02.03.2011

Polo Hofer

"Die meisten Musiker haben keine Ahnung von Marketing"

Ehre, wem Ehre gebührt: An den am Donnerstag stattfindenden 4. Swiss Music Awards wird Mundart-Legende Polo Hofer mit dem Outstanding Achievement Award ausgezeichnet. "Sehr beeindruckt bin ich nicht mehr", sagt er dazu im Gespräch mit "persoenlich.com" und erklärt, wie er sich die Mechanismen des Marketing und der Werbung zu nutze machte, um seine Karriere anzuschieben - und ausserdem, welchem Geschäftszweig er sich in seinem nächsten Leben widmen wird. Das Interview:
Polo Hofer: "Die meisten Musiker haben keine Ahnung von Marketing"

Polo Hofer, Sie erhalten an den Swiss Music Awards den Outstanding Achievement Award. Haben Sie den verdient?

Ja, klar! Ich bin daran beteiligt, dass heute so etwas wie "Swissness" passiert. Und zwar, weil ich die Mundart in die Popmusik eingeführt habe, weil Mundart zu Identität führt, das heisst zum Gefühl der Stammeszugehörigkeit derer, die diese Sprache verstehen. Das hat eine Bewegung unter den jungen Musikern ausgelöst und hilft gegen die Orientierungslosigkeit vieler Leute.

Das kam jetzt wie aus der Pistole geschossen. Waren Sie schon immer so selbstbewusst und unbescheiden?

Nein, das sage ich so zum ersten Mal. Aber jetzt habe ich ja die Bestätigung dafür. Nun wird mir Anerkennung zuteil.

Vor ein paar Tagen wurden die Oscars verliehen. Ist dieser Preis gleich bedeutend für Sie?

Nein, aber gleich bedeutend wie ein Grammy. Das wäre ja die korrekte Entsprechung.

Ernsthaft: Haben die Swiss Music Award bei ihrer vierten Vergabe schon so viel Bedeutung?

Puh. Ich hab schon dreimal den Prix Walo bekommen und früher in den Siebziger Jahren etliche von diesen Popschlümpfen und goldenen Hammern. Anerkennung hab ich auch schon viel bekommen. In Interlaken ist ein Platz nach mir benannt, der Amman-Hofer-Platz. Ganz ehrlich: Sehr beeindruckt bin ich nicht mehr.

Und jetzt kriegen Sie noch einen Betonklotz. Wo stellen Sie den hin?

Bis jetzt habe ich alle Preise für einen guten Zweck versteigert.

Für die eigene Hanfplantage?

Nein. Das Geld ging an die Bergbauern.

Löblich! Im Moment erleben wir ein sehr hitziges politisches Klima – national wie international. Die Fronten zwischen links und rechts haben sich verschärft. Wieso gibt es dazu noch keinen Song von Polo Hofer?

Ich verfolge die Geschehnisse sehr genau. Bei uns im Kanton Bern stehen bald Ständeratswahlen an. Da tut sich der Graben zwischen diesen Fronten auch auf. Ich bin umzingelt von der SVP. Ich weiss nicht aber, ob man das in einem Song darstellen kann. Das sind einfach zwei sehr starke Pole, die zurzeit wirken. Als wir 1971 mit Rumpelstilz anfingen, war gerade die Affäre Schwarzenbach in vollem Gang. Das war eine ähnliche Situation. Wir haben dann einen "Pro Fremdarbeiter"-Song gemacht. Er heisst "El Trabajador". Insofern ist Popmusik auch ein Spiegel der Zeit. Bis heute.

Aber wieso ist Ihnen jetzt nicht danach über die heutige Situation einen Song zu machen, wenn Sie sich doch von der SVP umzingelt fühlen?

Ich war immer interessiert an der Nachhaltigkeit eines Themas; wenn es abgehakt ist, ist ein Song darüber auch nicht mehr interessant. Ich beschäftige mich gerade mit einem anderen Projekt: Bob Dylan wird Ende Mai 70. Ich arbeite an einem Tribute-Album mit Übersetzungen.

Dylan würde das aufgreifen, denken Sie nicht?

Auch er ist moderater geworden. Ich habe ihn genau studiert. Er geht heute anders mit solchen Themen um als am Anfang seiner Karriere.

Macht man das denn nicht, weil es gewisse Fans vergraulen könnte oder weil sich die Thematik nicht anbietet?

Die Frage ist eher, wen das überhaupt interessiert. Ich glaube nicht, dass die Leute sich ständig über politische Themen den Kopf zerbrechen wollen. In unserem Land sind ja nur vier Prozent der Bevölkerung in einer Partei. Und noch lange nicht alle lesen Zeitung.

Wie steht es generell um die Korrelation zwischen textlichem Gehalt und dem Erfolg eines Songs? Ein botschaftsschwangerer Text macht selten einen erfolgreichen Song, richtig?

Das kommt darauf an. Aber wenn ein Text allgemeine Wahrheiten enthält, kann er jahrzehntelang Gültigkeit haben. Ich hätte nie gedacht, dass meine Songs "Kiosk" und "Alperose" sich für immer im Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung verankern würden. "Alperose" ist ja quasi zur Ersatznationalhymne geworden. Ein anderes Beispiel: Mit dem Song "Hopp Schwiiz" hatte ich mich ursprünglich gegen die damals geplante Winterolympiade 1984 im Berner Oberland gewendet. Aber die Leute haben gedacht, ich singe eine Lobeshymne! Das kann einem eben auch passieren, dass Satire und Ironie nicht verstanden werden.

Marketingprofi Urs "Polo" Hofer bei einem Glas Weisswein in seinem Wohnort Oberhofen am Thunersee. (Alle Bilder: Alice Hofer)

Ist "Alperose" nicht ziemlicher Kitsch?

(Lacht) Wenn man eine Überdosis davon kriegt, vielleicht schon. Aber ich beschreibe im Song ja keine heile Welt. Der Song hat kein Happy End. Es ist einfach der Beschrieb von einer Begegnung in der Alpenwelt, plus eine sackstarke Melodie von Hanery Amman. Man könnte auch was ganz Anderes dazu texten und es würde funktionieren. Es ist unglaublich, was mit dem Song immer noch passiert. Ich wohne in Oberhofen neben einem Schulhaus. Die Kinder grüssen mich mit "Grüessech, Herr Alperose!" – Die lernen das im Musikunterricht.

Eine gute Einnahmequelle, so ein Song.

Ja, der rentiert nicht schlecht, das muss ich sagen. Die Hälfte der Einnahmen geht an Komponist Hanery Amman. Er hat die geniale Melodie geschrieben.

Wie sind heute die Strukturen für junge Schweizer Musiker, die nicht so einen Hit in der Tasche haben?

Schwierig. Ich selber bin sehr froh, dass wir uns seinerzeit eigene Strukturen aufgebaut haben. Wir hatten viele Angebote von der Industrie, aber wir haben dankend verzichtet. Aber ein Label zu gründen ist wie eine KMU gründen, dessen muss man sich bewusst sein.

Das kann Ihnen nicht jede Band gleich tun.

Stimmt. Leider haben die meisten Musiker einfach keine Ahnung von Marketing.

Haben Sie denn Ahnung von Marketing?

Aber ja. Ich komme aus dem grafischen Gewerbe. Ausserdem war ich lange Journalist, habe für die "Berner Zeitung" geschrieben. Ich habe etliche Plattencover für meine eigenen Bands entworfen. Alles was mit Grafik und mit der Presse zu tun hatte, war mein Ressort. Der Umschlag des ersten Krokus-Albums stammt zum Beispiel auch von mir. "Icebreaker" heisst die Scheibe.

Was bedeutet denn Marketing heute für eine Schweizer Band? Wie macht die sich am besten bekannt?

Sehr schwierig. Die Konkurrenz ist heutzutage enorm. Auf dem Portal MX3 sind alleine 16'000 Schweizer Bands angemeldet. Aber nur die, die wirklich etwas Originelles machen, schaffen es in den Fokus der Medien. Die Radios haben immer noch einen grossen Einfluss. Sie sollten halt einfach wieder ein bisschen waghalsiger werden. Zurzeit herrscht ein Einheitsbrei, da sind musikalische Innovationen gefagt, die dann auch von den Radiomenschen gespielt werden.

Hand aufs Herz: Dass Sie’s geschafft haben, war das Glück oder Genialität?

Scharfsinn. Dem Ganzen gingen eine ganze Reihe von Überlegungen voraus: Wie vorgehen? Welche Musiker zusammentrommeln? Mit welchen Leuten zusammenarbeiten? Ausserdem muss man die Mechanismen der Werbung kennen und für sich nutzen können.

Also ging der Karriere von Polo Hofer eine klare Analyse voraus?

Natürlich. Wir haben uns das mit der Mundart lange überlegt. Vor mir gab es nur das Trio Eugster und "Grüezi wohl, Frau Stirnimaa". Irgendwann hab ich gemerkt, dass das mit den Coversongs nirgends hinführt. Man muss etwas Eigenständiges machen. Das war Überzeugungsarbeit: Ich habe meinen Mitmusikern erklärt, dass wir automatisch Gigs in der Umgebung bekommen, wenn wir Songs auf Mundart machen. Bald ging’s Schlag auf Schlag: Ein Gig nach dem anderen und schon bald die erste LP. Die hiess "Vogelfueter". Vorne drauf eine von mir gezeichnete Hanfpflanze. Das war natürlich auch Marketing: So hatten wir alle Kiffer auf unserer Seite.

Kommen wir zur Werbung: Sie werben unter anderem für die PostFinance. Wann wird Polo zum Werbeträger?

Wenn es der grösseren Allgemeinheit dient – sei’s als Information oder Motivation. Beispielsweise warb ich für Radio 24, Stop AIDS, Hopp-CH-Fussball EM/WM, Rivella, Mars, Ramseier Most und viele weitere. Vom Geld ist das nicht abhängig. Als Nächstes werde ich mich für die Organisation Roadcross gegen die Raser stark machen. Das halte ich für extrem sinnvoll. Ich habe zu dem Thema auch schon einen Song aufgenommen. Er heisst "Arschloch".

Aber würden Sie zum Beispiel auch für einen Sockenhersteller werben? Gute Socken dienen auch der Allgemeinheit.

Ha! Jetzt sind wir beim Thema: Klar würde ich für Schweizer Socken werben. Ich war sogar schon in der Rohner-Fabrik und hab mich informiert. Denn: Im nächsten Leben werde ich Herrensocken-Designer.

Wirklich? Was reizt Sie denn daran?

Blöde Frage! Das Angebot bei Herrensocken ist monoton und einfältig, ist Ihnen das noch nie aufgefallen? Äs mues öppis gah! – Die haben sich übrigens ausgesprochen gefreut, als ich auf Besuch kam. Ich hatte dann auch viele Fragen. Zum Beispiel, ob es möglich wäre, einen Elfantensocken mit angenähten Ohren und Rüssel herzustellen. Mir schweben auch spezielle Fasnachts-Kollektionen vor.

Sie sind schon ewig in der Schweizer Musikszene unterwegs. Wer ist eigentlich neben Ihnen der coolste Typ?

Da kenn ich gleich ein paar. Endo Anaconda und Kuno Lauener zum Beispiel. Die sind mir beide was wert. Mit denen in der Beiz zu sitzen, ist inspirierend.

 

(Interview: Adrian Schräder)

 



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