10.09.2014

Daniel Göring

"Wir müssen offener über Suizid reden"

Nach zehn Jahren als Kommunikationschef beim Bundesamt für Zivilluftfahrt kündigte Daniel Göring und wechselte zur Firma Orascom von Samih Sawiris. Irgendwann hielt er dem Druck nicht mehr stand: Burnout, Depression, Suizidversuch. Am Donnerstagabend zeigt SRF 1 den DOK "Das Ende war der Anfang", in dem Göring seine Geschichte erzählt. Im Interview mit persoenlich.com erklärt der Kommunikationsprofi, warum er mit seinem Schicksal an die Öffentlichkeit geht und wie er wieder in die Berufswelt zurückgefunden hat.
Daniel Göring: "Wir müssen offener über Suizid reden"

Herr Göring, Sie standen in Ihren Jobs jahrelang unter Druck. Rückblickend: Wie und wann hat Ihre Depression begonnen?
Sie hat sich über Jahre angebahnt. Es begann mit sehr hohen Druckphasen im Beruf, kam dann zu einer Last und schliesslich zu einer Überlastung, die während Jahren bestehen blieb. Es wurde dauernd an meinen Batterien gesogen, ich konnte die nötige Regeneration nicht mehr finden.

Wie haben sich die Burnout-Symptome bei Ihnen bemerkbar gemacht?
Es ist ein schleichender Prozess. Gerade unter Anspannung ist man sich oft nicht bewusst, dass man Gefahr läuft, in eine solche Situation zu geraten. Druckphasen lassen immer mal wieder nach, aber eben zu wenig, um sich zu erholen. Gerade wer von Aussen viel Druck hat – wie ich das als Pressesprecher hatte – ist sehr schnell geneigt, solche Warnzeichen zu ignorieren. Im Nachhinein betrachtet, hat es sie gegeben. In einem gewissen Stadium der Krankheit war ich aber nicht mehr in der Lage, sie wahrzunehmen.

Ist bei Berufen in der Kommunikationsbranche – viel Druck, Kritik, Überstunden, kurzfristige Abgabetermine – die Gefahr einer Depression besonders gross?
Ich denke nicht, dass bestimmte Berufsgruppen besonders gefährdet sind. Es ist nicht entscheidend, was jemand macht, sondern wie er es macht. Die Erfahrung zeigt, dass es alle treffen kann. Es kommt auf die Umstände und das Umfeld an. Natürlich gibt es Berufe, die aufgrund kürzerer Produktions- oder Lieferzeiten Situationen begünstigen, die dann zu einer Erschöpfungsdepression führen können.

Irgendwann sahen Sie keinen anderen Ausweg mehr und haben versucht, sich umzubringen. Was war passiert?
Das kann ich rückblickend nicht an einem Schlüsselerlebnis festmachen. Bei mir kam es nach einem 15-stündigen Arbeitstag zum Zusammenbruch. Zuhause in der Küche stellte ich fest, dass ich nicht mehr kann – und nicht mehr will. Naheliegend wäre natürlich eine Kündigung gewesen. Aber ich war schon zu weit in der Spirale drin und deshalb war das keine Option mehr. Ich musste anders aus der Situation rauskommen: möglichst schnell, einfach, sicher, still – und vor allem für immer. Ich habe versucht, mich mithilfe von Medikamenten aus dem Leben zu verabschieden.

Es blieb bei einem Versuch.
Ich bin nach dem gescheiterten Versuch im Spital aufgewacht. Ich nahm – komplett emotionslos – zur Kenntnis, dass ich noch "existiere". Ich habe es als Zeichen akzeptiert, dass es weitergehen soll. Wie, wusste ich aber nicht. Mir wurde selber klar, dass ich eine Therapie brauche, um wieder ins Leben zurückzufinden.

Sie haben ein Buch über diesen Weg zurück ins Leben geschrieben und am Donnerstag wird auf SRF 1 ein DOK über Sie ausgestrahlt. Warum haben Sie Ihre Geschichte öffentlich gemacht?
Während der Rehabilitation wurde mir bewusst, dass viele Leute nicht wissen, wie sie mit depressiven Personen umgehen sollen. Das Schreiben war zuerst lediglich ein Verarbeitungsprozess. Plötzlich stand ich aber mit einem ganzen Text da und wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Meine Freundin hat die Notizen gelesen und danach gesagt, dass sie jetzt – endlich – besser verstehe, was in mir vorgegangen war. Dadurch wurde mir klar, dass ich meine Geschichte veröffentlichen muss. Die Gesellschaft muss lernen, besser mit dem Thema Depression umzugehen. Zudem möchte ich mehr Verständnis wecken für Betroffene. Und ihnen nicht zuletzt auch helfen, wieder Mut zu fassen.

Um beim Verständnis zu bleiben: Wie hat Ihr Umfeld auf das Outing reagiert?
Im ersten Moment war ich skeptisch, rechnete sogar mit Ablehnung. Zu meinem Erstaunen waren die Reaktionen durchweg positiv. Sogar meine Eltern, die sehr unter meiner Krankheit litten, haben meinen Gang an die Öffentlichkeit unterstützt.

Sie arbeiten zurzeit bei der Bundesverwaltung. Hatten Sie Probleme, wieder einen Job zu finden, nachdem Ihre Geschichte bekannt wurde?
Es war nicht so einfach, wie ich dachte. Man wird stigmatisiert, das Thema ist immer noch ein Tabu. Ich habe mich von Anfang an entschieden, reinen Wein einzuschenken: Bei jedem Vorstellungsgespräch war mein Gegenüber informiert, dass ich ein psychisches Problem hatte. Die Reaktionen im Gespräch waren zwar fast immer positiv, dennoch wurde ich nicht eingestellt. Vereinzelt wurde mir gesagt, man glaube nicht, dass ich der Belastung standhalten kann.

Trotz allem haben Sie jetzt wieder eine führende Position im Bereich Kommunikation inne. Warum tun Sie sich das an?
In der Therapie wurde mir aufgezeigt, warum es zu der Depression kam und was man tun muss, damit es nicht mehr passiert. Das ist entscheidend: Ich lernte Mechanismen und Praktiken kennen, die mir helfen, mit Drucksituationen besser umzugehen. Ich bin zudem in der Lage, meine Ressourcen schonender einzusetzen. Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit Sprache. Dass ich wieder in die Kommunikation möchte, war klar. Entscheidend ist, wie man seinen Arbeitsalltag gestaltet und dass man nach Arbeitsschluss wirklich abschaltet und etwas anderes macht. Zudem hilft es, wenn man sich selber nicht immer allzu ernst nimmt.

Hatten Sie bereits einen Rückfall?
Bis jetzt hatte ich keinen. Ich kann aber niemandem eine Garantie geben. Ich kann allerdings garantieren, dass ich es ein nächstes Mal rechtzeitig merken und mir professionelle Hilfe suchen würde.

Was raten Sie Aussenstehenden oder Arbeitgebern, wenn sie mit einem Burnout-Fall oder einer Depression mit Suizidgefahr konfrontiert werden?
Sie dürfen nicht versuchen, an den Durchhaltewillen der betroffenen Person zu appellieren. Das ist kontraproduktiv. Auch hier sollte man professionelle Hilfe organisieren, eventuell auch für sich selber. Für das private und berufliche Umfeld ist der Kontakt mit einer depressiven Person schwierig. Sie reagiert ungewohnt und heftig, stösst Menschen zurück, die eigentlich helfen wollen. Dies wird dann oft und fälschlicherweise als persönliche Aversion wahrgenommen. 

Die Schweiz hat eine hohe Suizidrate. Was sollte dagegen unternommen werden?
Zentral ist, dass wir offener über das Thema Suizid reden und den Betroffenen zeigen, dass sie sich nicht schämen müssen. Zudem sollte mehr Prävention betrieben werden, auch im Arbeitsleben. Die Kosten eines Suizids oder einer Depression sind sehr hoch. Es lohnt sich deshalb, auch als Arbeitsgeber etwas Geld in die Hand zu nehmen für die Prävention. 

Interview: Seraina Etter


  • Das Buch "Der Hund mit dem Frisbee" von Daniel Göring ist im Buchhandel erhältlich oder kann beim Verlag elfundzehn bestellt werden.
  • Der DOK "Das Ende war der Anfang" von Andrea Pfalzgraf wird am Donnerstag um 20:05 Uhr auf SRF 1 ausgestrahlt. 


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