12.09.2014

Radio-Knatsch

"Man reagiert mit Trägheit und Vertuschung"

Radio Bern 1 und Radio Basilisk werfen Mediapulse vor "verzerrte Hörerzahlen" zu kommunizieren.
Radio-Knatsch: "Man reagiert mit Trägheit und Vertuschung"

Neues Unheil droht Mediapulse nach dem Debakel um die TV-Zahlen: Peter Scheurer, Geschäftsführer und Programmleiter von Radio Bern 1 (im Bild links), und Matthias Hagemann, Inhaber von Radio Basilisk, werfen Mediapulse nicht nur vor "verzerrte Hörerzahlen" zu kommunizieren, sondern auch "Trägheit und Vertuschung". Der Baselbieter SVP-Nationalrat Thomas de Courten bringt das Thema jetzt auch in der Fragestunde des Bundesrates vor. Denn Mediapulse untersteht der Oberaufsicht des UVEK und hat als unabhängige Stiftung vom Bund den Auftrag, die Kennwerte zur Radio- und Fernsehnutzung korrekt zu messen.

Herr Scheurer, Sie werfen Mediapulse "verzerrte Hörerzahlen" vor. Was treibt Sie zu einer solchen Aussage?
PS: Da genügt ein einfacher Blick auf offizielle Hörerzahlenauswertungen bei den Energy Sendern. Das Messsystem weist bei den drei Energy-Sendern in der Summe 50‘000 bis 100‘000 Doppel- und Dreifachhörer aus, je nach Wochentag und Zusammenschaltung der drei Energy-Sender unterschiedlich. Wir entnehmen ebenfalls den Zahlen des Messsystems, dass die deutliche Mehrheit davon Phantomhörer sind und nur wenige wirklich mehr als nur ein Energy-Programm pro Tag hören.

Sie sprechen vom viel zitierten Phänomen des Simulcasting?
PS: Genau. So nennt man es, wenn verschiedene Sender über bestimmte Zeit dasselbe Programm ausstrahlen. Das Radiocontrol-Messsystem multipliziert Hörer bei ausgedehntem Simulcasting - das bestätigt seit kurzem auch die Mediapulse. Da die Energy-Sender mittlerweile täglich mehrere Stunden und an Wochenenden sogar ganze Tage das gleiche Programm auf zwei oder allen drei Sendern ausstrahlen, verdoppelt oder verdreifacht das Messsystem einzelne Hörer. Zu allem Unglück weist es die Phantomhörer den einzelnen Energy-Sendern auch noch nur zufällig zu, da es ja gar nicht mehr erkennt, welcher der gleich klingenden Sender gehört wird. So erhalten kleinere Energy-Sender automatisch zu viele Hörer vom grösseren.

Wer leidet vor allem unter diesen "verzerrten Zahlen"?
PS: Das sind in erster Linie die Mitbewerber der Energy-Sender. In Bern sind wir dies als Radio Bern1. Denn wenn im hartumkämpften regionalen Werbemarkt unsere Konkurrenz mit staatlich geprüften Hörerrekorden Werbung verkaufen kann, in Tat und Wahrheit aber höchstwahrscheinlich gar kein oder nur ein geringer Reichweitenzuwachs vorliegt, so schadet uns dies massiv. Durch die verzerrten Marktverhältnisse können uns jährlich Werbeaufträge bis zu mehreren hunderttausend Franken verloren gehen.

Was werfen Sie Mediapulse konkret vor?
PS: Die Geschäftsleitung reagierte mit Trägheit und Vertuschung. Bereits im Oktober 2011 habe ich die Mediapulse erstmals mit unerklärlichen Zahlen der Energy-Sender konfrontiert. Spätestens bei der Veröffentlichung der Hörerzahlen des zweiten Semester 2013 war für jeden, der Zahlen auswerten konnte, offensichtlich, dass die Energy-Reichweiten nicht mehr stimmen können. Nicht aber für die Mediapulse. Die betroffenen Stationen selber mussten der Mediapulse-Geschäftsleitung zuerst anhand von Hörerzahlenauswertungen aufzeigen, wo und wie ihr eigenes System Fehler generiert. Nun arbeitet Mediapulse zwar an einer Behebung des Messfehlers, aber noch immer vertuscht sie wider besseren Wissens das konkrete Ausmass. Das fügt uns fortgesetzten finanziellen Schaden zu, denn Werbekunden, Vermittler und Agenturen liegen falsche Energy-Zahlen vor, die die Mediapulse nicht korrigiert oder für ungültig erklärt.

Wie hat Mediapulse auf diese Vorwürfe reagiert?
PS: Die Mediapulse-Geschäftsleitung hat vor allem lange nicht und erst auf unseren massiven Druck hin reagiert. Wir verstehen, dass das Messsystem nicht von heute auf morgen technisch überholt werden kann. Wir schätzen auch, dass die Mediapulse nun breit abgestützte Arbeitsgruppen inklusive Radio Energy und der GFK als Messsystem-Hersteller eingesetzt hat und versucht, die Situation in den Griff zu bekommen. Aber das Ausmass des Messfehlers in den verschiedenen Medienmitteilungen zu verharmlosen und die Zahlen nicht offiziell richtig zu stellen, widerspricht dem gesetzlichen Auftrag der Mediapulse und ist inakzeptabel.

Herr Hagemann, mit einer Anfrage an den Bundesrat hat sich der Baselbieter Nationalrat Thomas de Courten für korrekte Radiozahlen eingesetzt. Was ist das Ziel dieser Aktion?
MH: Thomas de Courten ist regionaler Wirtschaftsförderer und zugleich Nationalrat. Die Fehlleistungen der Mediapulse führen, wie dies Peter Scheurer dargelegt hat, zu massiven Marktverzerrungen im Werbemarkt. Das ist für Radio Basilisk bedrohlich und für die Werbekunden nachteilig, da sie möglicherweise für Hörer bezahlen, die gar nicht existieren. Da die Geschäftsleitung von Mediapulse keinerlei eigene Initiative gezeigt hat, um das Problem zu beheben, und stattdessen nur mit Vertuschung und Verharmlosung geglänzt hat, haben wir uns entschlossen, an Nationalrat de Courten zu gelangen. Mittels der Fragen an den Bundesrat soll er die zuständige Medienministerin auf die Missstände in der gesetzlich vorgesehenen Firma Mediapulse aufmerksam machen. Dies ist denn auch gelungen. Wir sind ihm sehr zu Dank verpflichtet.

Nun untersteht Mediapulse der Aufsicht des Departements von Frau Bundesrätin Leuthard. Was verlangen Sie vom UVEK? 
MH: Da die Geschäftsleitung von Mediapulse nicht aus eigenem Antrieb handelt, um die Missstände zu beseitigen, sondern eher das Gegenteil, ist es die Aufgabe der Aufsichtsbehörde, für eine Besserung der Zustände zu sorgen. Es ist unerträglich, dass eine Firma, die uns Ende Jahr eine hohe Rechnung für ihre Dienstleistungen ins Haus schickt, durch Missmanagement die Aufgabe nicht erfüllt und sogar die Währung "Radiocontrol-Zahlen", die von der Werbewirtschaft akzeptiert ist, in Gefahr bringt. Hier muss rasch und nachhaltig durchgegriffen werden. Das soll die Aufsichtsbehörde sicherstellen.

Technisch gesehen macht nicht nur Radio Energy mit seinen Sendern Simulcasting, das heisst die zeitgleiche Übernahme von einzelnen Programmelementen. Kann man dies in Zukunft gar nicht mehr messen?
MH: Das ist richtig, Simulcasting betreiben auch andere Sender, auch SRF, indem sie beispielsweise die gleichen News auf verschiedenen Sendern ausstrahlen. Bei so kurzen zeitgleichen Übernahmen scheint das Regelwerk des Messsystems aber zu funktionieren und die Hörer werden weder multipliziert noch dem falschen Sender zugewiesen. Energy betreibt als einziger Sender in der Schweiz ein zeitlich sehr umfangreiches Simulcasting über mehrere Stunden pro Tag. Hier ist das Messsystem völlig überfordert. Es muss nun sichergestellt werden, dass Radiocontrol bis Ende Jahr technisch so weiterentwickelt ist, dass es auch solche Situationen in den Griff bekommt.

Jetzt legen Sie sich mit Ihren Behauptungen vor allem mit Radio Energy, einem der grössten Schweizer Privatradios, an. Ist eine solche Auseinandersetzung nicht gefährlich für die Gattung Radio?
MH: Nein, ganz und gar nicht. Unser Befremden richtet sich auch gar nicht gegen die Energy-Sender. Jeder Sender soll so viel Simulcasting betreiben, wie er will. Aber die Hörerzahlen müssen korrekt erfasst sein. Mediapulse hat es schlicht verschlafen, früh genug der Situation entgegen zu wirken. Die Verantwortung für die Daten, deren Richtigkeit und die korrekte Kommunikation liegen ausschliesslich bei ihr. Auch die Gattung Radio ist nicht in Gefahr, wenn die Aufsichtsbehörden und Mediapulse nun rasch durchgreifen, sachlich und personell. Wenn nun allerdings weiter verschleppt und verzögert wird, droht Anfang 2015 eine juristische Eskalation inklusive Schadenersatzansprüche an Mediapulse. Dann wäre in der Tat die Gattung Radio in Gefahr, und die Mediapulse nach dem TV-Debakel wohl nicht mehr zu retten.

Herr Scheurer, Herr Hagemann, wie geht es nun weiter mit dem Radio-Knatsch?
PS: Wir haben eben keinen Radioknatsch, auch nicht mit Energy. Wir wollen nichts anderes, als dass die vom Bund beauftragte Mediapulse in Zukunft auch für Radios mit einem sehr hohen Anteil von Simulcastings korrekte Hörerzahlen liefert.

MH: Das Messsystem muss sich dem Kunden anpassen, nicht umgekehrt.

Interview: Matthias Ackeret



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