15.04.2014

Hinderling Volkart

"Der Begriff User-Journey bekommt eine ganz neue Bedeutung"

Vor Kurzem wurde der gesamte Online-Auftritt der Fluggesellschaft Swiss von der Zürcher Agentur Hinderling Volkart überarbeitet. Michael Hinderling, Partner und Mitglied der Geschäftsleitung (rechts im Bild), gibt im Gespräch mit persoenlich.com Auskunft über den Grossauftrag und sagt, warum man keine Full-Service-Agentur sein will, sondern sich auf digitale Dienstleistungen spezialisiert.
Hinderling Volkart: "Der Begriff User-Journey bekommt eine ganz neue Bedeutung"

Herr Hinderling, Hinderling Volkart hat den neuen Online-Auftritt der Fluggesellschaft Swiss gestaltet. Ihre Agentur hat Konzept, Design und Frontend Programmierung übernommen und 1,5 Jahre am Projekt gearbeitet. Was war die grösste Herausforderung?
Bei solch umfangreichen Websites wie die swiss.com ist es immer eine grosse Herausforderung, in der Konzeption und vor allem im Design die richtige Mischung aus Konsistenz und Erlebnisvielfalt zu bieten. Bei "World of Swiss" war die Herausforderung viel mehr technischer Natur, dass das ganze Erlebnis auch genug performant ist. Wir hatten während der Entwicklung Abstürze wegen Speicherüberlastung und Performance-Probleme und brauchten sehr viel Zeit, bis wir die Animationen und Grafiken so weit hatten, dass sie unserer Vorstellung entsprachen. Die 3D-Welt und das Route-Network sind das Ergebnis von unzähligen Iterationen, in denen wir Details verbesserten und die Performance um einen erstaunlich hohen Faktor verbessern konnten.

Wie hebt sich der neue Auftritt ab vom vorherigen? Was bieten Swiss.com und "World of Swiss"?
Die neue swiss.com ist konsequent auf den User ausgerichtet. Der Begriff User-Journey bekommt eine ganz neue Bedeutung. Denn der Website-Besucher wird schon mit der Navigation genau so angesprochen, wie der Reiseprozess stattfindet: Book, Prepare, Fly, Explore. Das Innovative daran: Wenn zum Beispiel auf Home oder unter "Book" ein Flug nach San Francisco gesucht wird, erhält der User unter "Prepare" und "Fly" relevante Informationen zu der eingegebenen Destination, in Form von dynamischen Widgets. Beispielsweie unter "Prepare", wie weit der Flughafen vom Zentrum entfernt ist, was der Umrechnungskurs von Franken zu Dollar ist, etcetera, und bei "Fly", was für ein Menu ihn an Bord erwartet oder mit welchem Flugzeugtyp er fliegen wird. Der letzte Navigationspunkt "Explore" bietet aber die bedeutendste Neuerung. Dort erhält der User im Stile von Pinterest spannende Informationen über seine gewählte Destination, welche von einem Swiss-eigenen Redaktionsteam und später auch von der Swiss-Community individuell zusammengestellt wird. Das Ganze wird zusätzlich angereichert mit Inhalten und Tipps aus Social-Media Plattformen wie TripAdvisor, Google Places, Foursquare, etcetera.

Als User will man auf einer Airline-Website möglichst schnell möglichst günstige Flüge buchen. Gleichzeitig will man sich als Airline ja positionieren und seiner Marke Kontur verleihen, ein Markenerlebnis bieten. Wie bringt man das zusammen?
Das ist richtig. Und man darf nicht vergessen, dass swiss.com der umsatzreichste Online-Shop der Schweiz ist. Aber schnell und günstig heisst nicht billig: Deshalb war uns wichtig zu zeigen, dass man auch mit einem Projekt in dieser Grösse Liebe bis ins letzte Detail stecken kann. Dies beginnt beim Konzept, geht übers Design und muss vor allem auch im Frontend vollendet werden. Die swiss.com ist genau darauf konzipiert, dass sie eben informativ und schnell ist, was am Schluss auch dazu dient, mehr Flüge zu verkaufen. Auch der Bereich "Explore" ist im Endeffekt nicht nur eine Bereicherung für die Fluggäste, sondern bietet auch Potential im Online-Marketing: Nebst Suchmaschinenoptimierung können auch neue Zielgruppen angesprochen und auf die Website gebracht werden. Dann ist noch die Sache mit dem Markenerlebnis: Wie Sie richtig erwähnt haben, sollte dies ebenso ein (langfristiges) Ziel sein. Genau deshalb ist die "World of Swiss" entstanden. Die externe Plattform beginnt dort, wo swiss.com aufhört und ist die perfekte Ergänzung, um die Marke im digitalen Raum erlebbar zu machen.

Was heisst es überhaupt, ein "interaktives Markenerlebnis" zu bieten? 
Für mich ist das wie Image-Werbung im Web. Es gibt ja offline auch Kampagnen oder Massnahmen, die (kurzfristig) darauf abzielen, ein Produkt zu platzieren oder zu verkaufen und andere, die zum Ziel haben, ein (langfristiges) Markenimage aufzubauen und zu kommunizieren. Genau hier möchten wir ansetzen. Und mit den digitalen Medien haben wir die Chance, eine viel tiefere Beziehung zu einer Marke aufzubauen. Wir können mit Interaktionen, Live-Daten und Bewegtbildern eine einzigartige Tiefe schaffen, um die Marke mit dem Menschen zu verbinden.

Wie sollen sich Marken in der digitalen Welt präsentieren? Kann man das überhaupt generalisieren?
Ich glaube nicht, dass man das so generalisieren kann. Ich glaube jedoch, dass die digitale Welt sehr viel Potential bietet, um einen überraschenden Effekt und ein starkes Involvement zu schaffen. Beispielsweise mit Integration von intelligenten Informationen und Daten oder mit neuen Technologien, die sich der User im Corporate-Umfeld nicht gewohnt ist. Auch ist es im digitalen Bereich umso wichtiger, dass die Marke authentisch präsentiert wird. Wir haben zum Beispiel bei World of Swiss stark darauf geachtet, dass die Bewegtbild-Inhalte nicht zu "werberisch" daher kommen, sondern viel mehr eine Welt eröffnen, die man vorher noch nicht gekannt hat.

Was versteht Hinderling Volkart unter Storytelling und Brand Experience?
Storytelling heisst für uns, einen Inhalt auf attraktive und bewegende Art zu präsentieren und dazu eine Interaktion oder Verknüpfung mit anderen Inhalten zu schaffen. Kombiniert mit der Scroll-Experience von "World of Swiss" entsteht der neu erfundene Begriff "Scrollytelling"! Bei "World of Swiss" galt es im Rahmen des Storytellings die Markenwerte mit relevanten Leistungsinhalten clever zu verknüpfen. Die Basis dafür war eine umfassende Recherche, welche über 70 mögliche Themen ergeben hat. Diese wurden dann auf Relevanz für den Brand, Realisierbarkeit, Attraktivität und so weiter bewertet. Kombiniert mit dem Erlebnis des interaktiven Raumes, den vielschichtigen Inhalten, dem Live-Route-Network (aktuelle Positionierung aller LX-Flugzeuge) schaffen wir eine Kombination eben dieser beiden Begriffe: Storytelling und Brand Experience. Und wahrscheinlich ist Brand Experience ohne Storytelling nur sehr schwer möglich.

Die Text-Agentur Supertext hat die Texte für die Website geschrieben. Wie war die Zusammenarbeit? Wie wichtig sind die Texte?
Texte sind auf einer klassischen Website natürlich wichtig, da sie oft den Hauptbestandteil des Contents bilden. Ich glaube aber, dass generell im Web nicht sehr viel gelesen, sondern mehr mit dem Auge "gescannt" wird. Das bedeutet, dass Texte selten in voller Länge gelesen werden. Deshalb ist es wichtig, viele Abschnitte, Bullet-Listen, Textblöcke, etcetera zu verwenden. Damit bietet man viele einzelne "Einstiegsmöglichkeiten" für das Auge. Ich glaube, dies ist Supertext sehr gut gelungen. 

Haben Sie sonst noch externe Hilfe in Anspruch genommen?
Speziell sei erwähnt, dass wir für die "World of Swiss"-Plattform sehr eng mit Lauschsicht zusammengearbeitet haben. Mit ihnen zusammen konnten wir die Stärken unseres digitalen Powerhouses an der Pflanzschulstrasse optimal umsetzen. Lauschsicht hat grossartige Arbeit geleistet – nicht nur bei der innovativen Bewegtbild-Produktion, sondern auch in der Inhaltskonzeption. Es ist für mich ein wunderbares Beispiel dafür, wie Bewegtbild und Interaktion zusammen funktioniert. Wir sind aber auch sehr stolz darauf, dass wir insbesondere die technische Frontend-Umsetzung bei swiss.com vollständig inhouse umgesetzt haben. Dies war ein Meilenstein für uns. Unser Bereichsleiter und Mitinhaber Severin Klaus hat diverse Prozesse im Bereich Frontend-Programmierung eingeführt und professionalisiert. Wir sprechen hier von der weltweit ersten Airline-Website, die 100 Prozent responsive ist!

Mit dem neuen UBS E-Banking haben Sie bei den Best of Swiss Web Awards zwei Auszeichnungen gewonnen (persoenlich.com berichtete). Was zeichnet dieses Angebot aus?
Genau gesagt waren es noch weitere Auszeichnungen in diversen Kategorien. Wichtig zu wissen ist, dass Namics für die gesamte E-Banking-Applikation zuständig war, zusammen mit der IT der UBS. Hinderling Volkart war verantwortlich für die digitale Inszenierung und Vermarktung, inklusive Kampagne, Microsite und Videos. Zusammen haben wir den Master gewonnen, was uns natürlich sehr freut. 

Hinderling Volkart ist wieder zu 100 Prozent eine Digitalagentur und bietet keinen Full Service mehr. Warum haben Sie sich dazu entschlossen? Was heisst das personell?
Die digitale Welt ist so komplex, dass sie unsere vollständige Aufmerksamkeit benötigt. Um einen gesamten Full Service über alle Kanäle anzubieten, hätten wir wohl 10, 20 oder 30 Leute mehr gebraucht. Wir haben in unserer Ausrichtung definiert, dass wir Qualität vor Quantität möchten und dementsprechend unser Personal bei rund 25 bis 30 Personen als ideal erachten. Wir sind gross genug, um komplexe Web-Projekte 100 Prozent inhouse umzusetzen und klein genug, um den persönlichen Kontakt und die Qualität hoch zu halten. Wir möchten kein Mittel-Management, sondern effiziente und agile Abläufe und einen persönlichen Austausch mit jedem Mitarbeiter.

Die Creative Directors Livio Dainese und Fernando Perez haben Hinderling Volkart nach einem Jahr bereits wieder verlassen. Warum hat das nicht geklappt? Wie geht es ohne sie weiter?
Der Knackpunkt war ein bisschen, dass wir unsere Agentur viel mehr erweitern hätten müssen, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Uns lag sehr viel daran, dass nicht eine zweite Unit aufgebaut wird, sondern dass wir eine Agentur und eine Kultur bleiben. Ohne sie geht es im wesentlich genau so weiter wie vorher – also ohne den Anspruch, eine Full-Service-Kommunikationsagentur zu sein, sondern eine Digitalagentur, die jedoch sehr wohl versteht, wie sich eine Marke im digitalen Raum entfalten kann. Wir haben uns entsprechend in der Geschäftsleitung mit Claudia Widmann-Camenisch (im Bild oben in der Mitte) als Leiterin Beratung seit Anfang Jahr verstärkt.

Fristet man als spezialisierte Digitalagentur eigentlich automatisch ein Schattendasein? Die Swiss hat zum Beispiel vor einigen Wochen eine Medienmitteilung zum neuen Online-Auftritt verschickt und Hinderling Volkart nur kurz ganz am Schluss erwähnt. Wurmt das?
Das war eher ein Missverständnis: Swiss hat eine erste Medienmitteilung rausgebracht, als die Website gar noch nicht online war. Quasi eine Vorankündigung. Dort waren wir nicht erwähnt, jedoch auf der offiziellen Pressemitteilung nach dem Going-Live schon. Sie ist hier einsehbar.

Wenn Sie fünf Minuten Zeit hätten, um jemandem Hinderling Volkart schmackhaft zu machen, was würden Sie dem dann zeigen?
Zuerst je eine knappe Minute die Projekte Lost in Val Sinestra, MSN Visualizer, Zeitraum Aargau, 360° Langstrasse, World of Swiss; dann ein paar Sekunden unsere Location und am Schluss all unsere smarten Mitarbeiter.

Was sind die nächsten Projekte?
Wir arbeiten sehr intensiv an diversen digitalen Projekten im Finanzbereich, für eine der grössten Tourismus-Region der Schweiz; für eine zweite Airline und an etlichen sehr interessanten, kleineren Projekten. Zudem denken wir bei Swiss schon an die nächste Phase und pflegen andere bestehende Kunden sehr intensiv.

Fragen: Lukas Meyer & Adrian Schräder//Bilder: zVg



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240420