05.05.2014

Syndicom

Zeitungsfrühzusteller sind trotz GAV schlecht bezahlt

Hanspeter Lebrument spricht von "schlitzohriger Politik".

Wer frühmorgens Zeitungen in Briefkästen verteilt, gehört zu den am schlechtesten Verdienenden in der Schweiz. Das haben die eben abgeschlossenen GAV-Verhandlungen bestätigt. Eine Annahme der Mindestlohninitiative würde für rund 10'000 Frühzusteller in der Deutschschweiz eine namhafte Lohnerhöhung bringen.

In der Schweiz gibt es nach Angaben des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes schätzungsweise 115’000 bis 140’000 Arbeitnehmende mit Tieflöhnen, die keinem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstellt sind. Aber auch ein GAV schützt nicht immer vor tiefen Löhnen. Namentlich Frühzusteller von Zeitungen und Beschäftigte in Callcentern, bei Kurierdiensten und Industrie-Buchbinder erhalten trotz GAV Monatslöhne von lediglich rund 3500 Franken, wie es bei der Gewerkschaft Syndicom heisst.

Die Gewerkschaften propagieren mit ihrer Mindestlohn-Initiative, über die am 18. Mai abgestimmt wird, generell einen Stundenlohn von 22 Franken, was hochgerechnet einem Monatslohn von 4’000 Franken respektive einem Jahreslohn von 48'000 Franken entspricht.

Nullsummenspiel ohne Fortschritte 
Dennoch akzeptierten die Gewerkschaften einen deutlich tieferen Lohn beim aktuellen GAV im Frühzustellungsmarkt für Zeitungen in der Deutschschweiz. Der GAV ist erst Anfang Februar dieses Jahres in Kraft getreten und hat drei Jahre Gültigkeit. Der im GAV festgelegte Stundenlohn beträgt inklusive Zuschläge für Nacht-, Früh- und Sonntagsarbeit laut Gewerkschaft Syndicom 19,25 Franken. Die Post-Tochter Presto als Verhandlungspartnerin errechnet zuzüglich des Ferienzuschlags einen Mindestlohn von 20,85 Franken.

In der Deutschschweiz verfügt Presto mit rund 10'000 Frühzustellern in den Regionen Zürich, Bern, Basel, der Zentralschweiz und der Ostschweiz über eine dominante Stellung. Die AZ-Medien im Mittelland (Solothurn, Aargau) und Zeitungsverlage in Graubünden und Schaffhausen haben eigene Vertriebsorganisationen mit schätzungsweise rund 2’200 Frühzustellern.

Der neuste GAV-Abschluss sei ein Nullsummenspiel gewesen, stellt Syndicom-Mediensprecher Bruno Schmucki fest. Die Strategie sei es gewesen, einen Mindestlohn für die gesamte Deutschschweiz zu erreichen, ansonsten habe man aber kaum Fortschritte erzielen können.

Die Post, die in den letzten Jahren diverse Zusteller-Unternehmen aufgekauft hat, sieht allerdings klare Fortschritte in der vor 2009 arbeitsrechtlich wenig regulierten Branche. Verbesserungen gebe es bei der Lohnfortzahlung bei Krankheit, den bezahlten Ferien und der Nichtberufsunfall-Versicherung, erklärt Post-Sprecher Bernhard Bürki.

Hart umkämpfter Markt 
Die wenig komfortable wirtschaftliche Lage der Presto hat sich im aktuellen GAV niedergeschlagen. Im vergangenen Jahr schrieb Presto einen Verlust von 1,3 Millionen Franken nach einem Gewinn von 45'000 Franken im Jahr zuvor. Bei der Post heisst es denn auch: Der Markt zeichne sich durch sehr tiefe Einstiegshürden aus und der jährliche Mengenrückgang betrage rund vier Prozent. Die Fixkosten liessen sich nur beschränkt an den Mengenrückgang anpassen. Sollte die Initiative angenommen werden, würde die Post ihre Lohnpolitik überprüfen und gegebenenfalls anpassen.

Laut Schmucki brächte ein Ja zur Mindestlohn-Initiative für die Zusteller nicht nur einen deutlich höheren Lohn, ausserdem könnte dies einen Schub für die verfahrene Situation bei den GAV-Verhandlungen bedeuten. Es käme nämlich ein Lohn zustande, der auf dem Verhandlungsweg nicht durchsetzbar sei. Bei den GAV-Verhandlungen sei die Post insbesondere mit Verweis auf das Defizit von Presto hart geblieben, erklärt Schmucki. Ausserdem sei argumentiert worden, dass die Verleger nicht bereit seien, mehr für die Zustellung zu bezahlen.

Schlitzohrige GAV-Politik 
Als schlitzohrig bezeichnet der Präsident des Verbandes Schweizer Medien, Hanspeter Lebrument, das Verhalten von Gewerkschaft und Post. Es sei nicht korrekt, wenn ein paar Monate vor der Abstimmung über die Initiative ein GAV-Lohn unter 22 Franken von den Verhandlungspartnern akzeptiert werde und davon ausgegangen werde, dass Verleger, die nicht am Verhandlungstisch gesessen hätten, dann später die Zeche bezahlen würden, so Lebrument.

Die von Lebrument verlegte "Südostschweiz" macht die Frühzustellung von Zeitungen in Eigenregie. Laut Lebrument sind hier die Löhne um 25 bis 30 Prozent höher als im neuen GAV. Die Löhne lägen damit im Durchschnitt nicht unter den neuen Mindestlöhnen, die die Initiative versehen würde. (sda)

 



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