22.06.2015

Breaking News

Sechs Nachrichtenportale - sechs Push-Strategien

Zurückhaltend oder offensiv: Wie handhaben die Schweizer Newsportale den Umgang mit Push-Meldungen? Nach der Analyse "Die fünf Push-Typen" von letzter Woche präsentiert persoenlich.com heute die Umfrage bei den Verantwortlichen von NZZ, "Tages-Anzeiger", SRF, "20 Minuten", "Blick" und "Watson". Ihre Credos könnten unterschiedlicher nicht sein.

Thomas Stamm, Leitender Redaktor Mobile & Apps "Neue Zürcher Zeitung"

"Wir üben Zurückhaltung und wollen die Streuverluste tief halten"

Die NZZ zeigt im Umgang mit Push-Meldungen wohl am meisten Zurückhaltung. Bestätigt wird dies im internen Manual, das der Leitende Redaktor Mobile & Apps, Thomas Stamm, seinen Antworten beifügt. "Der privilegierten Stellung ist unbedingt Sorge zu tragen. Wer uns aktiv die Zuneigung entzieht, ist für uns auf dem besten Kanal verloren", steht dort geschrieben. Der zuständige Mitarbeiter am Newsdesk muss - im Zweifelsfall in Absprache mit dem Tagesleiter - drei Punkte im Kopf durchgehen: Ist das Thema relevant? Stimmt der Zeitpunkt? Und hat der Push einen Nachrichtenwert? Als einzige der News Apps bietet die NZZ seit November 2014 den sogenannten "Targeted Push" an. Damit kann der Leser in den Einstellungen selbst bestimmen, aus welchen Ressorts er Meldungen gepusht bekommen will. "Wir achten auf die Abmeldungen und wollen die Streuverluste tief halten", sagt Stamm.

 

Samuel Reber, stv. Leiter "Tages-Anzeiger" Digital

"Wir haben eine Richtgrösse von fünf Pushs pro Tag"

Wer Push-Meldungen bei der Tagi-App abonniert, erhält "für die Marke relevante Breaking News, Service-Pushs mit Hinweisen auf ausgewählte Formen der Berichterstattung und Exklusiv-Meldungen zu TA-Recherchen" aufs Smartphone. Der Tagesleiter Online entscheidet, ob diese Kriterien erfüllt sind oder nicht. Er beruft sich bei der Entscheidung auf ein interes Papier, dass den Umgang mit Push-Meldungen regelt. Vorgaben bezüglich der Formulierung gibt es nicht - bloss: "Sie muss die Nachricht auf den Punkt bringen." Als einzige der sechs befragten Plattformen nennt der "Tages-Anzeiger" eine Richtgrösse von fünf Push-Meldungen pro Tag, aufgrund von aussergewöhnlichen Ereignissen oder nachrichtenarmen Tagen kann diese Zahl jedoch variieren. "Wir diskutieren laufend, wie viele Pushs adäquat sind. Manchmal ist Zurückhaltung gut. Aber auch eine offensive Taktik kann die richtige sein", sagt Samuel Reber, stv. Chefredaktor Digital.

 

Rüdi Steiner, Chefredaktor Blick.ch

"Zurückfahren? Nein, diese Überlegungen gibt es bei uns nicht!"

Beim "Blick" fallen die Antworten kurz und knackig aus - genauso wie das Push-Regelwerk: "Es gibt kein internes Papier, dass den Umgang regelt", schreibt Chefredaktor Rüdi Steiner auf unsere Anfrage. Die Kriterien sind einfach gehalten: "Eine News, die wir pushen, muss eine News sein - wenn möglich exklusiv." Den Push-Entscheid fällt am Ende der Deskleiter oder der Homepage-Manager, in Absprache mit dem Tagesleiter Online. Vorgaben bezüglich der Formulierung gibt es beim Boulevardmedium nicht. "Wir erwarten, dass die Leute die pushen, wissen was eine News ist und wie man das formuliert." Und: Mit den Pushs "zurückfahren? Nein, diese Überlegungen gibt es bei uns nicht!", so Steiner.

 

Roland Specker, stv. Bereichsleiter SRF News Online

"Be first – but first be right"

Im Leutschenbach ist man hier zurückhaltender. Es gilt: Die Korrektheit des Inhalts steht über der Geschwindigkeit. "Wir wenden konsequent die 'Zwei-Quellen-Regel' an - 'Be first – but first be right', sagt stv. Bereichsleiter SRF News Online, Roland Specker. Geschrieben steht dies auch in einem verbindlichen redaktionsinternen Dokument, das den Umgang mit Push-Meldungen regelt. Demnach schickt SRF nur "wichtige, aktuelle und relevante Neuigkeiten und Resultate aus den Bereichen News und Sport, aktuelle Kultur-Meldungen (Literaturnobelpreis, Tod berühmter Musiker, etc.), Hinweise auf Livestreams/Sondersendungen, Hinweise auf exklusive Storys, Resultate von eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen aufs Smartphone der Leser. Im täglichen Geschäft hat der verantwortliche Produzent die Entscheidungshoheit. Auch beim SRF gibt es in Bezug auf die Zahl der täglichen Push-Meldungen abgesprochene Richtgrössen. Diese könne jedoch nach aktueller Nachrichtenlage angepasst werden.

 

Hansi Voigt, Geschäftsführer und Chefredaktor "Watson"

"Wir wollen nicht dasselbe rauslassen wie die Konkurrenz"

Relevanz, Überraschungsmoment, Eigenleistung, Originalität  -  sind diese Kriterien erfüllt, wird bei "Watson" gepusht. Aber nicht nur dann: "Es kommt durchaus vor, dass eines davon nicht gegeben ist und trotzdem gepusht wird", sagt Chefredaktor Hansi Voigt. Ein internes Push-Dokument existiert, es regle dem Umgang mit Meldungen aus dem Bereich Sport sowie auch Breaking News, fügt er an. Was und wann gepusht wird entscheidet beim jungen Newsportal der Chef vom Dienst, meist in Absprache mit dem Tagesleiter. Aber auch Redaktoren bringen sich laut Voigt immer wieder in Diskussionen rund um Pushs mit ein. Gibt es Überlegungen in die Richtung "weniger ist mehr"? "Wir selektieren jetzt bereits stark bei der Auswahl der Push-Inhalte. Wir wollen nicht dasselbe rauslassen wie die Konkurrenz", sagt Voigt.
 

Peter Wälty, Leiter Digitalentwicklung und stv. Chefredaktor "20 Minuten"

"Ein Push gibt Gesprächsstoff"

Bei "20 Minuten" regelt ein Dokument namens "PushPolicy" die Handhabung von Breaking News auf Smartphones. "Push-relevant ist, was Gesprächsstoff gibt", steht dort geschrieben. Und weiter: "Relevant bedeutet erheblich, nennenswert, letztlich: der Rede wert." Eine relevante Meldung zeichne sich dadurch aus, dass das exklusive Wissen um sie ein Informationsvorsprung bedeute und sich positiv auf den Träger dieser Information übertrage. Es sei eine Information, die man nicht für sich behalte, sondern als Erster rasch unter den Kollegen verbreiten wolle. Ist der Blattmacher oder der diensthabende Newsdesk-Chef unsicher beim Push-Entscheid, schlägt das interne Handbuch einen Lackmustest vor: "Würde ich das, was ich gerade via Push erhalten habe, bei einem Nachtessen als Information in die Runde werfen?" Auch punkto Formulierung gibt es bei "20 Minuten" klare Vorgaben: "Unser Tool erzwingt die Vorgabe "Schlagzeile - Doppelpunkt - Sachzeile", sagt der stv. Chefredaktor Peter Wälty. Allein in der Deutschschweiz liefere das Portal 2,5 Millionen Pushs aus. Das erkläre auch, weshalb die Pushs von "20 Minuten" häufig später kommen als andere: "Wer wenig Abonnenten hat, dessen Push ist schneller beim Leser", sagt Wälty und kann sich damit wohl einen Seitenhieb an die Konkurrenz nicht verkneifen.
 



Im Rahmen der Analyse "Die fünf Push-Typen" hat persoenlich.com den Verantwortlichen der sechs grossen Newsportale untenstehende Fragen gestellt.

- Gibt es ein internes Paper, das den Umgang mit Pushs regelt?
- Welche Kriterien muss eine News erfüllen, damit sie gepusht wird?
- Wer entscheidet, ob ein Push gesendet wird oder nicht?
- Gibt es Vorgaben für die Formulierung und die Länge eines Pushs, wenn ja wie sehen diese aus?
- Gibt es eine Minimalzahl/Maximalzahl von Push-Meldungen pro Tag?
- Haben Sie die Kontrolle über An- und Abmeldungen von Push-Messages? Wenn ja, wie hat sich die Zahl der Abonnenten entwickelt?
- Die Zahl der Push-Meldungen von News-Portalen hat in den letzten Jahren zugenommen – gibt es Überlegungen damit zurückzufahren?

 


Umfrage: Michèle Widmer

Bilder: zVg.



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