inserate-Rückgangs.
Ja und Nein. Der Gesamtumfang einer Zeitung wird natürlich auch durch das Inseratevolumen beeinflusst. Gibt es weniger Inserate, wird die Zeitung in der Tendenz dünner – egal, in welcher Bundstruktur man druckt. Andererseits bauen wir redaktionell ja nicht ab. Vor allem aber: Eine Zweibundzeitung kann man in einem einzigen Druckdurchgang herstellen. Und sie vereinfacht die Komposition des ersten Bundes, der sich dem Überregionalen widmet und von «Luzerner Zeitung» und «St. Galler Tagblatt» gemeinsam hergestellt wird. Mit unterschiedlichen Zeitungsarchitekturen ist das schwieriger.

Welche Teile der Zeitung kommen denn nun von welchem Standort?
Zunächst: Das ist für uns Zeitungsmacher zwar eine relevante Frage, für die Leser spielt sie aber keine Rolle. Wir wollen ihnen guten Journalismus bieten, egal, woher der kommt. Und wir wollen den unterschiedlichen regionalen Befindlichkeiten Rechnung tragen. Die «Luzerner Zeitung» und das «St. Galler Tagblatt» sind starke und stolze Medienhäuser. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, nicht einfach alles Überregionale an einen Standort herzustellen und dem anderen Partner überzustülpen. Eine solche Kooperation ist in der Schweizer Medienlandschaft einzigartig.

Was heisst das?
Die Blattmacher der Ost- und Zentralschweiz sprechen sich im Tagesgeschäft ab und legen die Schwerpunkte fest. Lediglich die Produktion der Seiten ist an fixen Standorten konzentriert: Ausland kommt aus Luzern, Inland aus St. Gallen. 

Und Wirtschaft?
Aktuell haben wir hier noch keinen gemeinsamen Produktionsstandort. Die Zusammenführung bezüglich der überregionalen Wirtschaftsinhalte kommt jedoch mit der Einführung des Zwei-Bunds im Sommer. Hier wird Luzern im Lead sein. Umgekehrt wird St. Gallen den überregionalen «Focus» produzieren, eine interessante Mischung aus Gesellschaft, Kultur und Wissen. Dieses Konzept werden wir auch bei der «Luzerner Zeitung» einführen. 

Ihre Aufgabe ist es, die beiden Titel und Kulturen zusammenzuführen. Wie weit sind Sie damit?
Das ist ein Prozess, der nie abgeschlossen sein kann und soll. Roger de Weck spricht jeweils von der «buntscheckigen Schweiz»  jede Region tickt anders und man kann deshalb auch nicht alles über den gleichen Leisten schlagen. So ist unser Land und so soll es auch bleiben. Aber ich habe den Eindruck, dass die Zusammenarbeit enorme Fortschritte macht. Schauen Sie: Vor einem Jahr kannten sich die Kollegen aus Luzern und St. Gallen gegenseitig noch kaum. Ich habe dann die Redaktionen zu Gipfeltreffen auf den Üetliberg eingeladen – schön in der Mitte und mit Blick auf Säntis und Pilatus. Heute arbeiten die meisten Kollegen im Überregionalen Hand in Hand. Eine solche Kooperation ist ein Prozess, bei dem jeder etwas geben muss, um etwas zu erhalten. Klar gibt es da auch immer wieder kleinere Friktionen. Aber die Richtung stimmt.

Sie waren ja vor einigen Jahren als Mediensprecher tätig, bei Axa Winterthur und später bei der Renova-Holding von Viktor Vekselberg. Was haben Sie dort gelernt für Ihre aktuelle Arbeit?
Bei Axa Winterthur war die Unternehmenskultur ganz anders als bei Viktor Vekselberg. Bei beiden Unternehmen habe ich jedoch ein Verständnis für unterschiedliche Befindlichkeiten und Kulturen entwickelt. Klar sind die Unterschiede zwischen Luzern und St. Gallen nicht so gross wie zwischen der Schweiz und Russland oder zwischen Winterthur und Paris. Aber im Grunde ist die Übungsanlage nicht fundamental anders.

Noch vor Ihrem Stellenantritt sagten Sie, Sie hätten keinen Auftrag gefasst, der explizit einen Stellenabbau beinhaltet. Ist das immer noch so?
Zu meinem Amtsantritt gab es Gerüchte, wonach ich einen Sparauftrag hätte und deshalb so und so viele Stellen abbauen müsse. Das war damals falsch und ist auch heute noch falsch. Bekanntlich sind wir, wie jede Zeitungsgruppe, unter Kostendruck. Wir versuchen also, so effizient wie möglich zu arbeiten. Das ist völlig normal. Ähnliches erlebt jeder andere Chefredaktor auch. 

Infosperber.ch berichtete kürzlich von einem Inserat, das das «St. Galler Tagblatt» abgelehnt hatte.
Ich persönlich habe dieses Inserat abgelehnt. Das kann man hier ruhig klar so sagen.

Warum?
Die Vorgänge dahinter sind relativ komplex. Es geht um Hanspeter Guggenbühl, der viele Jahre lang als Freier über Energiethemen für das Tagblatt und die Luzerner Zeitung geschrieben hat. Ich hatte allerdings schon länger den Eindruck, dass das Thema Energie zu wichtig ist, als dass wir es einem freien Autor überlassen können. Als grösste Regionalzeitungsgruppe müssen wir diese Kompetenz selber haben – und wir haben sie auch. Hinzu kam, dass Guggenbühl nicht mehr für die «Luzerner Zeitung», sondern nur noch fürs «Tagblatt» schreiben wollte. Wie sollte das gehen, wenn wir doch die Inland-Seiten gemeinsam herstellen? Es geht nicht. Letztlich hat Guggenbühl mit seiner Forderung die im Grunde schon länger notwendige Klärung beschleunigt und wir haben uns getrennt.

Welche Rolle spielte Infosperber?
Urs Gasche von Infosperber wollte per Inserat im «St. Galler Tagblatt» bekannt machen, dass Guggenbühl nicht mehr für uns, aber weiterhin für Infosperber schreibt. Das hielt ich für unangemessen. Wir können doch nicht im eigenen Blatt Inserate zu redaktionellen Interna veröffentlichen! Deshalb habe ich das Inserat abgelehnt.

Dieser Zusammenschluss der Ost- und Zentralschweizer Zeitungen bringt also nicht nur weniger Vielfalt für die Leser. Auch für Journalisten schrumpft die Anzahl Redaktionen, bei denen sie arbeiten oder als Freie ihre Texte anbieten können.
Dieses unsägliche «Einheitsbrei»-Argument ist kreuzfalsch. Gerade Hanspeter Guggenbühl ist ein gutes Beispiel für tatsächlichen Einheitsbrei: In seiner Karriere belieferte er jahrelang fast alle Regionalzeitungen der Deutschschweiz mit seinen Texten. Alle haben seine Texte gedruckt. Wenn irgendetwas Einheitsbrei ist, dann war es das! Wir als grösste Regionalzeitungsgruppe hingegen erlauben uns, Energiepolitik eigenständig zu betreuen, eigene Schwerpunkte zu setzen. Das ist ein Beitrag zur Vielfalt.

Aber die Medienvielfalt schrumpft und für Journalisten und Freie wird die Lage immer schwieriger.
Die Medienvielfalt war noch nie so gross wie heute. Schauen Sie doch, was im Internet alles publiziert wird. Natürlich ist das viel Unsinn darunter, aber die Welt ist bestimmt bunter geworden und eben nicht eintöniger. Was die Freien betrifft: Ja, der Kostendruck macht auch ihr Leben nicht einfacher. Ich darf aber doch festhalten, dass für uns freie Journalisten, gerade im lokalen Journalismus, eine wichtige Stütze sind und bleiben. Zudem: Bei aller Wertschätzung, die ich für viele Freie empfinde – ein freier Journalist ist primär ein Lieferant. Stimmen Qualität und Angebot, so hat er seine Chance am Markt.

Was passiert, wenn Sie Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» werden? Sie sind ja im Gespräch für diesen Posten.
Über dieses Dossier ist einiges geschrieben worden. Das Basellandschaftliche Kantonsgericht hat allerdings einmal festgehalten, dass für Medienberichte per se keine Wahrheitsvermutung gilt. Das war ein in jeder Hinsicht kluges Urteil.

Würden Sie zur Verfügung stehen?
Ich wünsche der «NZZ am Sonntag» die bestmögliche Lösung. Und ich vertraue darauf, dass die NZZ Mediengruppe einen klugen Entscheid fällen wird.

 

 

 

 

 

 



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