26.11.2014

Beobachter

"Die Redaktionen haben sich dem Tempodiktat zu schnell ergeben"

Chefredaktor Andres Büchi sieht schwarz für den Journalismus.
Beobachter: "Die Redaktionen haben sich dem Tempodiktat zu schnell ergeben"

Andres Büchi sieht schwarz für den Journalismus: Geschwindigkeit, "Fühlen statt Verstehen" und viel Oberflächliches würden die ganze Branche schädigen und die Demokratie bedrohen, sagt der "Beobachter"-Chefredaktor im Gespräch mit persoenlich.com. Von seinen Berufskollegen fordert er mehr Nachhaltigkeit. Sein Magazin hat in den letzten Jahren zwar auch viele Leser verloren, doch es ist beliebt und gilt als sympathische Marke. Was ist das Erfolgsgeheimnis? Und warum hat Büchi durchaus Sympathien für die Ecopop-Vorlage?

Herr Büchi, wie wird die Abstimmung zu Ecopop ausgehen?
Ein knappes Nein, hoffe ich.

Durch die "Beobachter"-Ratgeberfunktion und viel Kontakt mit den Lesern haben Sie bestimmt ein gutes Gespür für die Stimmungen der Bevölkerung. Können Sie bei Abstimmungen jeweils treffsicher voraussagen, wie das Volk tickt?
(
lacht). Bei der Masseneinwanderungsinitiative rechnete ich persönlich mit einem Ja. Aber ansonsten haben wir die genau gleichen Diskussionen auf unserer Redaktion wie auf andern Redaktionen auch – und liegen auch mal daneben.

Sie haben sich wahnsinnig aufgeregt über einen Text von Daniel Binswanger, der die Ecopop-Initiative als "faschistoid" bezeichnet.
Dieser Vorwurf ist einfach lächerlich. Daniel Binswanger schrieb, bei der Ecopop-Vorlage gehe es um "Geburtenkontrolle" in Afrika. Doch es geht um die "Förderung der freiwilligen Familienplanung". Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die Kategorisierung "faschistoid" halte ich für manipulativ.

Der "Beobachter" lässt sich bei vielen Vorlagen politisch nicht klar verorten, doch Ihr Editorial vom 3. Oktober ist deutlich Pro-Ecopop.
Ich halte es für wichtig, sich vor Augen zu halten, wie die Schweiz in zehn oder zwanzig Jahren aussehen dürfte. Aus dieser Perspektive erscheint eine Korrektur des quantitativen Wachstums sinnvoll. Die Ecopop-Vorlage ist allerdings sehr starr und dadurch riskant. Aber die zentrale Frage ist doch, ob wir mit einem Ja oder einem Nein künftig besser da stehen werden. Für mich ist die Antwort mehr als offen. Denn dieses enorme Wachstum wird auf Dauer nicht haltbar sein. Daher muss man sich fragen, wie die Schweiz langsam von diesem quantitativen Wachstumspfad wegkommen kann. Es ist schade, dass wir uns bisher nicht in der Lage gezeigt haben, eine richtige Debatte zum Thema Wachstum zu führen.

Was für eine Debatte vermissen Sie?
Alle Leute wissen, dass wir alles permanent beschleunigen. Wir beklagen immer mehr Leute mit Burn-out. Wir bauen unser Land in rasendem Tempo zu. Immer mehr Leute fallen vom schnellen Wirtschaftszug. Was ist nun besser? Können wir irgendwann langsam bremsen? Oder müssen wir uns jetzt selber zur Verlangsamung zwingen, indem wir beispielsweise diese Ecopop-Vorlage annehmen und in Kauf nehmen, dass es uns einige Jahre deutlich schlechter geht? Vielleicht mobilisieren wir dadurch ja ganz neue Kräfte und stehen in zehn Jahren besser da. Ich selber habe keine ganz klare Position bei Ecopop. Ich finde dies eine ganz schwierige Entscheidung. Doch was mir auffällt: Die Gegner der Initiative tun so, als käme alles gut, wenn wir nur diese Initiative ablehnen. Das bezweifle ich.

Das heisst, Sie selber werden Ja stimmen.
Ich masse mir nicht an, die beste Antwort zu kennen. Wie ich selber abstimmen werde, ist deshalb nicht relevant.

Wenn Sie an Ihre Leser denken: Wie geht es den Schweizern?
Die Schweizer fühlen sich sehr unsicher und sind in einer Art Abwartemodus. Viele – nicht nur Schweizer - scheinen darauf zu warten, dass irgendein grosses Ereignis kommen wird. Das ist eine gefährliche Haltung, die eine selbstverantwortliche Zukunftsgestaltung hemmt, während die Gefahr sozialer Spannungen steigt.

Sie meinen, dass einer der umliegenden Konflikte eskalieren wird.
Es gibt externe Gefahren, beispielsweise die Differenzen zwischen Europa, Amerika und Russland, den permanenten Konflikt im Nahen Osten, den Terrorstaat IS und über alles gesehen eine Finanzwelt, die jederzeit einen dramatischen Einbruch erleiden kann. Das realisieren die Menschen. Und daraus ergibt sich diese Angst. Die Politik hat die richtigen Lösungen nicht bereit. Der Journalismus muss darum die Leute in ihrer Situation abholen und ihnen möglichst gut erklären, dass niemand ein Rezept für die Zukunft hat und was diese Tatsachen für uns bedeuten könnten.

Das tönt jetzt dramatisch und niederschmetternd.
Viele Leute in der Schweiz haben Abstiegsängste. Sie fürchten sich davor, dass es nicht so weitergehen wird wie bis anhin. Man fürchtet sich davor, dass man aus seinem Job gedrängt, dass die Schweiz zugebaut oder unser Sozialsystem aus dem Ruder laufen wird. Diese Ängste machen sich zum Teil an der Zuwanderung fest. Doch dies greift sicher zu kurz. Wenn die Schweiz ihre eigenen Ressourcen jedoch erkennt und auf diese setzt, wenn wir alle uns sagen, dass es kein Zuckerschlecken gibt und wir uns jeder in seiner Position bestmöglich anstrengen, können wir auch in Zeiten des Umbruchs, wo es rundherum in Europa schwierig werden dürfte, unsere Qualitäten bewahren.

Haben auch Journalisten solche Abstiegsängste?
Ja, natürlich. Wir sind in dieser Branche im Auge des Sturms. Doch bei uns ist die Digitalisierung die noch wichtigere Entwicklung, die das gesamte Gefüge so stark verändern wird, wie wir es uns jetzt noch gar nicht vorstellen können: Der Zwischenhandel wird mehr und mehr ausgeschaltet, Läden werden verschwinden und es wird zunehmend übers Internet eingekauft. Diese Veränderungen setzen einen souveränen Konsumenten voraus, der nicht nur menügeführt schnell Ja oder Nein klickt, sondern weiss, was er damit auslöst und welche Verträge er damit eingeht. Bei der Frage, wie man sich in der neuen digitalisierten Welt als Konsument bewegt, muss der Journalismus Orientierung bieten.

Wie ist beim "Beobachter" das Verhältnis zwischen Print und Online?
"
Qualitativer Journalismus ist nicht auf Papier angewiesen", diese Devise gilt auch bei uns. Doch die Realität zeigt etwas anderes: In Online-Bereich werden von Journalisten vielerorts zwei bis drei Storys pro Tag erwartet, da kann man sich ausmalen, wie tief man recherchieren kann für diese Art von Text.

Wie geht es dem "Beobachter" und wo sehen Sie die Zukunft?
Natürlich spüren auch wir den globalen Trend der sinkenden Bedeutung des Print. Doch weil wir so diversifiziert sind, stehen wir sehr gut da. Wir sind eine vertrauenswürdige Marke. Noch etwa ein bis drei Jahre müssen wir durchhalten, dann wird es sich auszahlen, dass wir derzeit unser Niveau halten. Denn auch künftig wird es einen Markt geben für qualitativ guten Journalismus. Die Leute werden sich besser und gründlicher informieren wollen und dafür auch zahlen.   

Wie sehen Sie die Zukunft der gesamten Branche?
Wir müssen aufpassen, dass wir den Journalismus nicht kaputt machen. Es hat eine Tendenz zum Billig- und Schnelljournalismus gegeben, die ich für gefährlich halte. Viele junge Journalisten sind hervorragend ausgebildet und landen dann in Onlinekanälen, wo sie darauf konditioniert werden, beim kleinsten Nachrichtenhäppchen sofort ins Hypern zu kommen und eine Kurzmeldung zu verschicken.

Sie schieben die Schuld am "Schnelljournalismus" auf die Jungen?
Nein. Die Redaktionen haben sich dem Tempodiktat zu schnell ergeben. Man ordnet der Maxime Beschleunigung alles unter. Dies ist jedoch gefährlich für den Journalismus. Bei neun von zehn Meldungen ist es doch gar nicht relevant, ob die Leser heute, morgen oder übermorgen davon erfahren! Doch wir tun heute so, als wäre für jede Meldung das Hauptkriterium, wie schnell sie draussen ist. Dies ist destabilisierend für einen guten Journalismus. Wenn die Medienhäuser und wir alle nicht aufpassen, dann tun wir uns selber mit diesem Tempowahn keinen Gefallen.

Wird es eine Gegenentwicklung geben?
Grosse Titel müssen hier entschieden gegensteuern. Wir müssten viel klarer unterschieden, welche Informationen schnell beim Leser sein müssen und wo sich die Redaktionen bewusst mehr Zeit lassen können. Diese Unterscheidung wird heute oft zu wenig konsequent gemacht. Im Gegenteil: Wir züchten unsere Leser dahin, nur noch durch den digitalen Newsroom zu hetzen. Was viele Klickzahlen bringt, steht zuoberst. Bei den Klickraten-Charts dominieren Texte, in denen irgendwelche individuellen Erfolgsstories gefeiert werden, die in erster Linie das Gefühl ansprechen und nicht das Rationale. Die rationale Gewichtung geht zunehmend verloren. Intensiv Fühlen ist wichtiger geworden, als wirklich zu verstehen. Das ist ein verheerender Trend.

Der "Beobachter" betreibt ja kein eigentliches Newsportal.
Nun gut, auch wir müssen im Internet aktuell sein. Doch ein Newsportal wollen wir nicht betreiben, das wäre falsch. Ich finde aber, dass die gesamte Branche mehr Mut zur Nachhaltigkeit zeigen müsste. Wir Journalisten müssen nachhaltige Texte produzieren wollen. Journalisten müssen dies gegenüber den Vorgesetzten einfordern und die Vorgesetzten müssen dies auch wollen. Wir müssen unterscheiden zwischen ganz schnellen Medien und solchen, die eher Hintergründe liefern. Dies sollten die Medienhäuser in ihren Abteilungen konsequent durchsetzen! Doch solche Bestrebungen beobachte ich heute leider zu wenig. 

Spüren Sie ein Komittement von Axel Springer?
Ja, sowohl Ralph Büchi (CEO Axel Springer Schweiz) als auch Springer-Chef Mathias Döpfner haben immer wieder in den Journalismus investiert. Sicher müssen auch wir streng auf die Kosten achten. Doch dass wir z.B. unser Magazin "BeobachterNatur", das nicht nur einen einfachen Start hatte, im Herbst nochmals neu und stark lancieren durften, zeigt doch, dass man den Dingen auch Zeit gibt und nach wie vor in guten Journalismus investiert.

Nun wurde auch dem "Beobachter" ein frisches Design verpasst (persoenlich.com berichtete)
Ja. Wir wollen dabei nicht einfach nur den Teint auffrischen, sondern den Wert der Information im Heft auch nach aussen transportieren: In einem ästhetischen, ruhigen und gelassenen Layout. Wenn das gelingt, können wir in einer Zeit, in der sich die Leute nach Werten sehnen, weil es durch die permanente Beschleunigung nur noch wenig Halt gibt, viele Leser abholen.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: zVg

 


Der "Beobachter" beschäftigt rund 35 Personen in Redaktion, Produktion und Layout für die Produkte "Beobachter", "BeobachterNatur". Weitere 35 Personen arbeiten als Experten im Beratungszentrum (Tel-Auskünfte 9-13 Uhr) und schreiben daneben Fachartikel fürs Magazin, aber auch Ratgeber für den Buchverlag Beobachter edition. Zusammen mit "Beobachter TV" (einer Co-Produktion von Beobachter und Schweizer Fernsehen, produziert von FaroTV), Verlag und Lesermarketing arbeiten rund 100 Leute für den Beobachter. Die Zeitschrift wurde 1926 gegründet. 2006 wurde sie von Axel Springer übernommen. Trotz vieler Besitzerwechsel steht der "Beobachter" immer noch für harte Recherchen. "Dafür haben wir immer wieder auch Prozesse in Kauf genommen. Und so viel ich weiss, haben wir die in allen wesentlichen Punkten immer gewonnen. Zudem boten und bieten wir den Leuten eine kompetente Beratung." Dies zahle sich aus, sagt Büchi: "Wir sind laut der Studie Media-Brands 2014 die stärkste und sympathischste Medienmarke der Deutschschweiz." (eh)

 

 

 



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