28.11.2014

Museum im Lagerhaus St. Gallen

Über die "Seeseite" der Kunst

Augenmerk auf der in Münsterlingen entstandenen Kunst.

Münsterlingen Seeseite" haben Thurgauerinnen und Thurgauer die Psychiatrische Klinik am Bodensee früher genannt. Anlässlich des 175. Geburtstags der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen zeigt das Museum im Lagerhaus St. Gallen "Auf der Seeseite der Kunst".

Die Ausstellung wird am kommenden Montag eröffnet und dauert bis 8. März. Es ist der dritte Teil der Reihe "Verborgene Schätze aus Schweizer Psychiatrien" mit den Ausstellungen "Rosenstrumpf und dornencknie" und "Begegnungen", die 2010 und 2011 gezeigt wurden.
 
175-Jahr-Jubiläum
Damit es keine Verwechslung mit dem Spital am selben Ort gab, nannten die Thurgauerinnen und Thurgauer die unmittelbar am Bodenseeufer gelegene Irren- oder Heil- und Pflegeanstalt früher "Münsterlingen Seeseite". Erst als die Institution 1980 in Psychiatrische Klinik modernisiert wurde, verschwand der Euphemismus nach und nach.
 
2015 feiert die Klinik ihr 175-Jahr-Jubiläum. Anlässlich des Jubiläums zeigt die Stiftung für schweizerische Naive Kunst und Art Brut im Museum im Lagerhaus St. Gallen eine Ausstellung mit historischen Arbeiten von Patientinnen und Patienten aus Münsterlingen. Basis sind die Ergebnisse des SNF-Forschungsprojektes "Bewahren besonderer Kulturgüter".
 
"Anstelle der üblichen Jubiläumschroniken legen wir das Augenmerk auf die in Münsterlingen entstandene Kunst", sagte Museumsleiterin Monika Jagfeld am Freitag vor den Medien. Nach St. Gallen ist die Ausstellung vom 1. April bis
zum 22. Mai im Staatsarchiv des Kantons Thurgau in Frauenfeld zu sehen.
 
124 Exponate
Der Psychiater Hermann Rorschach, von 1909-1913 Assistenzarzt in Münsterlingen und Erfinder des berühmten Rorschach-Tests, ermutigte manche Patienten zu zeichnen. Ebenso verfuhr Roland Kuhn, der von 1939 bis 1980 als Oberarzt und später als Direktor in Münsterlingen tätig war.
 
In den Krankenakten von 16 Patientinnen und Patienten fanden sich insgesamt 249 Zeichnungen, die zwischen 1894 und 1960 entstanden sind. 100 Exponate von elf Künstlerinnen und Künstlern werden nun zum ersten Mal ausgestellt. Ergänzt werden die Werke von 24 Patientenarbeiten aus dem Nachlass von Hermann Rorschach der Universitätsbibliothek Bern.
 
Abwechslung in der Zelle
Wie André Salathé, Staatsarchivar des Kantons Thurgau, im Katalog zur Ausstellung schreibt, war das Zeichnen für die Patientinnen und Patienten geradezu eine Strategie des Überlebens. Es habe ihnen die Möglichkeit geboten, "etwas Brauchbares" zu erschaffen, wie es der Künstler Franz Sch. ausdrückte. Für Rose G.-T. war das Zeichnen "eine willkommene Abwechslung in der Zelle", wie in ihrer Patienten-Akte festgehalten wurde.
 
Ein fachgerechter und ethisch vertretbarer Umgang mit historischer Patientenkunst sei schwierig, schreibt Salathé. Umstritten sei beispielsweise, ob man die Anonymisierung zum Schutz der Patientinnen und Patienten beibehalten solle oder ob diese den Kunstschaffenden die Identität raube. (sda)


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