18.09.2013

Facehunter

"Ich will aufzeigen, dass die Möglichkeiten grenzenlos sind"

Yvan Rodic setzt mit seinem Blog Facehunter weltweit Massstäbe in Sachen Streetstyle.
Facehunter: "Ich will aufzeigen, dass die Möglichkeiten grenzenlos sind"

Zehn Mal umrundete Yvan Rodic letztes Jahr den Globus. Doch der Ex-Werbetexter aus dem Welschland wird des Reisens nicht müde: Sein Blog Facehunter setzt weltweit Massstäbe in Sachen Streetstyle und machte den 36-Jährigen zu einer der wichtigsten Figuren im Modezirkus - und zum gefragten Social-Media-Experten. Derzeit stellt er sein neues Buch vor.

Monsieur Rodic, wo sind Sie gerade?
In Stockholm. Ich stelle mein Buch "A Year In The Life Of Facehunter" vor. Morgen hab ich hier eine Signierstunde. Am Abend findet eine Party statt. Insgesamt bin ich drei Tage hier und mache natürlich auch ein paar Bilder für meinen Blog.

Ist das Buch auch auf Schwedisch erschienen?
Nein, es gibt fünf Ausgaben: Eine britische, eine deutsche, eine französische, eine koreanische und eine amerikanische. An den meisten anderen Orten – darunter auch Brasilien, China oder Japan – ist die Britische erhältlich.

Wie sind die Absatzzahlen?
Kann ich noch nicht sagen. Dafür ist es noch zu früh. Das erste Buch hat sich ungefähr 40'000 Mal verkauft. Das war noch mehr auf Streetstyle fokussiert. Dieses ist wie ein Tagebuch aufgebaut. Es soll dem Leser einen Einblick in dreissig Orte geben, die ich im letzten Jahr besucht habe.

Sie sind ständig unterwegs: Heute Aserbaidschan, morgen Korea, übermorgen Los Angeles. Wer macht Ihren Terminplan?
Ich selbst! Meistens weiss ich etwa ein, zwei Monate im Voraus, was genau passieren wird. Aber ich habe auch immer wieder ein paar unverplante Tage, die ich spontan ausfüllen kann. Ein Teil der Termine hängt mit meinem aktuellen Projekt ab, der andere von Jobs für verschiedene Marken.

Aber wer bezahlt für all die Flüge, die Hotels, die Taxis?
Das ist verschieden. Ungefähr die Hälfte der Reisen mache ich auf Einladung. Also sind die Spesen gedeckt. Wie zum Beispiel letzte Woche: Da war ich an den Central European Fashion Days in Budapest. Die wollen, dass ich dort rumlaufe und ein paar Bilder für meinen Blog mache.

Das reicht denen?
Ja. Kommt aber auf den Deal an. Manchmal gebe ich auch noch Interviews oder halte einen Vortrag. Es geht also um meine Berichterstattung und die Aufmerksamkeit der Presse, die durch mich auf den Event gelenkt wird.

Erhalten Sie viele Einladungen dieser Art?
Alle zwei Tage will mich jemand unbedingt irgendwohin fliegen. Es ist verrückt. Ich kriege E-Mails wie: «Hi Yvan! Ich mag die Bilder, die du in Peru gemacht hast. Warst du schon mal in Panama?» - Und schliesslich schaffen es diese Leute meistens, irgendeinen Sponsor an Land zu ziehen, um mich einfliegen zu lassen. Ich kann längst nicht alle diese Angebote annehmen.

Und dann kommen Sie an, lichten per Schnappschuss ein paar schräge Leute ab und gehen wieder?
Nein, nein, ich versuche wirklich einzutauchen. Ich unterhalte mich mit den Leuten und schaue mir alles ganz genau an. Ausserdem hab ich mittlerweile zwei Blogs: Auf Facehunter geht es um den Style der Leute, auf dem anderen um die Atmosphäre an diesen Events und in diesen Städten. Bilder aus dem Backstage, Bilder von der Party, Bilder vom Catwalk, Bilder von der Architektur, Bilder von der Strasse. Und alles wird via Social Media verbreitet.

Können Sie vielleicht einen durchschnittlichen Tag in Ihrem Leben beschreiben? Eine gewisse Routine wird es wahrscheinlich auch in Ihrem Vagabundenleben geben, oder?
Sie haben recht: Auch als Ewigreisender entwickelt man gewisse Routinen. Mein durchschnittlicher Tag sieht wohl etwa so aus: Ich wache um vier, fünf Uhr morgens auf, mache mich auf den Weg zum Flughafen, bearbeite einige Bilder bevor ich in den Flieger steige, schlafe zwei Stunden an Bord, komme in einer neuen Stadt an, gehe zum Hotel, erledige einige organisatorische Sachen. Den Nachmittag versuche ich wenn immer möglich unterwegs, auf den Strassen der Stadt, zu verbringen. Abends ist dann meistens irgendwas los: Eine Ausstellung, eine Party, ein Modeevent, ein Konzert. Ich gehe sehr spät nach Hause. Manchmal nur, um kurz zu duschen, meine Sachen zu packen und weiterzufliegen.

Das überlebt ja keiner.
(lacht) Na ja, so ist es schon nicht ganz jeden Tag. Wenn immer möglich, versuche ich an jedem Ort mindestens drei bis vier Tage zu verbringen. Sonst kommt man gar nicht richtig an. Aber manchmal ist’s halt nicht anders möglich.

Welchen Einfluss haben Sie auf die Modebranche?
Während der letzten paar Jahre hat der Boom der Mode- und Streetstyleblogs dafür gesorgt, dass den Leuten klar wurde, dass Inspiration nicht nur von ein paar ausgewählten Modezeitschriften ausgeht. Jeder kann sich heute Gehör verschaffen. Jeder kann ein Modestatement abgeben. Ich versuche jeden Tag etwas Anderes zu zeigen – jenseits jedes Trendkonzepts. Ich will Menschen zeigen, die sich durch ihr Äusseres, durch ihre Kleidung frei ausdrücken. Ich will aufzeigen, dass die Möglichkeiten grenzenlos sind.

Ihr Blog ist eine Inspirationsquelle für die Modeszene. Sind Sie auch als Berater tätig?
Ja. Es geht dabei allerdings meist weniger um Mode als vielmehr um Social Media. Viele Marken wissen noch immer nicht genau, welche Digitalstrategie sie fahren soll, welche Inhalte sie über Twitter, Facebook und Instagram verbreiten sollen.

Wie wird man zum erfolgreichen Blogger?
Konstanz ist wichtig, ganz klar. In dem Geschäft gibt es mittlerweile so viel Konkurrenz, da muss man einfach sichtbar bleiben –  und zwar auf allen möglichen Kanälen. Auf den Blogs, auf Facebook, Twitter, Pinterest, und allen Plattformen. Die Leute müssen deinem Namen immer und immer wieder begegnen. Das Wichtigste ist aber, dass man etwas Einzigartiges macht. Streetstyle-Blogs gibt’s wie Sand am Meer. Die meisten werden aber von irgendwelchen Girls betrieben, die ständig Bilder von sich selbst posten.

Darf ein guter Blogger nicht eitel sein?
Eitel ist jeder. Es darf einfach nicht zu egozentrisch werden. Viele Blogger sind das Zentrum ihres eigenen Bloginhalts. Ich will, dass mich die Leute wegen meiner Arbeit schätzen – nicht wegen meinem Gesicht.

Was braucht ein Bild, damit es die Aufmerksamkeit der Leute auf einer Social-Media-Plattform wie Facebook erregt?
Das Motiv muss irgendwo in der Mitte zwischen etwas Bekanntem und etwas Irritierendem, Frischem, Überraschendem liegen. Der Betrachter muss sofort eine Beziehung aufbauen können. Wenn etwas komplett neu ist, geht das nicht. Wenn etwas zu langweilig daherkommt, natürlich auch nicht.

Sie stammen aus Vevey, haben später als Werbetexter in Genf und Paris gearbeitet. Waren Sie gut?
Nun, wenn man in der Schweiz für eine Agentur arbeitet, ist man ziemlich eingeschränkt. Die Claims, die was taugten, entstanden erst später in Paris. Aber mir fällt grad keiner ein, sorry. Zu toll werden sie in dem Fall nicht gewesen sein.

Warum haben Sie aufgehört?
Mir hat die Zeit als Werbetexter durchaus Spass gemacht. Aber mit dem Blog bekam ich nach ein paar Monaten so viel positives Feedback, dass ich mich entschloss, voll auf diese Karte zu setzen. Das war so viel aufregender als in der Agentur zu sitzen. In Theorie ist das ein guter, kreativer Job. Aber in Tat und Wahrheit wird’s schnell frustrierend, wenn man tagtäglich Ideen entwickeln muss, von denen die grosse Mehrheit im Abfall landet.

Sie haben in Interviews schon mehrfach betont, dass die Schweiz in Sachen Streetstyle tiefste Provinz darstellt. Drücken die Schweizer ihre Persönlichkeit zu wenig aus?
In der Schweiz ist man diskret und bescheiden, will um keinen Preis auffallen. Hier gilt die Regel: Wenn du nicht was wirklich Wichtiges zu sagen hast, dann hältst du den Mund. Die Schweizer mögen praktische, bequeme Kleidung.



Sie sind Schweizer. Und Sie verstecken sich hinter der Linse. Heisst das, Sie haben die gleichen Eigenschaften?
Ich verstecke mich nicht: Ich bin zwar nicht der Mittelpunkt meiner Arbeit, aber ich tauche immer mal wieder auf den Bildern auf. Ich bin kein Exzentriker, aber ich bin wohl freier im äusserlichen Ausdruck meines Charakters als der durchschnittliche Schweizer. I do my thing. Ich lebe in einer völlig globalisierten Welt.

Sie wohnen seit einiger Zeit in London. Wie viele Nächte haben Sie in diesem Jahr schon in Ihrer Wohnung verbracht?
(lacht) Nicht sehr viele! Höchstens vier, fünf Tage pro Monat, würde ich sagen.

Eine sehr hypothetische Frage: Wenn Sie sich selber auf der Strasse rumlaufen sähen, würden Sie dann ein Bild machen?
Meistens nicht. Nur hin und wieder mal.

Interview: Adrian Schräder, Bilder: Yvan Rodic/Facehunter



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