08.10.2014

Die Zeit

Titelgeschichte zur Frage "Wie kann man die SVP stoppen?"

"Journalisten bräuchten wieder mehr Haltung", sagt Schweiz-Chef Matthias Daum.
Die Zeit: Titelgeschichte zur Frage "Wie kann man die SVP stoppen?"

In letzter Zeit werden Stimmen lauter, die nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative gegen Abschottungstendenzen antreten wollen. Rund vor Wochenfrist griff der Schweizer Medizialtechnik-Pionier und Synthes-Gründer Hansjörg Wyss in die EU-Debatte ein. In einer vielbeachteten Rede äusserte er sich deutlich gegen die Abschottungspolitik der SVP und bekundete sein Unverständnis darüber, dass bisher keine Schweizer Persönlichkeit aus Politik und Wirtschaft eine "enthusiastische Aussage ohne negativen Unterton über die EU" gemacht habe.

Die Europadebatte ist auch der Schweizer Ausgabe von "Die Zeit" ein wichtiges Anliegen. Ein Jahr vor den eidgenössischen Wahlen publiziert das Blatt eine Handlungsanleitung zur Frage "Wie kann man den Crashkurs der SVP stoppen?"  - geschrieben nicht von der Redaktion, sondern von sechs prominenten Schweizer Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Warum schreibt Matthias Daum sein Rezept gegen die SVP nicht selber? Wie sieht der Zeit-Schweiz-Chef seine Rolle und diejenige seiner Berufskollegen? persoenlich.com hat nachgefragt.

Herr Daum, Sie überlassen in der aktuellen Ausgabe viel Platz externen Autoren. Warum setzen Sie lieber auf Politiker und Wissenschaftler, statt selber zu beschreiben, wie die SVP gestoppt werden kann?
Weil wir neugierig waren, welche Strategien gescheite, liberale Köpfe wie die Philosophin Katja Gentinetta, der Historiker Thomas Maissen oder der Politgeografen Michael Hermann empfehlen. Und weil die Stimme eines ehemaligen Nationalbankpräsidenten wie Jean-Pierre Roth, der heute die Genfer Kantonalbank präsidiert und im Verwaltungsrat von Swatch und Nestlé sitzt, mindestens so viel Gewicht hat wie meine eigene – oder jene meiner Redaktionskollegen. 

Die Rolle der Medien beim Eindämmen der SVP beleuchtet vor allem BDP-Präsident Martin Landolt. Er bezeichnet Medienschaffende als "hilflose Gaffer". Inwiefern fühlen Sie sich von Landolt ertappt?
Man fühlt sich schon etwas ohnmächtig, wenn allein die vage Ankündigung einer neuen SVP-Volksinitiative die ganze Medienbranche und die Politik in nervöse Aufregung versetzt. So zuletzt geschehen Ende Juli, als die Partei mit einem Volksbegehren drohte, das faktisch das Asylrecht abschaffen würde.

Wen, denken Sie, meint Landolt genau?
Das müssten Sie Herrn Landolt fragen. Ich selber habe weniger Mühe mit den politisch klar positionierten Blättern; da weiss jeder Leser, was er vorgesetzt bekommt. Problematischer finde ich das unreflektierte Wiederkäuen der dort geäusserten Meinungen und Behauptungen auf allen übrigen Kanälen.

Was sollten Journalisten Ihrer Meinung nach tun, um den "Crash-Kurs" der SVP zu stoppen?
Journalisten haben zu allem und jedem eine Meinung, sie bräuchten aber vor allem wieder mehr Haltung. Was nicht heisst, dass man sich zum Komplizen einer Sache machen muss. Aber es gibt einen Punkt, an dem man sagen muss: Jetzt ist genug. Zum Beispiel, wenn die stärkste Partei im Land die bilateralen Verträge mit der EU attackiert oder an der Menschenrechts­konvention sägt. Dann geht es ans Eingemachte. Um den Rechtsstaat. Um die Demokratie. Um unsere Werte.

Sprechen wir nochmals über Martin Landolt. Er fordert, dass die Frage, in welchem Verhältnis die Schweiz künftig zu Europa und zum Rest der Welt steht, die Bürger viel stärker mobilisieren muss als bisher. (…) Ist es nicht aussichtslos von den Medien zu fordern, dass sie über gelöste Probleme berichten, statt über Missstände?
Die Bürger zu mobilisieren heisst ja nicht, dass man ihnen Sand in die Augen streut und ihnen eine heile Welt vorgaukelt. Der ehemalige Staatsekretär und IKRK-Präsident Jakob Kellenberger sagte mir kürzlich in einem Interview, er habe sich nach der Abstimmung vom 9. Februar bei gewissen larmoyanten Reaktionen schon gefragt: Wussten die Wählerinnen und Wähler, was ein Ja zur SVP-Initiative bedeuten könnte? Hierüber Klarheit zu schaffen, wäre eigentlich auch die Aufgabe der Medien gewesen.

Zum Thema Sozialhilfe ist dies ja auch nicht unbedingt gelungen…
Auch dazu haben wir in unserer aktuellen Ausgabe einen Beitrag: Die St. Galler Professorin Monika Bütler filetiert die losgetretene Debatte um die Sozialhilfe mit Präzision. 

Fragen: Edith Hollenstein, Bilder: zVg

 



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