23.07.2014

Joseph Beuys

"Das Kapital" in Gefahr!

Beuys-Biograf Hans Peter Riegel fordert eine zweckmässige Lösung für das Werk.
Joseph Beuys: "Das Kapital" in Gefahr!

"Das Kapital" ist bedroht. Die Eigentümer der weltberühmten Installation von Joseph Beuys haben entschieden: Das Kunstwerk soll aus den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen verschwinden. Gesucht wird ein neuer Standort in einer anderen Stadt. Dadurch werde das Kunstwerk zerstört, befürchtet der langjährige Spitzenwerber und Beuys-Biograf Hans Peter Riegel. Er fordert eine zweckmässige Lösung für das Werk, welches zwei Jahre vor Beuys’ Tod fertiggestellt wurde.

Wem gehört "Das Kapital"? Der Rechtsstreit über das millionenschwere Kunstwerk dauert bereits zehn Jahre an. Die Urfrage lautet: Gehört es der Stiftung für neue Kunst als Betreiberin der Hallen, dem Künstler Urs Raussmüller, der die Hallen aufgebaut und mit Beuys zusammengearbeitet hatte, oder drei Personen, die Raussmüller einst beauftragt hatten, für sie Kunst zu kaufen? Das Schaffhauser Obergericht hat Letzteren nun recht gegeben. Diese fordern jetzt den Abbau des Kunstwerks. Beuys-Biograf Hans Peter Riegel findet dies "desaströs".

Herr Riegel, Sie haben im vergangenen
 Jahr die aufsehenerregende und viel zitierte Biografie "Beuys" veröffentlicht. Welchen Stellenwert nimmt eigentlich "Das Kapital" 
in Beuys’ Schaffen ein?

Kapital ist ein Schlüsselbegriff in der gesellschaftlichen Theorie von Beuys. Er beschreibt damit die menschliche Kreativität als ökonomischen Wert. Es ist seine Auffassung des Begriffs "Humankapital". Mit der Rauminstallation "Das Kapital" illustriert Beuys diese Theorie in einer Art von Laboratorium, in dem Ideen und somit Kapital produziert werden können. Darüber hinaus ist "Das Kapital" ein zentrales Dokument der wichtigsten Schaffensphase von Beuys. Die Installation in Schaffhausen trägt den Untertitel "Raum 1970-77". Diese Bezeichnung verweist darauf, dass er hier ein Resümee seiner Arbeiten der Siebzigerjahre versammelt hat.

Wie ist das Kunstwerk entstanden?
Beuys hatte "Das Kapital" erstmals 1980 auf der Biennale von Venedig gezeigt, in einem alten Fabrikationsgebäude, nicht unähnlich dem in Schaffhausen. Wie er das häufig tat, nutzte er auch in diesem Environment Relikte früherer Arbeiten, zum Beispiel von "Celtic" oder seiner berühmten 100-Tage-Aktion auf der Documenta von 1972. In Venedig hatte er diese Stücke neu arrangiert, um auf diese Weise sein Laboratorium mit Denkanstössen zu füllen.

Wie ging es nach Venedig weiter?
1981 wurde "Das Kapital" in der Halle für Internationale Neue Kunst in Zürich ausgestellt, die bereits von Urs Raussmüller betrieben wurde. Dann zeigte Beuys die Arbeit nochmals in Zürich, 1983 in der Gruppenausstellung "Der Hang zum Gesamtkunstwerk", die im Kunsthaus stattfand. An beiden Orten waren jedoch die räumlichen Bedingungen nicht gegeben, den ursprünglichen Aufbau von Venedig zu rekonstruieren. Die Räume waren vor allem zu wenig hoch, um die Tafeln in der gewünschten Anordnung hängen zu können.

Warum ist es ausgerechnet in Schaffhausen installiert worden?
Nach der Zürcher Ausstellung suchte Beuys nach einer Lösung, das Werk in seiner Gesamtheit zu erhalten. Letzlich war dies auch eine wirtschaftliche Frage. "Das Kaptial" umfasst siebzig einzelne Teile, darunter fünfzig grosse Schultafeln und einen Konzertflügel. Die Lagerung wäre extrem kostenintensiv gewesen. Mit den finanziellen Mitteln der Sammlung Crex konnte ihm Raussmüller die Installation in Schaffhausen anbieten, wo "Das Kapital" vollständig und in der eigentlichen weitläufigen Präsentation gezeigt werden konnte. Soweit mir bekannt, war Beuys sofort begeistert von dieser Lösung.

Hatte Beuys eigentlich eine Beziehung zur Schweiz?

Ein sehr intensive sogar. Einige seiner wichtigsten Ausstellungen fanden hier statt. In Basel unter anderem, wo er 1969 als Zeichner entdeckt wurde. Beuys hatte zahlreiche Freunde und Förderer in der Schweiz, wie Dieter Koepplin, Harald Szeemann, aber auch aus der Basler Hoffmann-Dynastie und schliesslich Urs Raussmüller. Zudem war er mehrfach in Sils Maria, weil er von Nietzsche beeinflusst war und Segantini schätzte.

Was zeichnet die Einzigartigkeit
des "Kapitals" eigentlich aus?

Erstens ist es eine der vielschichtigsten und poetischsten Arbeiten von Beuys. Zweitens ist es seine grösste erhaltene Rauminstallation. Drittens ist es nach meiner Auffaussung sein inhaltlich bedeutsamstes Environment.

Jetzt soll "Das Kapital" aus Schaffhausen entfernt werden. Ist dies einfach so möglich, ohne dass man es zerstört?
Ich halte es für unmöglich, "Das Kapital" zu deinstallieren, ohne es zu zerstören. Zwar würde es materiell nicht einmal beschädigt werden, dafür sorgen schon Restauratoren. Aber es würde seiner Authenzität beraubt und auf solche Weise zerstört werden. Das hat damit zu tun, dass Beuys seine Installationen, also auch "Das Kapital", als Aktion bezeichnet hat. "Das Kapital" ist demnach Hinterlassenschaft und Zeugnis einer Aktion, also einer von ihm selbst vorgenommenen Handlung. Zudem hat Beuys alle seine Installationen mit tiefem Bewusstsein auf den jeweiligen Raum bezogen eingerichtet. Etwa den "Block Beuys" in Darmstadt, den er inklusive der Gestaltung der Wände exakt auf die räumliche Wirkung hin zusammengestellt hat. Hierzu hat er sich tage- und wochenlang in dem Museum aufgehalten. So verhält es sich ebenfalls in Schaffhausen. Schon der kleinste Eingriff von Dritten in das Arrangement von "Das Kapital" ist problematisch. Eine Demontage wäre ein Desaster.

Sehen Sie das nicht zu puristisch?
In Hinsicht auf die Rauminstallationen, auf die Environments von Beuys, kann man nicht puristisch genug sein. Von den wenigen Arbeiten, die er noch selbst eingerichtet hat, geht eine Magie aus, die man spüren kann. Wenn Sie hingegen Neuinstallationen wie etwa "Vor dem Aufbruch aus Lager I" im Münchner Lenbachhaus sehen, wissen Sie, was ich meine. Das ist blutleer, das ist tot. Ich halte es für unmöglich, die installativen Arbeiten von Beuys an anderen Orten und anders, als von ihm selbst eingerichtet, auszustellen.

Warum gab es eigentlich diesen Konflikt
um die Besitzrechte?

Dazu will ich nichts sagen, ich kenne die Details nicht ausreichend.

Aber war es nicht ein gravierender Fehler der Akteure der Sammlung Crex und von Raussmüller, keinen Vertrag mit Beuys zu schliessen?
Beuys hatte einen ziemlich legeren Umgang mit Schriftgut. Verträge waren nicht sein Ding. Daher war es war durchaus üblich, dass er jemandem wie Raussmüller etwas zu treuen Händen übergeben hat. Das hat er im Fall van der Grinten ebenso gemacht. Da gab es auch nichts Schriftliches. Ich glaube, man nennt das einen gelebten Vertrag.

Welchen Stellenwert nimmt eigentlich Joseph Beuys’ Witwe im ganzen Konflikt ein?
Juristisch gesehen haben die Erben von Beuys das Copyright auf dessen gesamte Werke. Da es offenbar keine schriftlichen Vereinbarungen zu diesem Werk gibt, kann nach meiner Einschätzung nur Eva Beuys bestimmen, wie "Das Kapital" behandelt wird. Wer die Arbeit neu arrangieren oder gar demontieren will, muss sie um Genehmigung ersuchen. Das ist ganz gut mit einem Haus vergleichbar, bei dem auch der Architekt beziehungsweise dessen Erben gefragt werden müssen, wenn es verändert werden soll. Wenn Eva Beuys nun wohl auch Eigentumsrechte beansprucht, findet das auf einem anderen juristischen Feld statt. Was die Sache natürlich nicht vereinfacht.

Wie gut kannten Sie Joseph Beuys?
Ich bin ihm immer wieder begegnet, seit ich in der Sexta auf dem Gymnasium war. Mein Kunstlehrer war Beuys-Schüler und nahm mich 1972 zu einer Aktion von Beuys mit. Auch 1979, als sich Beuys und Andy Warhol in einer Düsseldorfer Galerie erstmals begegneten, war ich zugegen. Während ich für Immendorff arbeitete, hatte ich häufig Kontakt mit ihm.

Was war er für ein Mensch?
Wenn ich zu ihm ins Atelier kam, meistens weil ich etwas für Immendorff zu erledigen hatte, lies er mich nie ohne ein Gespräch gehen. Im persönlichen Umgang war er wunderbar.

Man sieht Sie jedoch als grossen Beuys-Kritiker, wie geht das zusammen?

Da ist viel dummes Zeug verbreitet worden, vor allem von Leuten, die mein Buch mit erklärtem Vorsatz nicht gelesen haben. Ich kann mich nicht erinnern, über einige kunstwissenschaftliche Akspekte hinaus, den Künstler kritisiert zu haben. Auch Beuys hat sich von anderen Künstlern inspirieren lassen, um es einmal so zu sagen. Dem Menschen Beuys begegne ich mit Sympathie, so weit dies jedenfalls seine positiven Eigenschaften wie etwa seinen Humor, seine Leidenschaft und Leidensfähigkeit anbelangt. Dass er gleichzeitig ein notorischer Aufschneider und Womanizer war und dass er problematischem Gedankengut anhing, kann ich als Biograf kaum unter den Tisch kehren.

Sie haben in Ihrem Buch nachgewiesen, dass Beuys eine noch "braunere" Vergangenheit hat als ursprünglich angenommen.
 Worauf stützen sich diese Angaben?
Natürlich weise ich das anhand von Dokumenten nach. Ohne diese Nachweise hätten die Erben gegen mein Buch prozessieren können, es unter Umständen verbieten lassen können. Zum Beispiel war der persönliche Assistent von Beuys und Autor zahlreicher politischer Schriften, die von Beuys unterschrieben wurden, ein ehemaliger SA- und SS-Funktionär. Von dem habe ich die Parteiakte in einem Archiv gefunden.

Wie hat die Beuys-Gemeinde auf diese Enthüllungen reagiert?

Aus dem innersten Kreis um Beuys kam praktisch nichts, auch weil meine Recherchen wasserdicht sind. Es waren die sogenannten Beuys-Jünger und anthoposophischen Fanatiker sowie ein paar wenige schlecht informierte Journalisten, die sich aufregten.

Sie waren auch Assistent von Jörg Immendorff, einem anderen berühmten deutschen Künstler und Schöpfer des berühmten Gerhard-Schröder-Bildes. Wie war der Kontakt der beiden Künstler untereinander?
Das war ein kompliziertes Vater-Sohn-Verhältnis. Immendorff wuchs ohne Vater auf und kam fast noch als Teenager zu Beuys, der für ihn zum Ersatzvater wurde. Als es 68 politisch wurde, trennten sich die Wege. Immendorff politisierte am äussersten linken Rand und nannte Beuys einen bürgerlichen Utopisten. Bei den Grünen kamen sie wieder zusammen. Allerdings blieb ihr Verhältnis gespannt. Was Immendorff nicht davon abhielt, bei Beuys regelmässig Geld zu leihen. Erst als er selbst Erfolg hatte, bekam er wieder die Aufmerksamkeit von Beuys, nach der er sich eigentlich immer gesehnt hatte.

Über Jörg Immendorff haben Sie auch eine Biografie geschrieben. Welchen der beiden schätzen Sie künstlerisch höher ein?
Man kann sie nicht vergleichen. Der kunsthistorische Rang von Beuys liegt nicht von ungefähr weit über dem von Immendorff. Was mich an beiden interessiert hat, war ihre innere Zerissenheit, die Diskrepanz zwischen der öffentlich bekannten und der realen Person.

Zurück zu Joseph Beuys: Welches war die spektakulärste Begegnung mit ihm?

Die erste, weil sie so unspektakulär war. Obwohl er damals schon sehr berühmt war, hat er mir mit Geduld und vollkommenem Ernst ein paar Fragen für die Schülerzeitung beantwortet.

Was wäre für "Das Kapital" der beste Ausgang der Geschichte?

Wenn sich ein Geldgeber findet, der das Werk in Schaffhausen erhält.


Hans Peter Riegel hat verschiedene künstlerische Fächer und Kunstwissenschaft studiert. In den achtziger und neunziger Jahren war Riegel erfolgreicher Werber und Unternehmer. Er ist Autor der 2013 erschienenen Beuys Biografie, die als Standardwerk gilt und zu den am häufigsten besprochenen Büchern dieser Art in der jüngeren, deutschsprachigen Literaturgeschichte zählt. Zuvor hatte Riegel schon eine viel beachtete Biografie über Jörg Immendorff verfasst. Zudem ist er journalistisch
für die "Welt am Sonntag" und den "Spiegel" tätig. Riegel ist inzwischen auch als avantgardistischer Konzept-Künstler und Fotograf bekannt. Er lebt in Zürich.

Interview: Matthias Ackeret // Bild: Keystone

Dieser Text erschien erstmals in der aktuellen "persönlich"-Printausgabe



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