17.11.2016

Die Zeit Schweiz

«Wir wünschen uns mehr junge Leser»

Zum ersten Mal seit Gründung der Schweiz-Ausgabe von «Die Zeit» im Jahr 2008 ist eine ausführliche Leserbefragung durchgeführt worden. Der Schweizer Büro-Leiter Matthias Daum spricht im Interview über Ü55-Leser, Einstiegsdrogen sowie Blut, Schweiss und Tränen.
Die Zeit Schweiz: «Wir wünschen uns mehr junge Leser»
Matthias Daum, Leiter Schweizer Büro «Die Zeit»: «Unsere Auflagenzahlen entwickeln sich extrem positiv.» (Bild: Anne Morgenstern)
von Christian Beck

Herr Daum, 60 Prozent der Leser in der Schweiz sind männlich mit einem Durchschnittsalter von 56 Jahren. Haben Sie deshalb Ihre Büros vis-à-vis von Pro Senectute bezogen?
(lacht) Dank des demografischen Wandels sind die Ü55 ein Lesersegment, das immer wichtiger wird. Die meisten unserer Leser sind besonders gebildet und Entscheider – das ist natürlich toll.

Waren Sie überrascht, als Sie die Resultate sahen?
Die meisten Punkte dieser Leserbefragung haben unser Bild bestätigt, das wir von unseren Lesern hatten. Natürlich wünschen wir uns mehr junge Leser, vor allem Studenten, da ist «Die Zeit» in Deutschland ganz stark. Es gibt aber durchaus Gründe dafür, weshalb unsere Zeitung in der Schweiz für die hochqualifizierten Entscheider über 50 so attraktiv ist.

Welche?
Die meisten unserer Leser konsumieren auch andere Zeitungen – wir sind ein Zweit-, teilweise sogar ein Drittblatt. Um so viele Medien zu konsumieren braucht man zwei Dinge: Geld und vor allem Zeit.

In einem früheren persoenlich.com-Interview sagten Sie, dass Sie künftig mehr jüngere Meinungsautoren ins Blatt holen möchten. Macht das noch Sinn?
Auf jeden Fall. Wenn wir junge Leser gewinnen wollen, müssen wir sie mit ihren Themen ansprechen. Und ältere Leser interessieren sich für die Meinung von Jüngeren. Wir müssen «Die Zeit» in der Schweiz einfach noch bekannter machen bei jungen Lesern, da gibt es meiner Ansicht nach ein riesiges Potenzial – allen voran an den Unis unter den Studierenden.

Stichwort Uni: Ihre Leser sind sehr gebildet, die Mehrheit verfügt mindestens über einen Hochschulabschluss. Wird das bei der Themensetzung berücksichtigt?
Ob wir ein Thema bringen oder nicht, hat weniger mit dem Bildungsniveau unserer Leser, sondern mit unserem Anspruch an den Journalismus zu tun. Nennen wir als Beispiel die Affäre um Geri Müller: Der Unterleib des Stadtpräsidenten einer mittelgrossen Schweizer Stadt interessierte uns schlicht nicht – deshalb haben wir damals keine Zeile darüber geschrieben.

Knapp jeder zweite Befragte bezeichnet seine politische Orientierung als mitte-links, weitere 28 Prozent als links. Deckt sich das mit der Ausrichtung der Schweizer Seiten?
Wir sind eine liberale weltoffene Zeitung, die unterschiedliche Meinungen reflektiert, aber entschieden für Europa und gegen Populismus eintritt. Aber im Gegensatz zu anderen Schweizer Wochenzeitungen sind wir kein politisches Projekt – das betrifft sowohl die Schweiz-Seiten als auch das Hauptblatt.

Gibt es da Vorgaben aus Deutschland?
Ich hatte noch nie ein Ideologie-Briefing bei meinem Chef Patrik Schwarz, der die Regionalausgaben der «Zeit» als Geschäftsführender Redakteur leitet. Und ich musste auch kein Glaubensbekenntnis unterzeichnen, als ich diesen Job antrat. Mehr noch: «Die Zeit» pflegt die Meinungsvielfalt, und gibt es innerhalb der Redaktion keinen Konsens, werden die Differenzen im Blatt ausgetragen.

Wie entwickeln sich eigentlich die Auflagenzahlen?
Extrem positiv. 2008 starteten wir bei rund 5000 verkauften Exemplaren, jetzt sind wir bei 14'000. Und während die ganze Branche darbt, froh ist, die Auflage wenigstens halten zu können, legen wir mit der Schweiz-Ausgabe immer noch zu – auch im Anzeigenmarkt, dank unserem Inserateverkäufer Kilian Gasser. Das zeigt, dass wir als Redaktion und als Verlag hier etwas machen, das journalistisch wie ökonomisch funktioniert. Darauf können wir durchaus stolz sein.

Weshalb interessieren sich Schweizer zunehmend für «Die Zeit» – wegen den drei Schweiz-Seiten oder dem Gesamtprodukt?
Unter dem Strich ist es das Gesamtprodukt. Aber zu diesem gehören die drei Schweiz-Seiten. Sie sind sozusagen die Einstiegsdroge für die Schweizer «Zeit»-Leser. Sie wollen zuerst wissen, was direkt vor der Haustüre passiert. Deshalb lese ich selber beim Tagi zuerst den Zürich-Bund.

Drogen machen abhängig und man will immer mehr davon. Ist geplant, irgendwann einmal mehr als drei Schweiz-Seiten zu produzieren?
Natürlich wünschen wir uns das – wenn wir weiter im Vertriebs- und Anzeigenmarkt wachsen, lässt unser Geschäftsführer vielleicht mit sich reden. Gelegentlich produzieren wir aber schon heute einen eigenen Schweiz-Bund. So liegt auch der aktuellen Ausgabe ein sechsseitiger Sonderbund unter dem Titel «So sieht uns die Welt» bei, an dem unter anderem Harald Schmidt, der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber oder die indisch-französische Skandalautorin Shumona Sinha mitgewirkt haben.

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Drei Schweiz-Seiten. Dafür drei Redaktionsmitglieder mit 250 Stellenprozenten. Brauchts das?
Also bitte, das finde ich jetzt etwas frech (lacht). Ich würde eher fragen: Wie schaffen Sie das?

Also gut: Wie schaffen Sie das?
Mit Blut, Schweiss und Tränen (lacht) – und nicht zu wenig Arbeit. Zu dritt, mit meinen begnadeten Kolleginnen Sarah Jäggi und Aline Wanner, knien wir uns jede Woche voll rein, um drei spannende, überraschende, intelligente und unterhaltsame Schweiz-Seiten zu produzieren. Wir investieren viel Energie und Zeit dafür, um zu überlegen, aus welchem Winkel eine Geschichte erzählt und weiter entwickelt werden kann. Oder wir fragen uns: Um was geht es eigentlich bei diesem oder jenem Thema? Mit der naheliegendsten Interpretation geben wir uns nicht zufrieden.

Blut, Schweiss und Tränen. Das klingt nicht sehr glücklich.
Im Gegenteil. Es ist ein super Job. Wir drei werden bezahlt für das, was wir vermutlich am liebsten machen: Fürs Schreiben, Recherchieren, für die Treffen mit interessanten Leuten – und fürs Nachdenken. Darüber, wie dieses Land in diesem Europa in diesen politisch extrem spannenden und turbulenten Zeiten funktioniert. All das funktioniert aber nur, weil man uns aus Hamburg mit viel Vertrauen an der langen Leine lässt.

Immer donnerstags erscheint «Die Zeit». Es dauert lange, bis die Artikel online erscheinen.
Wir warten bewusst ein paar Tage bis wir unsere Texte online schalten. Schließlich wollen wir die Zeitung verkaufen und keine Inhalte verschenken. Es ist ja kein Geheimnis, dass «Die Zeit» online bald ein Login-Modell starten wird. Wir werden auch zukünftig die «Zeit»-Artikel auf «Zeit Online» integrieren. Diese werden login-pflichtig sein, das heißt, ein Nutzer muss sich registrieren, um diese Artikel zu lesen und nach einer bestimmten Anzahl gelesener Artikel auch dafür zahlen.

Sie selber verteilen viele Artikel über Social Media. Ist das Ihre Online-Strategie?
Die Social-Media-Kanäle brauchen wir als Echokammer, um zu merken, was funktioniert und was weniger. Wir wollen so aber auch für unsere Leser ansprechbar und kritisierbar sein. Uns interessiert das Feedback auf Twitter oder Facebook.

Schliessen wir die Klammer mit dem Standort: Vor knapp einem Jahr hat das Büro von Baden nach Zürich gezügelt. Hat sich der Umzug bewährt?
Keine Frage. Wir haben mehr Platz, das Büro ist für das Team besser erreichbar, wir können auch mal spontan unsere Gesprächspartner treffen – und der See ist nur fünf Minuten entfernt.



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Kommentare

  • Robert Weingart, 18.11.2016 17:26 Uhr
    Letzthin rief man mir für ein ZEIT-Probeangebot an. Ich habe abgelehnt. Die Schweiz-Seiten sind mir zu wenig relevant, zu beliebig, zu abgehoben. Ich kann mich nicht daran erinnern, eine gute Reportage gelesen zu haben. Und wenn ich dann den Kommentar von Herrn Staubli hier lese, finde ich es erst recht bedenklich. Gewisse Titel werden noch qualitativ/inhaltlich gewaltig darunter leiden (tun sie heute teilweise schon), dass ihnen gute Texte nicht mehr viel wert sind.
  • Pius Lischer, 18.11.2016 10:29 Uhr
    Grüezi Herr Staubli Wie gefällt Ihnen die Idee eine Recherche zum Grundeinkommen zu machen? Wie Finanzieren? Ist doch eine gute Frage. Mit de beschte Wünsch Pius Lischer
  • René Staubli, 18.11.2016 08:38 Uhr
    Diese Aussage von Daum ist ein schlechter Witz: "Das zeigt, dass wir als Redaktion und als Verlag hier etwas machen, das journalistisch wie ökonomisch funktioniert. Darauf können wir durchaus stolz sein." Darauf stolz sein? Für eine aufwändige Recherche über den Niedergang der jüdischen Gemeinde Luzern (4 Tage Arbeit) wollte mir die ZEIT Schweiz 600 Franken zahlen. Ich habe den Artikel zurückgezogen und der Luzerner Zeitung gegeben. Wenn man solche Dumpinghonorare zahlt, kann man schon damit prahlen, dass das Produkt "journalistisch wie ökonomisch funktioniert".
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