26.08.2015

SRF

"Als China-Korrespondentin wurde ich oft an meiner Arbeit gehindert"

Fast acht Jahre lang war Barbara Lüthi China-Korrespondentin des Schweizer Fernsehens. persoenlich.com hat sie vor einigen Tagen bei Finalisierungsarbeiten im Leutschenbach besucht. Im Interview spricht sie über die Arbeitsbedingungen in China und über diejenigen, unter denen sie und ihr Team "Old Burma Road" realisierten. Diese Dok-Serie startet am Freitagabend.
SRF: "Als China-Korrespondentin wurde ich oft an meiner Arbeit gehindert"

Frau Lüthi, im Film üben Sie Thai Chi und konstatieren anschliessend: "Die perfekte Langsamkeit entspricht überhaupt nicht meinem Naturell". Sie haben wieder aufgehört damit, nehme ich an.
(lacht) Ja, absolut. Ich mache schon seit Jahren Yoga, rund einmal in der Woche. Das tut mir wirklich sehr gut – mit dieser Technik kann ich mich erden und mich zentrieren. Doch Thai Chi habe ich während den Dreharbeiten zu 'Old Burma Road' tatsächlich zum ersten Mal ausprobiert.

Wie viel von der Dok-Serie stammt aus Ihrer Feder? Welchen Einfluss nimmt die Redaktion?
Unser Team umfasste zwei Produzentinnen, Elvira Stadelmann als Hauptproduzentin und Andrea Pfalzgraf für Indien. Beide machten die Recherche, zusammen mit mir. Nach einem ersten Brainstorming war relativ schnell klar, wo wir die Akzente setzen wollten. Dann teilten wir uns auf: Ich brachte Vorschläge zu China ein – zusammen mit einer lokalen Journalistin, die wir als Produzentin engagierten. Elvira war zuständig für Myanmar und Andrea für Indien. Die ganze Logistik, alle Visa und die Anfragen für Interviewpartner wurden jedoch von der Schweiz aus gemacht. Elvira hat die Serie am Schluss geschnitten.

Wie viel ist vorchoreografiert, wo konnten Sie spontan entscheiden?
Wir hatten einen groben Plan: 18 Tage waren vorgesehen pro Land. Im Vorfeld hatten wir einen Ablauf zurechtgelegt mit den grossen Themen und den wichtigen Interviewterminen, etwa dass wir nach Dali gehen werden und dort den Künstler Han Hsiang treffen. Abgesehen davon war genügend Zeit vorhanden für lokale Begegnungen – für Dinge, die 'on the road' passierten.

Zum Beispiel?
Auf dem Inle-See in Myanmar wollten wir ein Porträt machen über einen Fischer – ein klassisches Touristen-Fotosujet. Wir begleiteten ihn und besuchten seine Familie und fanden heraus, dass der rasant wachsende Tourismus auch seine Schattenseiten hat und das Leben der lokalen Fischerfamilien erschwert.

Im Film sieht man meist nur Sie: Wie viele Leute reisten mit?
Wir waren zu fünft: Eine Produzentin, eine lokale Produzentin oder eine Stringerin, die auch übersetzen konnte, der Kameramann, ein Kameraassistent und ich.

Was genau ist eine "lokale Produzentin“? Wurde sie Ihnen von der Regierung zugeteilt, sozusagen als Aufseherin?
Nein, ganz und gar nicht. Unsere lokale Produzentin für China heisst Xifan Yang. Sie ist selber Journalistin, lebt in Shanghai und kennt die Provinz Yunnan, durch die wir gereist sind, sehr gut. Das machte es einfacher an spannende Personen und Themen heranzukommen. Für Myanmar und Burma hatten wir je eine andere lokale Produzenten engagiert.

Die Vermutung, wonach die lokale Produzentin Ihnen zugeteilt wurde, ist nicht so abwegig. Oder doch?
Wenn eine Produktion aus dem Ausland in China drehen will, ist das manchmal so. Uns wurde aber niemand zugeteilt. Wenn man in China als Journalistin akkreditiert ist, wie ich das bis Ende 2013 war, dann kann man sich im Land eigentlich frei bewegen. Vor den Olympischen Sommerspielen 2008 wurde das Gesetz geändert, denn Teil der olympischen Charta ist es, Pressefreiheit zu garantieren. Im neuen Gesetz für Journalisten heisst es, dass wir unsere Reisen nicht mehr beim Staat anmelden müssen, sondern nur noch schriftliche Zusagen brauchen von den Interviewpartnern.

So frei waren Sie aber nicht.
Nein, praktisch wurde ich in meiner Zeit als China-Korrespondentin immer noch oft an meiner Arbeit gehindert. Zum Beispiel fährt einem ein schwarzes Auto hinterher, wenn man aufs Land hinausfährt, wo der Fluss verschmutzt ist und die Menschen krank werden. Und auch wenn die Offiziellen nicht eingreifen: Ein Bauer, der diese Begleitfahrzeuge sieht, redet dann natürlich nicht mir mir. Ich wurde aber oft auch ganz direkt gestoppt. Die Kontrolle ist also noch immer da. Und sie wird wieder stärker seit Xi Jinping Präsident ist.

Und wie aufwändig war die Vorbereitung zu "Old Burma Road"?
Um dafür als Journalisten nach China zu kommen, mussten wir einen Antrag stellen, wozu ein genauer Reiseplan nötig ist, sowie Zusagen der Interviewpartner. Lily Zhang aus dem Film, die einer Naxi-Minderheit angehört, musste beispielsweise einen Brief schreiben und darin unseren Gesprächstermin im Vorfeld bestätigen.

Diese Briefe hat jemand aus dem SRF-Team verfasst.
Ja, Elvira hat den englischen Teil übernommen. Den Rest machten freie Mitarbeiter aus China, zum Beispiel um die Drehbewilligung vor Ort einzuholen. Das ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit – da darf kein falsches Wort drin stehen.

Sie kamen früher bei Ihrer Arbeit in China immer wieder in heikle Situationen und wurden sogar festgenommen.
Ja, mehrere Male. Das längste waren etwa sechs Stunden. Solche Festnahmen verlaufen aber meist harmlos, sind aber schon unangenehm, denn man weiss nie wirklich was passiert. Man muss einfach ruhig bleiben. Die Polizei hat mich jeweils festgenommen und mich in Büro des Parteisekretärs gebracht, wo mir Fragen gestellt wurden, wie: Warum berichten Sie negativ über China? Unangenehm wurde es, wenn sie unsere Filmaufnahmen sehen wollten. Da habe ich mich schlicht geweigert oder ihnen ein Tape mit Landschaftaufnahmen gegeben, das wir vorbereitet hatten.

Was antworteten Sie auf die Frage, warum Sie negativ berichten?
Ich sagte: Ich bringe doch keine negativen Geschichten über China, ich bringe einfach Geschichten zu China! Und sorry: Wenn Gewässer vergiftet sind und tausende Menschen deswegen krank werden oder sterben, dann ist das keine gute Geschichte. Dennoch berichte ich darüber.

Das erklären Sie so offen?
Für chinesische Journalisten ist das anders, sie arbeiten für staatliche Medien und unterstehen so der Zensur. Am Morgen, wenn sie ihren Computer anschalten, öffnen sie zuerst das Mail, das ihnen sagt, welche Namen sie in der Berichterstattung nicht erwähnen dürfen. Doch es gibt in China viele extrem mutige Journalisten, die Themen wie Umwelt- und Korruptionsskandale aufdecken, nur können sie nicht immer publizieren oder sie gehen ein hohes Risiko ein. Auf dem Index für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen stand China 2014 auf Platz 173 von 179 Ländern. Doch der Kampf um die Wahrheit wird leidenschaftlich geführt. Dabei hilft auch das Internet.

Welches war die unangenehmste Situation während Ihrer Zeit als Chinakorresponentin?
Einmal gab es einen heiklen Moment bei einer aufwändigen Recherche, für die wir auf dem Land waren. Plötzlich kamen vier Polizisten in ziviler Kleidung und bedrohten uns verbal, rissen uns die Kamera weg und begannen, uns zu schupsen und zu treten. Ich wehrte mich und steckte Schläge ein, konnte dann aber glücklicherweise meine Kontaktperson im chinesischen Aussenministerium anrufen. Ich schilderte meine Situation. Doch die Tatsache, dass die Kontaktperson aus dem Aussenministerium vermitteln wollte, interessierte die Schergen nicht. Da wurde es tatsächlich sehr ungemütlich, denn die Polizisten waren sehr aggressiv. Sie hielten uns rund vier Stunden fest, bevor sich die Lage entspannte.

Wozu dient diese Stelle im Aussenministerium?
Jeder ausländische Journalist bekommt eine Person im Aussenministerium zugeteilt, mit der man sich ab und zu trifft - vor allem Ende Jahr, wenn man sein Journalisten-Visum erneuern muss. Bei diesem Gespräch wurde ich immer wieder auf die 'rote Linie' hingewiesen, die ich nicht überschreiten dürfe. Doch wo genau diese ist, sagt einem niemand. Klar, der Dalai Lama liegt darauf oder der Tian’anmen Square.

Wurden Ihre Beiträge von irgendeiner Stelle überprüft?
Vor der Ausstrahlung nicht. Doch ich denke, dass die Beiträge von der chinesischen Botschaft in Bern angeschaut werden, denn manchmal erhielt ich dazu Feedback von meiner Betreuungsperson im Aussenministerium in Peking. Man merkte an, ich sei teilweise zu kritisch.

Wurden Sie überwacht? Ihr Handy oder Ihr Mailverkehr?
Bei den Vorbereitungen zu "Old Burma Road" waren wir sehr vorsichtig mit Mail und Handy-Verkehr. Auf dem Dreh in Yunnan wurden wir nie gestoppt. Wir hatten Glück, denn das kann auch geschehen, wenn man alle Bewillungen hat, einfach weil einem Beamten nicht passt, was man filmt.

Und früher als Korrespondentin?
Bei meiner Arbeit in China habe ich viele Vorsichtsmassnahmen getroffen. Zum Beispiel telefonierten wir mit Pre-Paid-Karten, so dass man die Telefonnummer nicht zurückverfolgen kann und stellten das Telefon ganz ab. Denn es kam vor, dass wenn wir Interviews über Mail oder Telefon vereinbarten, diese dann plötzlich von den Interviewpartnern abgesagt wurden. Offenbar hatten die Behörden Wind von unserem Vorhaben bekommen und wurden dann bei unseren vermeintlichen Interviewpartnern vorstellig, sodass diese keinen Kontakt mehr zu uns wollten.

Wie schützen Sie Ihre Interviewpartner?
Das kommt immer auf die Interviewsituation an. Beim Dreh für die "Old Burma Road" mussten wir die Interviews bei den Behörden einreichen. Trotzdem blieb uns viel Freiheit, da wir alleine unterwegs waren. Wir haben mit den Menschen, die wir trafen, wichtige Themen wie Pressefreiheit und Umweltverschmutzung thematisiert, aber ohne sie in Gefahr zu bringen. Bei Geschichten, die ich früher gemacht habe, zum Beispiel zu aktuellen Konflikten wie Landenteignung, waren wir sehr vorsichtig, was Telefon- oder Internetkommunikation anbelangt. Es half auch, eine Person nicht zuhause zu treffen, sondern an einem anderen Ort. Oder bei Morgengrauen anzureisen und sich in das Haus des Interviewpartners zu schleichen. Ich schaute natürlich schon darauf, dass die chinesische Regierung nicht zurückverfolgen kann, in welchem Dorf ich mit welchen Personen gesprochen habe.

Wie gut sprechen Sie eigentlich selber chinesisch?
Nicht gut, verstehen geht besser. Ich habe es leider verpasst, richtig Mandarin zu lernen in den Jahren in Peking. In Hong Kong müsste ich jetzt mit Kantonesisch anfangen, aber hier sprechen alle Englisch.

Mit Ihrem Mann, der ebenfalls Journalist ist, würden Sie Geschäftliches nur an der frischen Luft diskutieren, sagten Sie in "Schawinski“.
(lacht) Manchmal realisiere ich gar nicht mehr, wie paranoid ich schon geworden bin! In China wohnten und arbeiteten wir viele ausländischen Journalisten in einem und dem gleichen Compound – also wie in einem Riesen-Nest. Früher durften ausländische Journalisten gar nirgends anders wohnen. Da ist doch logisch, dass man das Gefühl hat, alle Räume seien verwanzt und man werde dauernd abgehört. Dass unser Internetanschluss da ausgebremst wurde und jemand am Festnetz mithört, hat uns ein Techniker bestätigt.

Ihr Mann arbeitete als Produzent für CNN. Half dieser Kontakt, dass Sie 2008 "CNN Journalist of the Year" wurden?
Ich lernte meinen Mann 2005 kennen, als ich den "CNN Journalist Award" das erste Mal bekam. Ich bekam damals also nicht nur einen Preis, sondern auch einen Ehemann. Dieser Award hat sich für mich also ausgesprochen gelohnt (lacht)! Wir haben mittlerweile zwei Kinder. Auf den Award 2008 hatte er keinen Einfluss.

Fragen: Edith Hollenstein, Bilder: SRF


Die erste von sechs Folgen der Dok-Serie "Old Burma Road - unterwegs mit Barbara Lüthi" wird am Freitagabend um 21 Uhr auf SRF 1 ausgestrahlt. Weitere Infos zur Sendung finden Sie auf srf.ch und hier stellt SRF zusätzliche Infos und Bilder zu den Dreharbeiten zur Verfügung.

Für eine detailierte Routen-Übersicht klicken Sie auf: srf.ch/die-route-von-kunming-nach-kolkata.



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Kommentare

  • Gerhard Wieser, Auf der Bürglen 7, 8627 Grüningen, 12.11.2019 19:16 Uhr
    Ich möchte einfach dieser tollen Frau für ihr ausserordentliches Können und ihr engagiertes Wirken gratulieren. Alle Sendungen, die ich gesehen habe waren hervorragend und jetzt geniesse ich auch den Club. Herzlichen Dank Barbara Lüthi! Gerhard Wieser
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