21.04.2015

Giuseppe Scaglione

"Wenn das Lokalradio nicht tot ist, liegt es im Sterben"

Giuseppe Scaglione ist wieder da. Rund 15 Monate nach dem Konkurs von "Radio 105" präsentiert er sein neues Radio-Baby "my105". Die "Generation Kopfhörer" soll dort abgeholt werden, wo sie sich am wohlsten fühlt: online. Mit persoenlich.com spricht der Radio-Unternehmer am Rande der Pressekonferenz im Zürcher Clouds über Arbeitslosigkeit, Roger Schawinski und Radio ohne Wetter, News oder Verkehr.
Giuseppe Scaglione: "Wenn das Lokalradio nicht tot ist, liegt es im Sterben"
Am 28. Mai geht es los: Giuseppe Scaglione geht mit "my105" auf Sendung (persoenlich.com berichtete). Mit dabei: Geschäftspartnerin und Ehefrau Paola Libera (siehe Bild). Die interaktive Streaming-Plattform "my105" soll als App und in einer Desktop-Version verfügbar sein. Das Konzept: Auf anfänglich acht Kanälen "kuratierte, handverlesene Musikstreams für verschiedene Stilrichtungen" anbieten. Denn: Streaming sei das Radio des 21. Jahrhunderts.
 

Giuseppe Scaglione, willkommen zurück!
Merci, merci.

Man kann sehen: Sie sprühen vor Energie. Sie haben fast während der gesamten Pressekonferenz gelächelt.
Jetzt schon, aber das letzte Jahr war wahnsinnig hart. Das Lachen ist mir vergangen, und zwar deftig. Ich war am Boden. Den Mut und die Kraft wiederzufinden war ein langer Weg. Es ist ein schmaler Grat zwischen Total-Absturz und Neustart.

Ich kann mir Sie nicht mit 17-Tagebart und einer Küche voller leerer Bierflaschen vorstellen.
So schlimm war es nicht. Aber ich war von einem Moment auf den nächsten abgeschnitten: Keine Einladungen mehr, das Telefon läutet nicht. Von 100 auf 0 in ein paar Tagen. Das war brutal. Vor allem auch die Umstände des Konkurses, die menschlichen Schicksale meiner Mitarbeiter. Als uns der Konkursbeamte sagte, wir müssen die Redaktion sofort verlassen, dachte ich, die Leute sehen mich als Sündenbock. Die positiven, menschlichen Reaktionen haben mir aber sehr viel Kraft gegeben.

Woran ist es rückblickend gescheitert?
Wir scheiterten nicht am Inhalt oder am Produkt. Man hat uns auch vorgeworfen, der Apparat sei zu gross gewesen, die Kostenstruktur zu aufgeblasen. Das stimmt nicht. Das kann man ja alles überprüfen. Der UKW-Markt ist am Ende des Tages einfach limitiert. Das ist einfacher zu sehen, wenn man nicht mehr drinsteckt. Am Schluss war es die Vermarktungssituation. Wir haben weniger aus dem Markt bekommen, als uns zugestanden wäre.

Viele Leute haben rund um den Konkurs mitgemischt: Mehrere Schweizer Verlage, Roger Schawinski, Ex-Investoren aus Italien, neue Investoren, etc. Auf wen sind Sie am "hässigsten"?
Das behalte ich für mich. Aber es ist so. Es wurden viele Fäden gezogen und viele haben für ihre eigenen Interessen gekämpft. Und am Schluss ist das, was wir aufgebaut haben, auf der Strecke geblieben. Und selbst Schawinski: Er hat sich als Retter präsentiert. Aber da hätte er ja auch früher kommen können, wenn er es wirklich hätte retten wollen. Ich sehe nicht, worin die Rettung genau bestanden haben soll. Viele Hörer sind weg, die Marke sowieso und auch einige Mitarbeiter. 

Jetzt haben Sie das alte Original-Logo von 105 lizenziert.
Als ich gesehen habe, dass Schawinski das Logo nicht wollte, war ich schon überrascht. Ich wusste: Wenn ich online was machen will, brauche ich einen starken Brand. Sonst ist es, als würde man im Wald einen Zettel an einen Baum hängen und hoffen, dass ihn jemand liest. Dass ich nun die exklusiven Nutzungsrechte für die Marke 105 in der Schweiz erhalten habe, ist ein absoluter Glücksfall! 

Die italienischen Lizenzgeber des Brands sind ja dieselben Leute, die den 105-Konkurs durch ihren finanziellen Rückzug erst ausgelöst haben. Mit denen machen Sie jetzt Geschäfte?
Wenn es die Italiener nicht gegeben hätte, hätte ich in all den Jahren das alles nie aufbauen können. Sie haben mir vor rund 20 Jahren eine Chance gegeben. Haben 105 über viele Jahre mitfinanziert. Sie haben mit mir lange gehofft und gewartet, bevor ich überhaupt eine UKW-Konzession bekam. Wir haben das über 16 Jahre zusammen gemacht. Aufgrund der Wirtschaftskrise in Italien mussten sie sich zurückziehen. Da bin ich ihnen nicht böse. Und war es auch zu keinem Zeitpunkt.

Jetzt gibt es 105 zwei Mal. Einmal "Planet 105" von Roger Schawinski. Und Ihr neues Baby "my105" mit dem Original-Logo. Darf man das als Frontal-Angriff auf Roger Schawinski interpretieren?
Nein, überhaupt nicht! Ich bin immer positiv und nicht destruktiv getrieben. Wir haben die Lizenz für die Original-Marke. Das werden die Leute schnell merken. Im Gegensatz zu "Planet 105" konzentrieren wir uns nicht nur auf die Stadt Zürich, sondern auf die ganze Deutschschweiz und in einem nächsten Schritt sogar auf die ganze Schweiz. Wäre Schawinski konsequent und aufrichtig, müsste er den Namen seines Senders ändern. Er gaukelt mit "Planet" eine Änderung des Namens vor, die aber eigentlich keine ist. Er arbeitet mit 105, obwohl er keine Lizenz dafür besitzt und auch keine wollte. "Radio 2" wäre doch ein guter Name für seinen zweiten Sender...

Hören Sie ab und zu "Planet 105"?
Ich verfolge die Menschen, die früher für mich gearbeitet haben - sie liegen mir immer noch am Herzen!

Was genau ist das Neue, das Revolutionäre an "my105"?
Das Wichtigste ist die Vielfalt. Jeder Channel für sich soll qualitativ aussergewöhnlich sein. Einen Web-Channel kann jeder machen. Wir werden aber das qualitativ beste Angebot machen. Ich werde den Beweis noch antreten.

Smartphones sind überall, die Leute sind immer online. Wenn das Lokalradio noch nicht tot ist, so liegt es immerhin im Sterben. Ein Auslaufmodell. Uns kann man auch auf den Malediven hören. Klar können das die anderen theoretisch auch machen. Aber sie stehen nicht dafür. Man kann im McDonalds auch einen Salat essen. McDonalds steht trotzdem für Hamburger und Pommes Frites. 

Wir werden auch die erste interaktive Streaming-Plattform der Schweiz sein. Die Hörer können mitmachen und die gespielte Musik beeinflussen. Das ist in der Schweiz einzigartig.

Warum soll die "Generation Kopfhörer" nicht direkt einfach auf Youtube oder Spotify etc. streamen?
Bei uns gibt es keine Algorithmen. Ich sage immer: Die anderen haben den Algo, wir den Rhythmus. Bei uns werden die Playlists von Menschen gemacht. Der Computer ist bei der Musikzusammenstellung nicht besser als der Mensch. Auch was den lokalen Bezug angeht.

Gibt es Moderationen?
Wetter, News und Verkehr machen wir nicht. Die ganzen klassischen Radio-Dinge lassen wir weg. Wir lassen die Leute aber nicht alleine. Es wird Soft-Moderationen in Schweizerdeutsch geben. Dort wird es aber in erster Linie um Musik und Events gehen. Es gibt übrigens auch kein Studio mehr. Das ist wegen dem Internet auch gar nicht mehr nötig. 

Sie haben heute schon Werbekunden präsentiert. Schon vor dem Sendestart. Wie geht das?
Das ist das Vertrauen in die Marke. Und ein Stück vielleicht auch das Vertrauen in meine Frau Paola Libera und mich. Aber hauptsächlich geht es um die Wucht der Marke.

Seat wirbt jetzt zum Beispiel bei "Planet 105" UND bei "my105".
Ich weiss nicht, was die Pläne von Seat bei "Planet 105" sind. Bei uns sind sie auf jeden Fall dabei. Und sie waren es auch in der Vergangenheit. Seat hat mir immer Glück gebracht. Deshalb bin ich froh, dass sie jetzt wieder dabei sind. 

Haben Sie alles selber finanziert?
Ja.

Ein grosses Risiko. Warum machen Sie das? Warum kein normaler Job?
Ich bin getrieben von meinem Herzen, von meiner Leidenschaft. Ich erkenne den Neustart auch als Chance. So kann ich auf der grünen Wiese etwas ganz Neues machen. 

Interview: Michael Sahli

Bild: Giuseppe Scaglione und Ehefrau Paola Libera (Michael Sahli)



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