19.12.2015

Joiz

"Jugendliche würden sich auf Snapchat einen 'Tagesschau'-Ausschnitt ansehen"

Mehrere Abgänge und Gerüchte über schlechte Zahlen bei Joiz: Der Social-TV für Jugendliche durchlebt turbulente Zeiten. persoenlich.com hat Co-Gründer und CEO Alexander Mazarra in den Studios in Zürich Oerlikon getroffen. Im Interview äussert er sich zu den Kündigungen in der Moderation und im Management. Zudem spricht er über die neuen Vermarktungsaktivitäten des Senders und erklärt, bei welchen SRF-Sendungen das Social-TV-Konzept gut funktioniere würde.
Joiz: "Jugendliche würden sich auf Snapchat einen 'Tagesschau'-Ausschnitt ansehen"
von Michèle Widmer

Herr Mazzara, dunkle Wolken hängen über Joiz – glaubt man diversen Medienberichten. Wie lange gibt es den Sender noch?
Wir sind gut unterwegs. Es wurde viel berichtet, das nicht stimmt - auch in Ihrem Medium. Anders als Sie geschrieben haben, wird zum Beispiel Gülsha weiterhin für Joiz moderieren.

Dann hat sie sich umentschieden. Wie wird man Gülsha künftig auf dem Sender sehen?
Gülsha hat fünf Jahre lang jeden Tag die Sendung Noiz moderiert, davon hatte sie genug. Es war klar, dass sie etwas Neues machen wollte. Das gemeinsam entwickelte Doku-Format “Gülsha folgt” ist erfolgreich gestartet, und wir freuen uns, dass wir weiter mit ihr auf Sendung sind.

Sie sagen Joiz gehe es gut. Sie schreiben also schwarze Zahlen?
Bei Joiz Schweiz haben wir dieses Jahr den Break Even erreicht. Es war ein erfolgreiches Jahr in einem schwierigen Marktumfeld.

Und wie sieht es bei Joiz Germany aus?
Wir haben Anfang Jahr die angekündigte Restrukturierung umgesetzt. Nach wie vor senden wir im klassischen Kabel-TV und beschäftigen etwas mehr als 30 Personen in Berlin. Wir sind jetzt besser aufgestellt und wenn nicht alles schief geht, erreichen wir auch in Deutschland im nächsten Jahr den Break Even. Daneben sind wir in diesem Jahr mit unserer Technologie-Tochter Joiz Global erfolgreich live gegangen, die schnell wächst und uns ziemlich viele Freude bereitet.

Joiz ging im März 2011 live. Was hat sich seither am stärksten verändert?
Die Mediennutzung hat sich seither weiter stark verändert. Zum Beispiel haben damals nur ein paar Prozent unserer Zuschauer Joiz auf einem Smartphone genutzt, heute sind es 70 Prozent. Zudem werden die Inhalte auf unterschiedlichsten Plattformen wie Youtube, Facebook, Instagram aber auch unserer eigenen Webseite genutzt. Das hat einen grossen Einfluss auf die Vermarktung von Inhalten.

Wie misst Joiz die Zuschauerzahlen?
Wir haben in den letzten Jahren viel in Technologie investiert, um die Nutzerzahlen plattformübergreifend erfassen zu können. Das heisst konkret: Wie oft wird eine Sendung oder ein Sendungsteil auf Joiz, Instagram, Twitter, Facebook, Google oder Youtube gesehen. Wir erhalten damit Daten für die Nutzung der Sendungen und der Werbekampagnen.  Diese Zahlen werden dann von einer Drittagentur zertifizert. In der Schweiz erreichen wir so pro Monat 300‘000 Unique Clients.

Die aktuelle Fög-Studie zeichnet diesbezüglich ein düsteres Bild: Immer mehr Jugendliche verlieren das Interesse an Informationsjournalismus und konsumieren Softnews über Social Media. Gibt es ein Rezept dagegen?
Natürlich sehen auch wir, dass Softnews öfters geklickt werden als Hardnews. Wir sehen aber auch einen andern Trend: Die komplizierten Vorgänge in der Welt brauchen eine Einordnung, einen Ort, wo analysiert wird und Meinungen ausgetauscht werden. Die sozialen Medien leben davon, dass Menschen auch eine Meinung haben dürfen. Aber das reicht nicht. In der halbstündigen Sendung Joizone versuchen wir zum Beispiel täglich relevante Themen für unsere Zielgruppe einzuordnen. Wir lassen Betroffene und Experten zu Wort kommen und geben den Meinungen einen Rahmen.

Wie haben Sie das zum Beispiel bei den Bundesratswahlen umgesetzt?
Bei Politik-Themen funktionieren Battles gut. Und die Zuschauer sind mitten drin. Aber auch hier: Mit einem Streitgespräch zwischen Moderatoren und Politikern begegnet man den Zuschauern nicht auf Augenhöhe. Er muss sich aktiv einbringen können. Das ist gar nicht so einfach. Auf anderen Sendern sieht man immer wieder, dass das nicht gelingt.

Woran liegt das?
Man braucht mehr Flexibilität bei den Mitarbeitern und der Technik. Moderatoren beispielsweise waren bisher immer diejenigen, die während einer Sendung alles gewusst haben. Und nun sollen Zuschauer mitreden dürfen und vielleicht sogar die bessere Frage stellen. Eine Sendung sollte darauf vorbereitet sein, dass sie aufgrund eines Zuschauerinputs völlig anders verläuft als geplant.

Bei einer Sendung wie der “Tagesschau” von SRF ist das schwer vorstellbar.
Die "Tagesschau" erzählt uns die News, da macht ein solches Konzept wohl auch nicht viel Sinn. Aber im Informationsbereich im Leutschenbach gibt es Sendungen, bei denen das gut umsetzbar wäre. Ich denke da an den "Kassensturz", die "Rundschau" oder auch die "Arena".

Mit der Sendung “Hallo SRF" hat das Leutschenbach einen ersten Dialogversuch gestartet. Er hat gezeigt: Viele Zuschauer stellen nicht bessere, sondern banale Fragen.
Das ist eine Erfahrung aller TV-Macher, dass die Zuschauer die Fragen stellen, die ihnen am nächsten sind und nicht die medienpolitisch relevanten Fragen. Viele Journalisten wollen oft durch intelligente Fragen brillieren. Das Publikum interessiert das wenig.

Die SRG steht zurzeit stark unter Beschuss. Mit welchem Blick verfolgen Sie die Service-Public-Debatte?
Wenn wir Schweizer uns entscheiden, einem Medienunternehmen Geld für relevante Inhalte zur Verfügung zu stellen, müssen diese auf allen Kanälen, die das Publikum nutzen kann, verbreitet werden. Die „Tagesschau“ zum Beispiel kann in der jetzigen Qualität kein privat finanziertes Unternehmen produzieren. Die SRG ist gesetzlich nur für Fernsehen und Radio zuständig, im Internet allerdings befindet sie sich in einer Grauzone. Das Leutschenbach hat Schwierigkeiten, junge Zuschauer zu erreichen. Diese schauen zwar nicht die "Tagesschau“ um 19.30 Uhr, würden sich aber allenfalls einen gut gemachten Ausschnitt davon auf Snapchat oder Instagram ansehen. Die Beschränkung auf einzelne Distributionskanäle macht heute einfach keinen Sinn mehr

Das Team sei das wichtigste für ein funktionierendes Unternehmen, sagten Sie einst in einem Interview. Da kriselt es ja zurzeit.
Das stimmt nicht. Die Joiz Gruppe beschäftigt in Joiz Schweiz, Joiz Germany und Joiz Global 120 Personen. Einzig bei Joiz Schweiz, der seit fünf Jahren on Air ist, gab es in diesem Sommer einige Wechsel. Das ist normal. 30-jährige Mitarbeiter können nicht ewig bei einem Jugendsender bleiben. Viele dieser Leute haben verantwortungsvolle Jobs bei der SRG, bei Vice, oder Ringier bekommen. Ich bin stolz, dass wir unseren Leuten offensichtlich eine gute Ausbildung mitgegeben haben.

Bei den Moderatoren ist das nicht der Fall. Gülsha bleibt nun bei Joiz, Mike wechselt die Branche und Julian studiert in den USA.
Mike und Julian haben den Entscheid nicht über Nacht getroffen. Beide haben über vier Jahre lang fast täglich moderiert und haben für sich einen nächsten Schritt gemacht. Wohin soll ein Moderator nach vier Jahren Joiz? Nach uns gibt es noch das SRF, ansonsten wüsste ich nicht, wo ich die beiden hätte hinschicken sollen.

Auch vier Personen im Management haben gekündigt.
Von den sechs Geschäftsleitungsmitgliedern hat uns nur eine Person verlassen. Im mittleren Management bei Joiz Schweiz gab es aus bereits erwähnten Gründen ein paar Wechsel. Diese Leute waren zum Teil sehr lange bei uns und haben gute Angebote bekommen.

Und was ist mit dem Abgang von Programmchef Alexander Sautter. Er hat gekündigt ohne eine neue Stelle zu haben.
Er hat sich entschieden, nach einer intensiven Phase eine neue Herausforderung anzunehmen (Anm. d. Red.: Sautter kehrt zum SRF zurück). Seinen Job hat Sam Bolliger übernommen, der schon lange bei uns ist und den Betrieb gut kennt.

Von aussen gesehen, ist Sautters Weggang, der von SRF kam, doch ein starkes Signal.
Das empfinde ich nicht so. Der Programmchef hat eine wichtige Funktion. Aber am Schluss ist es nicht er allein, der das Fernsehen macht. Sautter hatte 35 Mitarbeiter unter sich, bei uns sind die Hierarchien relativ flach. Da kann jeder seinen Farbtupfer setzen.

Mal ehrlich, wenn so viele Kündigungen in so kurzer Zeit eingehen - muss man als Chef nicht etwas selbstkritischer sein?
Das ist der normale Lauf eines jungen Senders. Und anders als bei grösseren Medienunternehmen wie SRF, Tamedia oder Ringier gibt es bei Joiz nur limitiert die Möglichkeit den Job zu wechseln oder aufzusteigen. Wir haben in derselben Zeit viele internationale Experten mit grossem Know-how eingestellt, wie zuletzt Antonius Salis, der vorher bei Rocket Internet in Berlin der Vice President auf globaler Stufe für das Business Development war. Vor ein paar Jahren wäre es uns nicht gelungen, solche Leute überhaupt nach Zürich zu holen. Dies ist ein wichtiger Teil des Erfolges.

Nun wollen Sie bei Joiz Schweiz den Posten eines Chefredaktors integrieren. Welche Aufgaben wird er haben?
Im nächsten Jahr investieren wir verstärkt ins Programm. Deshalb wird für den Programmchef mehr Arbeit anfallen. Der Chefredaktor wird den Programmchef unterstützen und sich mehr um das Tagesgeschäft kümmern.

Sie haben vorhin Joiz Global erwähnt. Was macht das Team genau?
Joiz Global beschäftigt zurzeit knapp 30 Leute, wobei wir jeden Monat wachsen. Sie arbeiten neben Zürich in Berlin und Tel Aviv. Wir haben unsere Technologie seit Sendestart weiter entwickelt und lizenzieren nun eine interaktive Plattform ,die Communities rund um Inhalte aufbaut und dann Inhalte, Marketing und Werbung personalisiert. Diese Plattform, die wir für uns entwickelt haben, lizenzieren wir an externe Kunden und übernehmen zum Teil auch die Vermarktung. Einer unserer Kunden ist zum Beispiel einer der ersten pan-europäischen Ultra HD-Sender Insight, der in 35 verschiedenen Ländern ausgestrahlt wird. Wir liefern neben der gesamten Plattform, der Webseite und den Apps auch den gesamten digitalen Ad-Sale. .

Wieviel Geld bringt diese Abteilung mit ein und welche Ziele verfolgen Sie?
 Noch befinden wir uns bei Joiz Global in der Investitionsphase. Aber sie können an der schnell wachsenden Mitarbeiterzahl erahnen, dass die Nachfrage nach einer kompletten Lösung in dieser sich schnell verändernden Zeit gross ist. Mittlerweile ist Joiz ein Fullservice-Solution-Provider für Inhaltsanbieter in Vermarktung und technologischer Umsetzung.

Dazu gehört auch Joiz Studio, wo Sie Branded Content für Joiz und für externe Kunden umsetzen.
Diese Abteilung haben wir stark ausgebaut und deshalb organisatorisch von der Redaktion abgetrennt.

Zu diesen Kunden zählen die Swisscom, Die Mobiliar oder Zweifel Chips. Wie kritisch bleibt die Redaktion in der Berichterstattung über diese Unternehmen?
Es gibt keinerlei interne Policy, dass die Redaktion nicht kritisch über Kunden berichten darf.

Kürzlich sorgte eine Aktion mit Frieda Hodel für Wirbel, mit der die Sendung “Wer’s glaubt” angeteasert wurde. Sie würden die Zuschauer an der Nase herumführen, sagten kritische Stimmen.
Bei der Sendung „Wer’s glaubt“ geht es im Grundsatz genau darum – der Name sagt es ja bereits. Dass uns dies auch mit den Medien gelingt und dieses Video solche Wellen schlägt, hätten wir nie gedacht. Wir lachen heute noch herzlich darüber.

Das tut wohl auch der Hauptsponsor Mobiliar.
Ja, das hoffe ich. Leider gibt es kein Rezept dafür, dass eine Geschichte derart viral geht. Das lässt sich nicht planen. Uns ist klar, dass wir so etwas nicht jeden Tag machen können.

Interview: Michèle Widmer, Bild: zVg.



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