11.11.2013

Tamedia

"Journalismus kennt keine Pensionierung"

Peter Rothenbühler, ehemaliger Chefredaktor verschiedener Ringier-Titel und zuletzt stellvertretender publizistischer Direktor bei Edipresse, hat am 30. November seinen letzten Arbeitstag. Doch ans Aufhören denkt der Vollblutjournalist noch lange nicht: Künftig schreibt er als freier Mitarbeiter Kolumnen für die "Schweizer Illustrierte". Mit persoenlich.com sprach der gebürtige Jurassier über das schlechtere Arbeitsklima seit dem Zusammenschluss von Tamedia und Edipresse und über die mangelhafte Journalismus-Ausbildung an Schweizer Hochschulen.
Tamedia: "Journalismus kennt keine Pensionierung"

Herr Rothenbühler, am 30. November ist Ihr letzter Arbeitstag. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Es geht weiter. Ein Manager geht vielleicht in Pension und auf den Golfplatz, nicht ein Schreiber, ein Kreativer. Schon gar nicht mit 65. Ich werde genau dasselbe weiter machen: Kolumnen schreiben, Zeitschriften und Zeitungen entwerfen, umgestalten, lancieren. Das Metier kennt keine Pensionierung.

Dann werden Sie auch Ihre Kolumne bei der "SonntagsZeitung" weiterhin schreiben?
Nein, ich wechsle am 1. Dezember zur "Schweizer Illustrierten". Ich werde freier Mitarbeiter, Kolumnist. Und stehe dem Zeitschriftenchef Urs Heller auch für anderes zur Verfügung. Er weiss sehr genau, was ich kann. Ich war mit der Kolumne in der "SonntagsZeitung" glücklich, wurde von der Redaktion auf Händen getragen und das Publikumsecho war sehr erfreulich. Da aber Tamedia an einer Weiterbeschäftigung auch in anderen Bereichen nicht interessiert ist und ich seit Langem freundliche Angebote von Ringier bekomme, zügle ich auch das Filetstück meiner Tätigkeit, die Kolumne, zu Ringier. 

Worüber werden Sie bei der "Schweizer Illustrierten" schreiben?
Es bleibt beim Format "Lieber sonundso…", das liegt mir. Ich kriege aber 100 Anschläge mehr! 

Was bedeutet es für Sie, wieder zu Ringier zurückzukehren? 
Ich habe bei Ringier zwanzig Jahre eine glückliche, lehrreiche und äusserst erfolgreiche Zeit erlebt. Zum Glück ist Michael Ringier noch ein richtiger Verleger, der von einer Passion für Inhalte, für Journalismus angetrieben wird und nicht nur von Zahlen, Dividenden und Ebita. Und er ist umgeben von Leuten, die im Schweizer Journalismus Grosses geleistet haben.

Auch Sie bilden angehende Journalisten aus. Verlängern Sie Ihren Lehrauftrag an der Universität Neuenburg?
Nein, ich habe den Bettel selbst hingeworfen. Weil ich leider feststellen musste, dass viele Schulen und Unis sehr stolz sind auf das "sexy" Fach Journalismus, gerne prominente Lehrbeauftragte anstellen, aber nicht bereit sind, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ausserdem sind die Organisation und die interne Kommunikation in der Uni Neuenburg leider, gelinde gesagt, eher suboptimal. 

Das klingt nicht sehr positiv. Gab es viele Tiefschläge in Ihrer journalistischen Karriere?
Ich habe ein selektives Gedächtnis, es bleibt fast nur das Gute hängen. Richtige Flops habe ich nie gebaut, darauf bin ich stolz. Natürlich hatte ich Rückschläge einzustecken, bei der Lancierung der "Schweizer Illustrierte" nannte mich der Tagi zum Beispiel "Der Totengräber der Schweizer Illustrierten". Ein berühmter Fotograf schrieb in einer Fachzeitschrift, man müsste mich standrechtlich erschiessen. Als ich nach Lausanne zu "Le Matin" kam, versuchten liebe Kollegen von der Konkurrenz den "Rottenweiler" - so nannte man mich - mit regelmässigen Klagen beim Presserat wegzumobben. Aber das hat mich nur stärker gemacht. Auch "Le Matin" kam unter meiner Führung wieder in die Gewinnzone. Und weil ich recht viele spannende Storys anriss, war ich der am häufigsten eingeladene Nichtpolitiker in der Sendung "Infrarouge", der welschen Arena. 

Was war für Sie persönlich das Highlight? 
Der durchschlagende Erfolg meines "Schweizer Illustrierte"-Konzepts. Mit der Konzentration auf Schweizer People brachten wir die SI von einem Verlust von sieben Millionen auf einen Gewinn von 24 Millionen. Zum Glück haben wir mein Konzept nicht von teuren Beratern durchleuchten lassen, sonst wäre es nie realisiert worden. Michael Ringier glaubte an mich, gab mir freie Hand und wir haben gewonnen.

Sie waren über mehrere Jahre in leitenden Funktionen in der Deutsch- und der Westschweiz tätig. Was ist der grösste Unterschied zwischen dem welschen und dem deutschschweizer Journalismus?
Die Sprache. Es ist unmöglich, einen guten Artikel zu übersetzen, ohne ihn völlig neu zu schreiben und aufzubauen. Die Sprachen sind Ausdruck der unterschiedlichen Kulturen, der diversen Rhetorik. Das macht alles so spannend. Die Berufsregeln sind aber genau gleich, die Ausbildung vielleicht etwas formalisierter in der Westschweiz, der Glaube an Diplome und Zeugnisse ist - nach französischem Vorbild - grösser. Die Westschweizer Presse stand nie unter dem Einfluss der deutschen und angelsächsischen Boulevardpresse. Das kann man gut finden. Ich finde es schade.   

Wie hat sich das Arbeitsklima aufgrund der Fusion von Edipresse und Tamedia verändert?
Leider hat es sich zum Schlechteren verändert. Wir sind alle mit viel Optimismus in die Zusammenführung gegangen, wurden dann aber laufend enttäuscht. Das liegt vor allem an der neuen Führung in Lausanne selbst, wo sich der welsche CEO gerne rühmt, nichts von Journalismus zu verstehen, nur ein Söldner von Zürich zu sein und die Zeitungen fast nie zu lesen. Aber es gibt auch Lichtblicke: zum Beispiel der gemeinsame Recherche-Desk von der "SonntagsZeitung" und "Matin Dimanche" in Bern, der rege Austausch unter Kollegen und ein offensichtliches Interesse des Präsidenten Pietro Supino an journalistischer Qualität.    

Wo sehen Sie die grösste Gefahr für die Schweizer Zeitungen?
Der Markt ist schwierig, aber die Marken sind stark. Sparen ist wichtig, aber es braucht jetzt, mehr denn je, auch den Mut, in neue, noch risikobehaftete Geschäftsfelder zu investieren, wie das zum Beispiel Peter Wanner mit dem Internetprojekt Watson tut, oder Ringier mit seiner Öffnung zum Show- und Sportbusiness oder die NZZ mit ihrem Einstieg in das Tagungsbusiness (Swiss Economic Forum) oder La Presse in Montreal mit einer revolutionären Tablet-Version.

Was ist Ihre Zukunftsprognose für die Schweizer Zeitungslandschaft?
Es wird noch ein paar Zeitungen weniger geben. Und es werden neue Akteure auftreten, reiche, clevere Unternehmer wie Blocher, Biver oder Jeff Bezos, die auf Zeitungs-Marken setzen. Die grossen regionalen Blätter werden überleben, auf vielen Kanälen. Ich bin überzeugt, dass es nach der grossen Krise ein Revival der gedruckten Presse geben wird, weniger Auflage, etwas teurer. Wie die mechanische Uhr wieder gekommen ist, kommt auch die gedruckte Presse wieder. Im Premium-Segment.

Was bleibt, rückblickend, als wichtigste Lektion?
So nahe wie möglich gehen, aber nie mitgehen. Ein Journalist muss Beobachter bleiben, Frager, Störer.

Interview: Seraina Etter



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