31.10.2011

Dummy

"Ein Entwurf für das, was möglich ist im Journalismus"

"Dummy" ist nur ein kleines Magazin mit einer kleinen Auflage. Aber wer es mal in der Hand hatte, vergisst es so schnell nicht mehr: Ganz entgegen dem Zeitgeist der Medienbranche, liefert die vierteljährlich erscheinende, monothematische Berliner Zeitschrift kein journalistisches Kurzfutter, sondern clevere, gut recherchierte Texte aus ungewöhnlichen Perspektiven. Zum Beispiel, wie aktuell, zum Thema "Scheisse". Ein Interview mit Chefredaktor Fabian Dietrich:
Dummy: "Ein Entwurf für das, was möglich ist im Journalismus"

Herr Dietrich, was ist "Dummy"?

Ein monothematisches, vierteljährlich erscheinendes Magazin, das jeweils von neuen Art-Direktoren gestaltet wird. Eine Art Entwurf für das, was möglich ist im Journalismus.

Auf dem Titelblatt wird es als "Unabhängiges Gesellschaftsmagazin" bezeichnet. Also eine Art "Zeitgeist"-Magazin?

Nö. "Tempo" hat sich ja so genannt, aber ich weiss ehrlich gesagt nicht, was das sein soll.

Wer liest "Dummy"?

Alle Altersschichten. Rentner, Jugendliche, Philosophen, Arbeitslose. Oft finden uns Menschen, die sich von einem Thema (z.B. "Behinderte") besonders angesprochen fühlen und bleiben dann dabei. Bestenfalls kaufen sie sogar alle verfügbaren alten Ausgaben. Die werden ja nicht schlecht.

Die aktuelle Ausgabe handelt ausschliesslich von "Scheisse" – allerdings kaum im ordinären Sinn. Wie haben Sie die originellen Ansätze gefunden und worauf haben Sie dabei geachtet?

Wir wollen immer überraschen und zeigen, was möglich ist. Im Fall von Scheisse heisst das: Erstmal nicht mit Quatsch und Fäkalhumor in das Heft einsteigen, sondern mit einer knallharten Reportage über das Kastensystem in Indien, wo man merkt, dass es bei uns auch ernst und politisch werden kann.

 

Unser Interviewpartner: Fabian Dietrich, Chefredaktor des Berliner Magazins "Dummy". (Anm. d. Red.: Das einzige Bild von sich, das er uns zur Verfügung gestellt hat.)

 

Wie wichtig ist der Überraschungsmoment?

Superwichtig. Wir langweilen uns selber sehr schnell beim Lesen von Zeitungen und Magazinen. Alles soll ungesehen, ungelesen, neu und spannend sein.

Wie schwierig war es Anzeigen für das Heft zum Thema "Scheisse" reinzuholen?

Es war schon schwierig. Leider. Sogar der grösste Hersteller von öffentlichen Toiletten in Berlin hat uns abgesagt. Wir lassen solche Gesichtspunkt nicht völlig ausser Acht, aber die Themen dürfen wir uns natürlich auch nicht von Anzeigenkunden diktieren lassen, das machen schon genug andere, das führt zu schlechtem Journalismus. Es gibt aber durchaus auch Unternehmen, die publizistischen Mut schätzen und uns auch dann unterstützten, wenn wir kontroverse Themen bearbeiten.

Immer weniger Leute kaufen Zeitungen, Zeitschriften werden meist nur durchgeblättert: Wie bringt man die Leute zum Lesen?

Bessere, schönere, tollere Sachen bringen als alle anderen. Humor haben. Spannung erzeugen. Relevant sein.

Texte wie die in "Dummy" leben stark von ihrer Eigenständigkeit. Muss man den Schreiberlingen die grösstmögliche Freiheit gewähren? Ist das der Schlüssel zu Qualität?

Ja, auf jeden Fall. Wir lieben gute Texte. Unsere Schreiber dürfen experimentieren, sollen sie sogar.

Meine Freundin hat sich die "Scheiss"-Ausgabe als Toilettenlektüre gekauft. Um sie neben dem Klosett zu archivieren. Eine Ehre oder eher eklig?

Das ist total okay.

Was gibt es für Sie – neben "Dummy" – für Zeitschriften, die es verdient haben über längere Zeit aufgehoben zu werden?

Uff, lassen Sie mich überlegen. "Brand Eins", vielleicht. In der Schweiz lesen wir das "Tagimagi" und gelegentlich das "NZZ Folio", manchmal auch "Du". Moment: "Ein Magazin über Orte" kann man eigentlich auch prima aufheben. Die sind super. "Apartamento" und "Fantastic Man" auch.

Nehmen wir mal an, ich hätte jetzt Entscheidungsgewalt auf der "Dummy"-Redaktion und hätte "Fantasie" als Thema der nächsten Ausgabe festgelegt. Wie würden Sie das abhandeln?

Das wäre mir ein viel zu breiiges Thema. Aber ich würde mich natürlich erstmal mit der Fantasielosigkeit beschäftigen: Warum arbeiten die schlechtesten Drehbuchschreiber der Welt beim deutschen Fernsehen? Warum gibt es in Deutschland so miserable Pop-Musik? Selbstverständlich würden alle Redaktionsmitglieder zur Einstimmung auf das Thema erstmal eine Überdosis LSD konsumieren müssen.

Wie lang beträgt die Vorlaufzeit einer Ausgabe? Wie weit im Voraus sind die Themen gesetzt?

Zwei Monate etwa. In letzter Zeit kümmern wir uns erst nach Abschluss der Produktion um das nächste Thema.

Ist das Magazin ein Erfolg?

Ja, das würde ich schon sagen. Das sehen glaube ich auch andere so. Wir werden seit Bestehen eigentlich jedes Jahr bei den Lead Awards ausgezeichnet. Wirtschaftlich gesehen, trägt sich das Heft.

Gibt es Ausbaupläne? Gibt es vielleicht den Plan auch noch andere Kanäle intensiver mit "Dummy" zu bespielen?

Wir wollen den "Dummy"-Journalistenpreis ins Leben rufen, eine Journalistenschule gründen und ein gewaltiges, golden glänzendes Gebäude in Berlin bauen lassen.

Verraten Sie uns das Thema der nächsten Ausgabe?

Weiss ich leider selber nicht. Aber vielleicht machen wir im Sommer ein Heft über "Polen" zur Fussball EM.

 

Interview: Adrian Schräder

 



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240420