04.12.2015

Kult

"Ich wollte aufhören, solange ich selber entscheiden kann"

"Kult"-Verleger Rainer Kuhn stellt nach 18 Jahren die gedruckte Ausgabe der legendären Szene-Zeitschrift ein.
Kult: "Ich wollte aufhören, solange ich selber entscheiden kann"

Herr Kuhn, Sie stellen das gedruckte "Kult" ein. Kam dieser Entscheid überraschend oder gab es einen Auslöser?
Das war ein Prozess. Ich fand, nach 18 Jahren ist es irgendwie langsam an der Zeit, auch mal was anderes zu machen. Die abnehmende Dialog- und Konsensfähigkeit im öffentlichen und medialen Diskurs und die Entwicklungen im konzernbeherrschten Media- und Mediengeschäft haben meinen Entscheid sicher beeinflusst. Die Medien- und Mediabranche hat sich in eine Richtung entwickelt hat, die mir nicht mehr gefällt. Hauptsächlich aber habe ich einfach Lust auf neue Sachen.

Wurde es Ihnen langweilig?
Ich bin jetzt 54, will mich persönlich weiterentwickeln, das ist schwierig, wenn man immer nur dasselbe macht. Ich dachte, wie bisher weiter zu machen, wäre am Ende für mich doch nicht viel mehr als eine Wiederholung in einer weiteren Variante. Das kann man machen, das hat das 'Kult' auch immer ausgezeichnet. Dass es sich immer wieder neu erfunden hat. 'Kult' war in diesen 18 Jahren zuerst ein medien- und szenesatirisches Partymagazin, dann ein Reportagemagazin, dann ein Magazin für Schriftsteller und Fotografen, dann ein Interviewmagazin, dann eine 'Blick'-Kolumne, dann eine Website, dann eine Website und eine Blog-to-Print-Zeitung. Jede Printphase dauerte so plus minus vier Jahre, die Zeitung ist nach 50 Ausgaben ohnehin dort angekommen. 

Haben Sie mit der Zeitung draufgelegt?
Ich habe mit meinen Leuten für 300'000 Franken pro Jahr 12 gedruckte 'Kult'-Ausgaben und 365 Tage im Jahr kult.ch konzipiert, geschrieben, produziert und vertrieben. 2015 war unser bestes Jahr seit Langem. Wir sind immer etwa rausgekommen. Ich konnte alle Rechnungen in der Regel pünktlich bezahlen. Die Abonnentenzahl stieg laufend und auch die Zahl der Anfragen jener, die gerne fürs uns schreiben würden. Aber ich wollte aufhören, solange ich das noch selber entscheiden kann, und nicht, wenn ich aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen werde. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es in Zeiten wie diesen vielleicht klug wäre, leichter zu werden, als Unternehmen, als Person mal den Fuss vom Gas nehmen, um zu schauen, wie sich die nächsten Monate so entwickeln. Das ist besser, als ungebremst in eine Wand zu fahren. 'Kult' ist ein kleines eigenfinanziertes Unternehmen, welches extrem ökonomisch mit seinen finanziellen Kräften umgehen muss.

Was bedeutet dies für kult.ch?
Eigentlich wollte ich ja auch kult.ch zumachen. Denn auch Midi Gottet will mal ein bisschen Pause machen und an seinem neuen Programm arbeiten. Er war ja praktisch von Anfang an dabei. Aber Alex Flach, Christian Platz, Peter Stiefel, Jelena Keller und Dominik Hug wollten unbedingt weitermachen. Sie meinten, dass es uncool wäre, 50'000 monatlichen Besuchern und 13'500 Facebook-Fans eine ihrer Lieblings-Sites wegzunehmen, nur weil ich keine Lust mehr habe. Und dass sie immer noch extrem Bock darauf hätten. Ich sagte, ok, dann macht mal. Sie sind jetzt dran, sich zu organisieren, frisches Blut zu pumpen und neue Geschichten zu konzipieren. Da tut sich einiges und ich freue mich total darüber, dass eine neue Generation das Ruder übernehmen will. Die sind alle extrem motiviert. Es zeigt, dass kult.ch nicht einfach nur Kuhn ist. Ich befürchte sogar, dass kult.ch ohne mich im nächsten Jahr besser sein wird, als es die letzten sechs Jahre war. Kult.ch wird einen neuen Frühling erleben.

Aber Hand auf’s Herz: ist "Kult" ohne Sie überhaupt möglich?
Viele denken so. Ich war ja auch einer, der so dachte. Aber wir liegen falsch. Wenn ich diese neue Dynamik sehe, dann ist es ist nicht nur möglich, es ist bereits so. Tönt völlig komisch, wenn ich das selber sage: Aber Kult ohne Kuhn wird richtig gut. Es gehört mir ja immer noch mit. Ich hänge jetzt einfach ein bisschen mit Midi Gottet auf der Tribüne ab und schau mal, was die "Jungen" so vom Stapel lassen. 

Sie nehmen nun eine Auszeit. Was planen Sie während diesem Jahr?
Die Auszeit bezieht sich ja vor allem aufs 'Kult'. Das heisst, ich ziehe mich von der Front zurück. Ich werde immer noch im Hintergrund die Sponsoren betreuen und solche Sachen. Es ist ja nicht nur so, dass ich das 'Kult' geprägt habe, das 'Kult' hat auch mich geprägt. Aber ich will jetzt in meinem Leben mal Dingen Raum geben, die bisher zu kurz kamen... Die Idee von Warhols Factory hat mich schon immer fasziniert. Es ist alles dasselbe. Egal ob du schreibst, Musik machst, malst oder fotografierst, das Endprodukt fühlt sich zwar unterschiedlich an, sieht unterschiedlich aus, trifft dich auf unterschiedlichen Ebenen, aber die Schöpfungskraft entspringt aus einem einzigen Seelenpool... Wir werden sehen - ich lass mich überraschen. Sicher werde ich vermehrt auch Freunde aus den verschiedenen Kunstrichtungen bei ihren Geschichten unterstützen. Mit den Möglichkeiten, die ich habe. So wie sie meine unterstützen mit den Möglichkeiten, die sie haben. Den interdisziplinären Austausch in all den verschiedenen Bereichen suchen. Lernen von ihnen. So ungefähr ist mein Plan. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. Auch gut.

Werden Sie während Ihrer Auszeit redaktionell eingreifen?
Sie meinen, den Autoren dreinreden? Redigieren oder so was? Das habe ich noch nie gemacht. Wer fürs 'Kult' schreibt, hat eine Carte Blanche. Das war schon immer so. Das war auch nie ein Risiko. Du musst einfach schauen, dass die, die für dich schreiben, keine Idioten sind. Dann kann auch nichts passieren. Und drum kann man im 'Kult' Sachen lesen, die man so sonst nirgends lesen kann. Das macht’s ja aus. Nein, wenn ich redaktionell eingreife, dann höchstens irgendwann mit einer Anfrage, ob ich als Schreiber wieder mit tun kann.

Wovon leben Sie im nächsten Jahr?
Ich werde Fussballprofi. Oder Zuhälter. Oder Wetterfee.

Fragen: Matthias Ackeret, Bild: zVg

 

 



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