04.12.2012

"Es ist höchste Zeit für die Rückkehr der Vernunft"

Das Leistungsschutzrecht geistert durch den deutschen Bundestag, Twitterkanäle, Zeitungen und Blogs. Spätestens seit letztem Sonntag ist das sperrige Wort - eine Kampfansage an Google - auch in der helvetischen Wahrnehmung angelangt. "Ich bin klar für ein Leistungsschutzrecht", sagt Ringier-CEO Marc Walder im Interview mit der "Sonntagszeitung". persoenlich.com hat bei weiteren Schweizer Verlegern nachgefragt, was sie von einem Leistungsschutzrecht in der Schweiz halten. Die Umfrage:
"Es ist höchste Zeit für die Rückkehr der Vernunft"

In Deutschland diskutiert der Bundestag über das sogenannte Leistungsschutzrecht. Dieses sieht vor, dass Suchmaschinen wie Google den Verlagen künftig einen Obulus zu entrichten haben, wenn sie deren Inhalte ausführlicher als in einem kurzen Link wiedergeben. Spätestens seit letztem Sonntag ist das Thema "Leistungsschutzrecht" auch in der Schweiz lanciert. Ringier-CEO Marc Walder äussert sich im Interview mit der "Sonntagszeitung" unmissverständlich.

Er wollte gemäss eigener Aussage dem Verband Schweizer Medien zwar nicht vorgreifen, tat es aber trotzdem: "Ich bin klar für das Leistungsschutzrecht." Die Verlage müssten gegen die unlautere Ausbeutung ihrer geistigen Inhalte durch Suchmaschinen geschützt werden. "Google verdient auf unsere Kosten viel Geld, ohne uns Medien auch nur einen Teil davon abzugeben." Google fördere indirekt das Zeitungssterben, schade der Schweizer Demokratie und betreibe eine moderne Art des Diebstahls, so Walder. Der Ringier-CEO kündigte im Interview zudem an, der Verband Schweizer Medien werde das Thema noch diese Woche diskutieren.

Gegner eines Leistungsschutzrechts monieren hingegen, dass die Verleger bei Google lediglich bequem das Geld abzuholen versuchen, das sie mit ihren Internet-Aktivitäten unfähig sind zu generieren. So sehen dies etwa Frank Rieger in der FAZ und Nick Lüthi in der Medienwoche. Beide weisen darauf hin, dass es gegen eine Indexierung durch Suchdienste schon längst ein taugliches und einfaches Mittel gäbe: robots.txt.

Die Suchmaschine ihrerseits fährt in Deutschland schon mal die Kampagne "Verteidige Dein Netz" und schürt bei den Konsumenten Ängste, wonach es bei einer Inkrafttretung des Leistungsschutzrechts schwerer werden dürfte, im Internet gewünschte Informationen zu finden.

Wie ist die Stimmung bei den Schweizer Verlegern? persoenlich.com hat nachgefragt, was ihre Haltung zu einem Leistungsschutzrecht in der Schweiz ist. Gut die Hälfte der Adressaten wollte sich zu diesem Thema nicht äussern, einzelne verwiesen auf die bevorstehende Meinungsbildung im Verband Schweizer Medien. Trotzdem sind einige Statements zusammengekommen. Die Umfrage:

Hanspeter Lebrument, Verleger Südostschweiz Medien AG

"Als es noch keine Suchmaschinen gab, war klar, dass das Abkupfern von Inhalten nicht nur zum schlechten Ton gehörte, sondern auch rechtlich verfolgt wurde. Heute gehört der industriell betriebene Klau von geistigem Eigentum in die Kategorie der Freiheitsrechte. Politische Organisationen wie die Piraten monieren die Freiheit im Netz und diese Freiheit sei eine Gratisleistung. Mit dem Diebstahl von geistigem Eigentum wird ein Bombengeschäft in der Werbung betrieben, sodass Suchmaschinen und Social Networks zu den grossen finanziellen Gewinnern gehören. Die Branche, welche die geistigen Inhalte herstellt und auch bezahlt, hat sich lange Zeit mit der falschen These ihrer Onliner zufrieden gegeben, dass nicht nur ihre Inhalte, sondern auch ihre Titel gratis verbreitet werden und mit dem dazu gewonnenen Traffic von Dritten sich ein Geschäftsmodell erarbeiten lasse. Der Verband Schweizer Medien muss heute alles daran setzen, dass das Leistungsschutzrecht verstärkt wird, und dass das Abkupfern von geistigem Eigentum nicht mehr gebührenfrei erfolgt. Gegen die neuen Technologien soll man sich nicht stemmen, aber jene die diesen Technologien die Inhalte geben, und jene die die Technologie erarbeiten und diese verbreiten sollen beide Nutzniesser sein. Für den Verband Schweizer Medien, der in der von Frau Bundesrätin Sommaruga geschaffenen Arbeitsgemeinschaft Urheberrecht (AGUR) mitarbeitet und selbst Initiativen ergreift, gehört dieses Thema zum Wichtigsten, welches in dieser Zeit zugunsten der Journalisten und der Produzenten von geistigen Inhalten zu erbringen ist."

Albert P. Stäheli, CEO NZZ Mediengruppe

"Durch die Digitalisierung medialer Inhalte braucht es eine Anpassung und Ausdehnung beim rechtlichen Schutz der Inhalte. Im Rahmen einer Revision des Urheberrechts wird dabei auch über die Ausdehnung des Schutzbereichs für Textbeiträge in Richtung Leistungsschutz diskutiert. Der Verband Schweizer Medien tritt für einen solchen Leistungsschutz ein, der übrigens in anderen Bereichen eine Selbstverständlichkeit ist. Wir unterstützen den Verband in diesen Bestrebungen."

Christoph Zimmer, Leiter Unternehmenskommunikation Tamedia

"Medien entstehen nicht gratis. Investitionen in die Erstellung von journalistischen Inhalten müssen geschützt werden. Die Stärkung des Urheberrechts ist ein gemeinsames Anliegen der gesamten Medienbranche, denn die ungehemmte Weiterverwendung von Inhalten stellt diese Investitionen in Frage. Gleichzeitig sind digitale Plattformen, seien es Suchmaschinen oder soziale Netzwerke, auch wichtige Zugangspunkte für Newsportale - aber die Medienhäuser brauchen mehr Partizipationsmöglichkeiten. Das nett klingende Angebot, die Übernahme eines Inhalts zu sperren, erweist sich als Fata Morgana. So lange das Kartellrecht ein gemeinsames Vorgehen der Medienhäuser verunmöglicht, ist eine Sperrung für eine einzelne Redaktion keine Option. Deshalb ist nun die Politik gefordert."

Filippo Leutenegger, Verleger und Verwaltungsratspräsident Basler Mediengruppe BaZ

"Ich kann zum Leistungsschutzrecht noch kein abschliessendes Urteil abgeben. Klar scheint mir, dass das Leistungsschutzrecht in einen internationalen Kontext gestellt werden muss. Die Schweiz sollte in dieser Sache keinen Sonderzug fahren, sondern muss sich an einer Lösung beteiligen, die international kompatibel ist. Als erstes ist es jetzt allerdings angezeigt, dass das Präsidium des Verbands Schweizer Medien die Frage diskutiert. Erste Gespräche werden bald erfolgen."

Norbert Neininger, Chefredaktor und Verleger Schaffhauser Nachrichten

"Selbstverständlich muss ein Leistungsschutzrecht eingeführt werden, das fordern wir seit langem. Die Suchmaschinen – allen voran Google – verdienen Milliarden unter anderem mit unseren Inhalten, also mit einem parasitären Geschäftsmodell. Für die Rückkehr der Vernunft ist es höchste Zeit: Jetzt, wo alle Medienhäuser aufhören, ihr wertvollstes Gut (nämlich die grossen Leistungen ihrer Redaktionen) zu verschenken, müssen wir sicherstellen, dass diese Inhalte auch rechtlich geschützt werden."

Umfrage und Text: Corinne Bauer und Benedict Neff.



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