23.07.2013

Tages-Anzeiger

Online-Kulturredaktion will in die Charts

Philippe Zweifel, Linus Schöpfer, David Sarasin kreieren potentiellen Sommerhit.
Tages-Anzeiger: Online-Kulturredaktion will  in die Charts

"Do it yourself", sagten sich die Kulturjournalisten des "Tages-Anzeigers". Weil in diesem Jahr kein eigentlicher Sommerhit durch die Badis und Strandbars klingt, kreierten Philippe Zweifel, Linus Schöpfer, David Sarasin (vgl. Bild oben) kurzerhand einen eigenen "Sommerhit". “Your Green Eyes" heisst der Song, der laut den Machern die Essenz verschiedener Sommerhits aus der Vergangenheit in sich vereint. Handelt es sich um eine einmalige Aktion oder wird es Usus, dass Journalisten bei Nachrichtenflaute gleich selber diejenigen Produkte kreieren, die sie eigentlich rezensieren sollten? Persoenlich.com erkundigte sich bei David Sarasin.

Herr Sarasin, offenbar entstand die Idee schon beim Weihnachtsessen 2012. Zum Glück gibt es in diesem Jahr keinen anderen Sommerhit, der den Song konkurrenzieren könnte. Hätten Sie das Projekt um ein Jahr verschoben, wenn momentan ein Hit um die Welt gehen würde?
Gut, Daft Punks "Get Lucky", der Song, der momentan rauf und runter gespielt wird, erachten wir schon als Sommerhit, wenn auch als untypischen. Wir dachten aber schon immer, wir sollten es mit jedem anderen Stück aufnehmen können. Von daher hätten wir die Kreation unseres eigenen Musikstücks mit Sommerhit-Potential nicht verschoben.

Sie und Ihre beiden Tagi-Kollegen Linus Schöpfer, Philipp Zweifel sowie Produzent Pablo Rodriguez sind die Urheber. Ist der Bandname "Gin & Tonic" ebenfalls beim Weihnachtsessen entstanden?
Den Namen haben wir uns erst im Studio bei Pablo Rodriguez ausgedacht. Warum? Weil der Drink in den Lyrics vorkommt und er im Moment als sogenanntes Trendgetränk gilt. 

Sie haben Elemente, die bereits in anderen Sommerhits aufgetaucht sind, in den eigenen Song aufgenommen. Welche genau?
Da gibt es ganz viele. Die Handclaps gegen Ende, die Perkussion im Refrain, die fehlerhaften Lyrics – die haben wir bei DJ Bobo abgeschaut -, das Sommerthema, der Mitgröhl-Refrain. Den spezifischen Tanz haben wir leider ausgelassen, mussten wir im Nachhinein eingestehen.

Auch Elemente aus "Get Lucky" von Daft Punk?
Wir finden das Stück toll, ja. Philippe Zweifel befand, dass wir auch in Richtung Disco gehen sollten mit unserem Stück. Nicht zuletzt wegen Daft Punk.

Laut einem Interview mit Joiz haben Sie mit Hitproduzent Roman Camenzind und DJ Bobo gesprochen in der Recherche. 
Roman Camenzind hat uns fast am meisten geholfen. Er sagte uns, dass nach 30 Sekunden der Refrain einsetzen sollte, dass ein Song für den Dancefloor um die 128 Bpm haben sollte, dass wir in die Breite denken sollen. Und dass man einen Refrain schon nach dem ersten Mal Hören mitsingen können muss.

DJ Bobo hat Sie auf die Idee gebracht absichtlich, einen grammatikalischen Fehler in den Text einzubauen?
Ja, bei DJ Bobos "Chihuahua" gibt es diese falsche Zeile: "A little melody keeps feeling on my mind tonight". Da dachten wir, das wollen wir auch.

Wo wird der Song gespielt?
Wir hoffen natürlich auf die Radiostationen! Dann haben wir ihn selber im Club Gonzo aufgelegt, einer von uns ist da DJ. Und: Es hat sogar funktioniert, einige haben mitgegröhlt.

"Your Green Eyes" ist für 1.60 Franken auf iTunes erhältlich. Was machen Sie mit dem Geld, das der Song einspielt?
Eine gute Frage. Das haben wir uns noch gar nicht überlegt. In Gin and Tonic investieren?


 

Was sagt Chefredaktor Res Strehle dazu? Ist diese Aktion von ihm abgesegnet?
Von Michael Marti war das Projekt abgesegnet, er ist für Tagi-Online zuständig und ebenfalls Teil der Chefredaktion.

Ihr Projekt könnte wegweisend sein für eine neue Art des Kulturjournalismus.
Das wäre wohl zu viel gesagt. Aber es war ein Projekt, das sich nicht allein auf die theoretischen Formen beschränkte, sondern in dem wir, im vollen Wissen um unsere musikalischen Grenzen, den Schritt ins Praktische wagten - und diese Erfahrung wiederum dokumentierten. Darin lag durchaus ein neuartiger Unterhaltungswert.

Dass Journalisten Produkte, über die sie potentiell schreiben sollten, gleich selber produzieren und vermarkten, wäre ja noch praktisch.
Das denke ich nicht. Es war ein Experiment, mit dem wir einen Prozess nachzeichnen. Darin liegt der journalistische Wert des Projekts. Wir haben das gemacht, wovon viele denken, "das möchte ich auch mal versuchen". Ich glaube, wir haben auch gezeigt, dass es gar nicht so leicht ist, einen Sommerhit anzufertigen. Wir sind ja auch nicht die ersten Journalisten, die sich hinters Mikrofon wagen. Die Redaktion des britischen "Guardian" hat einmal ein Radiohead-Lied gecovert.

Mussten Sie die Rechte der verwendeten Songs und Bilder kaufen?
Es sind alles Bilder, die zur freien Verfügung standen. Jan Derrer, der Videoredaktor von Tagi online, hat sie zusammengestellt. Wir haben alles selber eingespielt und eingesungen. Von daher, nein, wir mussten keine Rechte kaufen.

Sogar Knackeboul findet den Song gelungen. Haben Sie weiteres prominentes Feedback erhalten?
Ein paar DJs aus unserem Bekanntenkreis waren begeistert. Ansonsten gibt es zahlreiche Radiomoderatoren, denen der Song gefallen hat. Die meisten aber finden ihn "gar nicht mal so schlecht". Konsequenter wäre gewesen, der Song wäre noch schlechter geworden. 

Interview: Edith Hollenstein

 

 



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