10.10.2013

Wörterseh

"Der intensive Gedanke an das Ende verändert jeden Menschen"

"Der Tod erinnert uns daran, wie wertvoll das Leben ist", sagt Dimitri. Er und etwa Franz Hohler, Kurt Aeschbacher, Ernst Sieber, Andreas Thiel, Nik Hartmann, Pedro Lenz oder Daniele Muscionico haben sich im noch druckfrischen Buch "Zu Ende denken" mit dem Sterben befasst. Wie schafften es die beiden Projektverantwortlichen - Filmemacherin Rebecca Panian und die Journalistin Elena Ibello –, den Prominenten derart Persönliches zu entlocken? "Viele haben schon bei der ersten Anfrage unerwartet gerne über den Tod gesprochen", sagen sie. Für das Buch haben 48 Schweizer einen Text zum Sterben verfasst, ohne dafür ein Honorar zu bekommen.
Wörterseh: "Der intensive Gedanke an das Ende verändert jeden Menschen"

Frau Ibello und Frau Panian, herzliche Gratulation zum ersten eigenen Buch.
Elena Ibello: Danke! Man muss aber sagen: Dies ist zwar unser Buch, doch wir haben es nicht selber geschrieben. Wir sind die Initiantinnen. Wir haben die Texte zusammengetragen und sie redigiert.

Rebecca Panian:  Anfänglich hatte ich die Idee, einen Dokumentarfilm zum Thema Tod zu machen. Ich wollte aufzeigen, dass man an Lebensqualität gewinnt, wenn man den Tod in sein Leben integriert. Mit dieser Idee stiess ich bei meiner Freundin Elena Ibello auf offene Ohren. Der Zufall wollte es, dass Elena zu dieser Zeit bei palliativ.ch zu arbeiten begann. Im Gespräch über den Aufbau des Films kamen wir überein, dass es spannend wäre, unter anderem ganz unterschiedliche Leute zum Tod und zum Leben zu befragen. Einen Gedanken später fanden wir, dass es interessant wäre, dieselben Menschen zu fragen, ob sie zum Thema "Zu Ende denken" einen Text verfassen wollten. So entstand die Idee zum Buch aus der Arbeit am Film. 

Sie haben die Texte also schreiben lassen und nicht selber geschrieben.
EI: Ja, wir haben die Texte angefordert. Ausser dem Vor- und dem Nachwort haben wir nur die Texte von Margrit Stebler und Dimitri geschrieben. Diese Texte habe ich aus den Interviews generiert. Bei den übrigen Autorinnen und Autoren haben wir als Beraterinnen fungiert: Wir haben bei Fragen zum Schreiben unterstützt und die Texte am Schluss redigiert.

 

Zusammen ein Buchprojekt realisiert: Filmemacherin Rebecca Panian und Journalistin Elena Ibello. 

Gewisse Beiträge sind sehr persönlich und dadurch extrem berührend. Andere hingegen behandeln das Thema Tod auf allgemeine, oberflächliche Art. Meist sind die Beiträge von bekannten Personen weniger intim. Eine Enttäuschung für Sie?
RP: Manche Texte sind gewiss distanzierter als andere. Enttäuscht sind wir aber keineswegs. Vielmehr erfreut ab der Vielfalt der Texte. Genau das wollten wir ja unter anderem aufzeigen: Dass der Tod so individuell ist wie jedes Leben. 

EI: Aus den Feedbacks wissen wir, dass beim Video-Interview eine sehr offene Atmosphäre herrschte. Ich selber war sehr überrascht, dass Leute vor der Kamera so persönliche Aussagen machen. Im persönlichen Gespräch kommen natürlicherweise andere Aussagen als in einem Text, der ja ganz anders entsteht als die spontane Rede.

Welche Statements konkret haben Sie überrascht?
RP: Kurt Aeschbacher hat mich total beeindruckt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine öffentlich bekannte Person wie er, sich beispielsweise so kritisch über die Kirche äussern würde.

EB: Viele erzählten sehr intime Geschichten, die sicherlich einmal tiefe Wunden gerissen hatten. Sie erzählten, wie sie Abschied nehmen mussten und wie sie eine Strategie gefunden hatten, mit dem erlebten Verlust umzugehen.

RP: Pedro Lenz überraschte mich ebenfalls. Er setzte sich vor die Kamera und erzählte, dass er eigentlich täglich an den Tod denke. Dann sprach er weiter, machte Beispiele, philosophierte. Plötzlich hielt er inne und meinte: "Wenn ich mir das hier jetzt so richtig überlege, denke ich doch nicht so viel über den Tod nach wie ich gedacht habe". Viele Interviewte waren dankbar, dass ihnen dieses Film-Interview und die Anfrage für den Text die Gelegenheit boten, einmal gründlich über das Ende nachzudenken. Denn der intensive Gedanke an das Ende verändert jeden Menschen.

Und wie hat die Auseinandersetzung mit dem Buch Sie beide verändert?
RP: Mich muss man nicht fragen, denn das Thema Tod begleitet mich sehr intensiv seit bei meinem Vater 2006 sehr überraschend Krebs diagnostiziert wurde. Dieses einschneidende Erlebnis hat mich geprägt. Mein Vater ist im November 2011 gestorben. Heute denke ich gerne an das Ende und oft. Vor allem dann, wenn ich das Gefühl habe, überfordert zu sein, nicht zu wissen, was ich tun soll. Das Denken an das Ende relativiert sofort so viel, bringt mir persönlich Ruhe, Gelassenheit und Klarheit. Durch die Arbeit am Buch wurde mir zudem bewusst, wie stark bei vielen das Bedürfnis besteht, über den Tod zu reden. Bei der ersten telefonischen Anfrage an unsere Interviewpartner fingen viele sofort an, ihre Erlebnisse zu Tod und Sterben mitzuteilen.

Sie erlebten die Reaktionen der Interviewpartner deutlich anders, als bei journalistischen Anfragen zu andere Themen.
EI: Ja, ganz klar. Normalerweise habe ich den Eindruck, die Leute reden nicht gerne über das Thema Tod. Aber alle haben ihre Erfahrungen damit. Es war überwältigend, wie offen die Interviewten reagierten. Als ob die Leute auf diese Frage nach ihrem Lebensende nur gewartet hätten.             

Konnten Sie den Autoren ein Honorar auszahlen?
RP: Nein. Einerseits hatten wir kein Geld. Andererseits ist es für mich eine Sache des Prinzips: Es sollen nur Menschen mitmachen, denen es ein Anliegen ist, über das Thema zu sprechen, sich Gedanken zu machen.

EI: Man muss hierzu schon festhalten, dass wir dieses Projekt nicht hätten realisieren können, wenn wir 48 Honorare hätten auszahlen müssen. Wir beide arbeiteten gratis, Nur die Techniker, wie Kameramänner, konnten wir entlöhnen.

Hätten Sie Honorare gezahlt, wären allenfalls einheitlichere Beiträge zusammen gekommen. Franz Hohler hätte dann evt. nicht einfach ein Gedicht eingereicht mit gerade einmal 34 Wörtern.
RP: Aber was für 34 Wörter!

EI: Es ist ein Gedicht, die Anzahl der Wörter spielt da keine Rolle. Franz Hohlers Beitrag ist auch daher spannend, dass es eine andere Textform ist als die anderen. Im Video-Interview, welches ja ebenfalls über das Buch und via Homepage abgerufen werden kann, äusserte sich Hohler sehr persönlich. Und schon alleine die Tatsache, dass er sich überhaupt Zeit genommen hat, uns mit einem Beitrag zu unterstützen finden wir grossartig.

Impressionen vom Film, der noch sich noch in Arbeit befindet:

Ihr Buch heisst "Zu Ende denken". Was bedeutet es für Sie genau, zu Ende zu denken?
EI: Wenn man das Ende als die letzte Lebensphase betrachtet, geht es um sehr praktische Dinge: Um Vorstellungen, wie man sterben will – ob zuhause oder in professionell betreutem Umfeld. Man muss sich überlegen, was mit den Organen oder dem Eigentum passieren sollte. Solches sollte man mit seinen Nächsten besprechen, vielleicht eine Patientenverfügung ausfüllen. Doch auch diese muss man immer wieder den veränderten Vorstellungen anpassen.

Kurt Aeschbacher beschäftigte sich in seinem Text statt mit dem Tod vielmehr mit dem Leben. Er erachtet es als wichtig, die Zeit zwischen Geburt und Tod für etwas Sinnvolles zu nutzen. Haben Sie, als Filmemacherin und Journalistin, den Eindruck, derzeit etwas Sinnvolles zu machen?
RP: Ich will glücklich sein, denn nur so kann ich für andere da sein und mein Glück weitergeben – davon bin ich überzeugt. Die Arbeit als Filmemacherin macht mich wahnsinnig glücklich. Vielleicht hilft der Dokfilm, den ich momentan produziere, auch anderen, das wäre schön und würde mich noch glücklicher machen.

EI: Ich habe durchaus das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun. Was ich bei palliative zh+sh mache, leistet einen Dienst an der Gesellschaft, genauso wie wenn ich journalistische Texte schreibe. Schreiben ist meine Leidenschaft, ich mache es sehr gerne und es tut mir gut.

Sie, Frau Ibello, wurden während der Arbeit am Buch schwanger. Inwiefern veränderten diese beiden intensiven Erfahrungen Ihren Blick aufs Leben?
EI: Ziemlich stark. Sowohl meinen Blick aufs Leben als auch den Blick aufs Sterben. Den Text von Michael Thali beispielsweise habe ich vor der Schwangerschaft redigiert und während der Schwangerschaft noch einmal gelesen. Thali schreibt, er wolle noch nicht sterben, weil es für ihn jetzt besonders wichtig sei, am Leben zu bleiben, um für seine Familie sorgen zu können. Diese Aussage hat mich plötzlich ganz anders berührt. Denn ich realisierte, wie sehr ich nicht mehr nur für mein eigenes Leben denken muss, sondern auch noch für ein anderes. Dies hat sehr viel mit der Frage zu tun, wie und wann man diese Welt verlassen wird. Zudem starb mein Schwiegervater während der Arbeit am Buch. Einerseits war dieser Verlust normal – weil der Tod einfach zum Leben gehört. Andererseits bleibt bis heute ein Wermutstropfen, dass er nicht erleben durfte, wie es ist, Grossvater zu sein. Leider hat er nicht einmal mehr erfahren, dass sein Enkel unterwegs war.

Und wie wollen Sie selber sterben?
RP: Ich will nicht sofort sterben, sondern lieber langsam immer schwächer werden. Ich würde gerne mindestens zwei, drei Wochen Zeit haben, um in Ruhe Abschied vom Leben und von meinen Liebsten zu nehmen.

EI: Mein Wunsch ist ähnlich. Ich möchte in meinen letzten Tagen von meinen Liebsten umgeben sein und ich will dann sterben, wenn ich keine offenen Rechnungen habe. Daher versuche ich so zu leben; die Dinge sofort in Ordnung zu bringen. Ich will mit mir und dem Leben im Reinen sein.

 

"Zu Ende denken" ist im Wörterseh Verlag erschienen.  


Elena Ibello arbeitete nach ihrer kaufmännischen Berufsmatura für ein Sozialprojekt in Brasilien, danach in der offenen Jugendarbeit, bevor sie 2007 ihr Journalismus-Studium in Winterthur begann und daneben als Print- und Radiojournalistin arbeitete. Heute studiert sie berufsbegleitend an der ZHdK Kulturvermittlung und ist für den Verein "palliative zh + sh" als Webredaktorin tätig. Die 31-Jährige lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Winterthur.

Rebecca Panian hat den Beruf der Schriftenmalerin erlernt, war anschließend Flight-Attendant und Grafikerin, bis sie durch Zufall nach Köln gelangte, um dort als TV-Redaktorin für Endemol zu arbeiten. In dieser Zeit entdeckte sie ihre Leidenschaft für das bewegte Bild und das Geschichtenerzählen. Ihr anschliessendes Journalismus-Studium in Winterthur hat diese Passion noch verstärkt. Seit 2006 dreht sie Filme. Seit August 2012 studiert die 35-Jährige Spielfilmregie an der ZHdK.

Interview: Edith Hollenstein, Hauptbild: Gianni Pisano

 


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