20.06.2013

"Weltwoche"

Ging im Fall "Strehle" zu weit

Veröffentlichung des 30 Jahre alten Polizeifotos war laut Presserat unverhältnismässig.
"Weltwoche": Ging im Fall "Strehle" zu weit

Der Schweizer Presserat ist der Ansicht, dass die "Weltwoche" mit ihrer Berichterstattung über die Vergangenheit von "Tages-Anzeiger"- Chefredaktor Res Strehle zu weit gegangen ist. Zwar bestehe ein öffentliches Interesse daran, Strehles Werdegang kritisch zu beleuchten. Aber auch eine öffentliche Person geniesse den Schutz der Persönlichkeit.

Die "Weltwoche" hatte Strehle am 7. Februar in der Titelgeschichte vorgeworfen, in jungen Jahren Kontakte "zu Bombenlegern und linken Extremisten" gepflegt zu haben. Das Titelblatt des Magazins zeigte ein erkennungsdienstliches Polizeifoto Strehles und war untertitelt mit "Der 'Tagi'-Chefredaktor und die Terroristen".

Strehle gelangte darauf an den Presserat. Er wollte geklärt haben, "ob diese Art von Kampagnen-Journalismus, wie ihn die 'Weltwoche' betreibt, zulässig ist", wie er damals der Nachrichtenagentur sda sagte.  

"Die Publikation der Polizeifotos auf dem Titelblatt ist vollkommen unverhältnismässig", sagte Dominique von Burg, Präsident des Presserates, am Donnerstag vor den Medien in Zürich. Die "Weltwoche" verletzte damit Strehles Persönlichkeit sowie seine Privatsphäre. "Hier hat die 'Weltwoche' versagt", sagte auch Vizepräsident Max Trossmann.

Grundsatz der Verhältnismässigkeit
Der Presserat betont zwar, dass ein öffentliches Interesse daran bestehe, beim Chefredaktor einer wichtigen Zeitung den beruflichen Werdegang und seine politische Vergangenheit kritisch zu beleuchten.
 
"Aber auch bei öffentlichen Personen ist sorgfältig zwischen dem Persönlichkeitsschutz und dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen", sagte Trossmann. Dabei sei insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen. 

Das öffentliche Interesse an der politischen Biografie eines Chefredaktors rechtfertige es nicht, fast 30-jährige Polizeifotos zu veröffentlichen, sagte Trossmann. Auch die Kombination des Artikels mit Fotos von verurteilten Gewalttätern und Terroristen kritisierte der Presserat. Das öffentliche Interesse berechtige die "Weltwoche" auch nicht, die durch Fakten nicht belegte, Tatsachen entstellende These aufzustellen, Strehle habe als möglicher Mitwisser und ideeller Unterstützer von politischer Gewalt eine "irritierende Nähe zu Bombenlegern und linken Extremisten" gehabt.

Schwere Vorwürfe
Der Presserat bezeichnet die Vorwürfe als "schwer". Bei solchen müsste ein Betroffener angehört werden, betonte Trossmann. Dies habe die Wochenzeitung zwar getan, aber "ungenügend und zu kurzfristig". "Man kann nicht so schwere Vorwürfe zu Jahrzehnte zurückliegenden Vorgängen erst wenige Stunden vor Redaktionsschluss unterbreiten."

Gemäss Presserat nichts falsch gemacht hat das Magazin hingegen bei der Recherche. "Wir haben nicht gesehen, dass sich die 'Weltwoche' beim Beschaffen der Polizeifotos unlauterer Methoden bedient oder Dritte zur Amtsgeheimnisverletzung angestiftet hätte", sagte Trossmann. 

Die Zürcher Kantonspolizei hatte nach der Veröffentlichung der Polizeibilder bei der Oberstaatsanwaltschaft eine Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung eingereicht. Es ist jedoch immer noch unklar, wie die "Weltwoche" zu den Bildern kam.

"Das Verfahren ist sistiert", sagte Corinne Bouvard, Sprecherin der Oberstaatsanwaltschaft, am Donnerstag gegenüber der sda. Man habe die Täterschaft nicht eruieren können.

Strehle nimmt den Entscheid mit Befriedigung zur Kenntnis, wie er auf Anfrage der sda sagte. Der Presserat habe ihn in seiner Ansicht bestätigt, dass die "Weltwoche" handwerkliche Fehler gemacht habe.

"Presserat würgt Aufarbeitungsprozess ab"
"Weltwoche"-Herausgeber Roger Köppel nahm die Stellungnahme des Presserates "mit grossem Erstaunen zur Kenntnis", wie er auf Anfrage der sda sagte. Es sei "mehr als ironisch, dass dieses Gremium den Aufarbeitungsprozess um Strehles Vergangenheit abwürge", sagte Köppel. Gerade der Presserat setze sich doch für Aufklärung und Transparenz ein. (sda)



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