09.11.2014

Rock Covers

Eyecatcher für die Ohren

Musik ist Musik. Musik spricht für sich. Trotzdem ist die Verpackung nicht ganz unentscheidend: Jeder kennt das nach Geld tauchende Baby auf dem Nirvana-Album "Nevermind" (siehe Bild), jeder die vier Typen, die über einen Zebrastreifen in London marschieren. Ein kraftvolles Cover kann die Ausstrahlung und Wirkung einer Langspielplatte massgeblich beeinflussen. Mit "Rock Covers" ist im deutschen Taschen Verlag vor wenigen Tagen ein hervorragendes Buch über die Gestaltung legendärer Rockmusik-Hüllen erschienen. Ein Interview mit Herausgeber Julius Wiedemann.
Rock Covers: Eyecatcher für die Ohren

Herr Wiedemann, Sie haben ein Buch mit ikonischen Covers der Rockgeschichte zusammengestellt. Wenn Sie selber an Ihre Plattensammlung denken: Welches Cover sticht da besonders heraus? Welches kommt Ihnen als Erstes in den Sinn?
Julius Wiedemann: "Nevermind" von Nirvana. Das ist eines meiner absoluten Lieblingscovers! Da steckt auch eine gute Story dahinter: Kurt Cobain wollte die Platte eigentlich „Sheep“ nennen, im Sinn von: Wir Menschen sind Schafe und trotten stets dem Geld hinterher und so. Schliesslich änderten sie den Titel aber in „Nevermind“. Das Buch ist voller solcher Geschichten – und ich denke, deshalb bietet es auch sehr gute Unterhaltung.

Im Buch sind 750 Cover abgebildet. Wie sind Sie bei der Zusammenstellung vorgegangen?
Wenn man ein Buch dieser Art zusammenstellt, muss man zehnmal mehr Material durchforsten als man schlussendlich verwendet. Wir haben eng mit zwei Autoren zusammengearbeitet, die Platten und Plattencover sammeln und bereits zu diesem Thema publiziert haben. Um dann die Auswahl zu treffen, haben wir verschiedene Kriterien berücksichtigt: Legendäre Platten, schöne Platten, Plattencover mit einer schönen Geschichte und Platten, die man kaum findet. Wir haben auch viele Bestenlisten verglichen, um unsere Auswahl herauszufiltern.

Was macht ein gutes Cover aus? Was sorgt für den Hingucker-Effekt? Manche dieser Platten sind so schön, dass man sie ja tatsächlich nur wegen dem Cover erwerben möchte.
Für mich gibt es drei Faktoren, die generell für gutes Design entscheidend sind. Erstens muss es innovativ sein. Es muss sich also von dem abheben, was die anderen Mitstreiter anbieten. Zweitens muss die Ausführung stimmen, muss es also qualitativ gut gefertigt sein. Und drittens sollte es beständig sein, Geschichte schreiben, eine Spur hinterlassen. Ich würde sagen, die Cover, die wir ausgewählt haben, erfüllen alle mindestens eines dieser drei Kriterien.



Hinter einem guten Cover steckt meistens auch eine gute Geschichte. Die Beste, die Ihnen einfällt?
Der amerikanische Fotograf Henry Diltz war von The Doors engagiert worden, um Bilder für das Cover ihres neuen Albums zu machen. Zufällig stiess er in Downtown LA auf das Morrison Hotel. Dummerweise wollte der Hotelmanager sie dort nicht fotografieren lassen. Frustriert rauschte die Truppe wieder ab und beratschlagte draussen auf der Strasse, was nun zu tun wäre. Alle waren niedergeschlagen. Da sah Diltz aus dem Augenwinkel, wie der Manager das Gebäude verliess. Sie rannten wieder hinein und nahmen in wenigen Minuten jene Bilder auf, die heute jeder kennt. Eigentlich eine illegale Handlung. Aber auch eine Lektion darin, wie in einer sich ständig entwickelnden demokratischen Gesellschaft aus Regelbrüchen tolle Dinge entstehen können.

Wie stösst man auf die Geschichten dahinter?
Durch intensive Nachforschungen. In manchen Fällen ist es uns gelungen, jemanden zu finden, der direkt am Entstehungsprozess beteiligt war. Wir haben also mit Grafikern, mit Künstlern, mit Fotografen oder mit Leuten von den Labels geredet – sofern wir sie ausfindig machen konnten. Das Internet reicht als Quelle definitiv nicht aus. Wir haben tonnenweise alte Zeitschriften und Archive durchforstet.

Stimmt eigentlich die Gleichung spannendes Cover = spannende Musik?
Nicht immer. Viel eher sorgt gute Musik dafür, dass auch die dazugehörigen Cover Kultstatus erhalten. Aber die meisten tollen Bands und Künstler sorgen sich sehr darum, wie sie dargestellt werden. So sehr, dass sie sich nicht nur mit der Musik, sondern auch mit allem Drumherum beschäftigen. Im Fall von „Abbey Road“ hat Paul McCartney auch die visuelle Konzeption übernommen. Sprich: Auch wenn Cover und Musik nicht zwingend aus einer Hand stammen müssen, sind sie oft sehr eng verknüpft. Ganz einfach, weil die Leute, die dahinterstecken, kreativ und revolutionär sind und sich das in allen Bereichen, und nicht nur in der Musik, äussert. 

Gibt es einen Grafiker, der über Jahrzehnte für ikonisches Artwork gesorgt hat?
Da gibt es gleich mehrere. Zum Beispiel Storm Thorgenson, der "The Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd gestaltet hat. Oder Vaughan Oliver, der die Pixies durch mehrere Jahrzehnte begleitet hat. Früher standen da viel öfter Künstler dahinter. Leute, die mit den Bands eng befreundet waren und sich intensivst mit der Arbeit der Musiker befasst haben.



Sind die Cover schlechter geworden in den letzten Jahren?
Schwer zu sagen. Sie kommen sicher anders daher. Und sie haben – aufgrund von zwei Faktoren – viel von ihrer Durchschlagskraft verloren. Zum einen sind sie im digitalen Zeitalter viel kleiner geworden. Das schränkt die Wirkung ein. Die grosse Leinwand einer Langspielplatte gab den Grafikern viel mehr Spielraum, um komplexere Dinge auszuprobieren. Die Leuten kauften zum Teil auch Platten, weil sie sich einfach Kunst in die Wohnung stellen wollten. Zum Teil kommen wir ja derzeit wieder dahin zurück.
Zum anderen haben wir ein unglaubliches visuelles Überangebot heutzutage. Wir werden mit Bildern in allen Formen und Farben geradezu bombardiert. Wir hatten früher einfach viel mehr Hirnmasse übrig, um diese schönen, grossen Bilder aufzunehmen und zu verarbeiten.

Klar: Die Beatles mit ihren unterschiedlichen Phasen sind prominent vertreten, genauso Grateful Dead mit drei ihrer Platten oder Jimi Hendrix. Hatten die erfolgreichsten Künstler früher auch die besten Cover?
In sehr vielen Fällen. Aber nicht weil sie die Infrastruktur zur Verfügung hatten, sondern weil sie etwas zu sagen hatten und dies auch kommunizieren wollten. Im Rock ging es nicht nur um Musik. Es ging auch um Mode, um einen Lebensstil, eine Art zu denken, darum den Status Quo in Frage zu stellen. Das Alles spielte da mit.

Ikonische Cover sind immer wieder adaptiert und imitiert worden. Welchem würden Sie huldigen, würden Sie denn ein Album veröffentlichen?
Einem Album von Pink Floyd. Praktisch alle ihrer Cover sind beschaulich und verblüffend. Einfach auch, weil sie den Künstlern die kreative Freiheit überliessen.

Interview: Adrian Schräder/Bilder: zvg


"Rock Covers" (Taschen Verlag) ist eine Hommage an eine ganz besondere Kunstform. In dieser Anthologie sind über 750 Cover legendärer oder rarer Alben von so unterschiedlichen Acts wie The Sex Pistols, Pink Floyd, The Cure, Iron Maiden und Sonic Youth abgebildet.

Zu jedem Plattencover gibt es ein Factsheet, 250 Cover werden ausführlicher besprochen. Fünf Interviews mit Fachleuten aus der Musikbranche machen sich um den historischen Kontext verdient, und zehn leidenschaftliche Sammler von Rockplatten stellen ihre persönliche Top-Ten-Liste vor.



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