18.04.2013

Fall Mörgeli

WoZ provoziert "Weltwoche"-Journalist

Alex Baur hält an "seinem" Zeugen fest.
Fall Mörgeli: WoZ provoziert "Weltwoche"-Journalist

Wer sagt nicht die Wahrheit? Oder anders gefragt: Wer lügt? Hat das SRF-Politmagazin "Rundschau" einen falschen Doktor präsentiert? Oder hat sich die "Weltwoche" verrannt und nicht dem in der Rundschau gezeigten Zeugen Glauben geschenkt, sondern einem anderen Doktoranden (persoenlich.com berichtete)? Die Causa Mörgeli wird auch für Insider immer undurchschaubarer. Nachdem die Kontroverse um den "Kronzeugen" der Mörgeli-Recherche am Wochenende in den Sonntagszeitungen nochmals breit abgehandelt wurde, stimmt die "Wochenzeitung" (WoZ) in ihrer aktuellen Ausgabe in den Chor der "Weltwoche"-Kritiker mit ein. "Vor diesem Journalisten wird gewarnt", titelt das Blatt auf der aktuellen Frontseite (vgl. Abb. oben). Als Illustration dient die Profil-Silhouette von "Weltwoche"-Redaktor Alex Baur. Diese Provokation ärgert Baur nicht, im Gegenteil. Doch gibt er sich nun geschlagen? Hat er wirklich den falschen Zeugen präsentiert? Persoenlich.com hat nachgefragt.

Herr Baur, die WoZ wirft Ihnen "Gschpürschmi-Journalismus" statt Recherche vor, sowie "Irreführung der Öffentlichkeit". Sie selber stehen doch der WoZ in gewissem Sinn nahe. Haben Sie nicht sogar selbst einmal für dieses Blatt gearbeitet?
In den frühen 1980er Jahren habe ich zwei grössere Reportagen über die Guerillas in Peru, wo ich damals lebte, für die WoZ geschrieben. Wer daraus schliesst, ich wäre ein Konvertit – was ja an sich nichts Schlechtes ist – den muss ich aber enttäuschen; ich hatte schon damals keine Sympathie für den Terror der Guerillas, und dass die damalige WoZ meine Texte (wenn auch in abgeschwächter Form) publizierte, ehrt diese. Meinerseits fühle ich mich geehrt, wenn die WoZ heute auf der Titelseite mein Konterfei publiziert, mit der Schlagzeile: "Von diesem Journalisten wird" gewarnt. Ich wusste gar nicht, dass ich so wichtig bin. Schwach finde ich dagegen, dass Andreas Fagetti, der den dazugehörigen, leider recherchefreien Text schrieb, nicht einmal den Mut aufbrachte, vorher mit mir zu reden. Seine Kernthese, ich hätte meinen Artikel über die üblen Tricks der Rundschau im Fall "Mörgeli/Condrau" aus einem Bauchgefühl heraus geschrieben, ist einfach unhaltbar. Ich habe in meinem Artikel offen deklariert und begründet, warum ich zum Schluss kam, dass die Rundschau ihre These auf einen anonymen Kronzeugen baut, der einen ganz anderen Hintergrund hat, als behauptet wird. Ich habe hart recherchiert – und ich meine, ich hätte Kritiker verdient, die auch etwas selber recherchieren.

Ihnen wird vorgeworfen, mit "Dr. Anonymus" eine andere Person beschrieben zu haben, als tatsächlich in der Rundschau aufgetreten ist. Haben Sie die falsche Person kontaktiert und beschrieben in Ihrem Text in der "Weltwoche" vom 11. April?
Ich halte an meiner Darstellung fest. Nun kann man mir vorwerfen, ich könne den ultimativen Beweis nicht erbringen und ich hätte dies auch explizit schreiben müssen. Diese Kritik akzeptiere ich. Ich hätte das vor allem im Vorspann klarstellen müssen, dann wäre mein Artikel unangreifbar gewesen. Aber es ist ja klar, dass dieser Beweis kaum erbracht werden kann; beim ominösen Interview waren, so muss man annehmen, nur die Macher der Rundschau und der anonyme Informant zugegen. Und beide haben ein vitales Interesse, alles in Abrede zu stellen. Ich deklariere aber in meinem Text unmissverständlich, dass "Dr. Anonymus" und die Rundschau jeden Kontakt bestreiten; und ich erkläre auch, warum ich beiden nicht glaube. Wissen Sie, ich war während zehn Jahren Gerichtsreporter, es ist für mich nichts Ungewöhnliches, dass Menschen nicht immer die Wahrheit sagen. 

Warum sind Sie noch immer sicher, dass "Ihr" "Dr. Anonymus" tatsächlich die von der Rundschau verwendete Quelle ist?
Drei Mitdoktoranden haben mir gegenüber erklärt, sie hätten Anonymus sofort erkannt, allerdings nicht bloss aufgrund der Silhouette, sondern vor allem aufgrund seiner Aussage. Die optische Ähnlichkeit ist allerdings schon frappant. Zudem war der Kreis der Verdächtigen ja nicht so gross, man konnte sich auf jene beschränken, die Transkriptionen gemacht hatten, Frauen und Dicke konnte man ausschliessen. Ein entscheidendes Element waren aber die Gespräche, die ich mit dem Betroffenen führte. Ich musste daraus schliessen, dass er – entgegen seiner späteren Darstellung gegenüber der "SonntagsZeitung" – die Rundschau sehr wohl gesehen hatte. Was er mir erzählte, entsprach in etwa dem, was Anonymus in der Rundschau gesagt hatte, nämlich dass ihn die Transkriptionsarbeit überfordert habe, dass das aber gar keine Wissenschaft sei. Als ich ihm dann sagte, das habe er doch bereits gegenüber der Rundschau gesagt, flippte er völlig aus. Er sagte mir nicht etwa: "Nein, das muss ein Irrtum sein." Seine erste Reaktion war, dass ich das nicht beweisen könne – und das war nun schon ziemlich verräterisch. Das sind so einige Indizien, es gibt noch mehr, die ich hier aber nicht ausführen kann.

Haben Sie berücksichtigt, dass die Quelle mit Perücke und Brille hätte verfremdet sein können?
Eine der ersten Fragen, die ich Mario Poletti von der Rundschau nach Ausstrahlung der Sendung stellte, betraf die Silhouette. Poletti bestätigte mir damals schriftlich, dass das Bild echt sei und dass es sich nicht um ein Symbolbild handle. Offensichtlich fühlte man sich bei der Rundschau damals noch sehr sicher. Von einer Perücke oder einer falschen Brille war keine Rede. Und es ist ja auch verräterisch, dass SRF nicht behauptet, die Silhouette sei effektiv verfälscht worden; es wird ja lediglich davon gemunkelt, dass diese Möglichkeit bestünde. Eine klassische Vernebelungsstrategie.

Dass "Dr. Anonymus" erstmals durch Sie von besagter Rundschau hörte (wie die "SonntagsZeitung" schrieb), stimmt also nicht.
Ich nehme an, die Rundschau hat der "SonntagsZeitung" den Namen gegeben; von mir hat sie ihn jedenfalls nicht, und von Mörgeli offenbar auch nicht. Ausser der Rundschau wusste aber niemand diesen Namen. Und was hat die "SonntagsZeitung" an Neuem herausgefunden? Nichts, einfach nichts, was nicht schon bekannt gewesen wäre. Dass der Mann alles bestreitet, hatte ich ja längst geschrieben. Und daraus fabriziert die "SonntagsZeitung" nun die Behauptung, ich hätte "den Falschen geoutet". Woher weiss die "SonntagsZeitung", dass er der Falsche ist? Es steht Aussage gegen Aussage. Die "SonntagsZeitung" erklärt ihre Mutmassung, die sie nicht einmal begründet, zur Wahrheit. Und, das ist nun wirklich erschütternd – alle finden das normal und plappern das einfach nach. Ich habe Anonymus im übrigen eben gerade nicht geoutet, ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass er nicht der ist, den er gemäss Rundschau sein soll.

Gibt es in Ihrer Recherche und Berichterstattung Punkte, bei denen Sie, im Nachhinein gesehen, genauer hätten arbeiten sollen?
Nein, was die Recherche anbetrifft, die sehr aufwändig war; ich habe mit vielen Leuten geredet. Bei der Umsetzung akzeptiere ich, wie gesagt, die Kritik, dass ich im Vorspann hätte ankündigen müssen, dass ich den definitiven Beweis nicht erbringen kann und dass ich meine These auf Indizien baue. Das geht aber, wie gesagt, aus dem Artikel hervor.

Nun steht also Aussage gegen Aussage. Mario Poletti geht aufs Ganze und stellt seinen Job zur Verfügung, sollte sich Ihre Behauptung als richtig erweisen (vgl. sonntagonline.ch). Der Rundschau-Redaktionsleiter scheint sich der Sache sehr sicher zu sein. Inwiefern denken Sie, dass sich jemals aufklären wird, wer Recht hat?
Die Rundschau steht in der Pflicht. Die zweite anonyme Zeugin der Rundschau hält ja über ihren Anwalt fest, dass sie falsch zitiert worden sei. Wenn man nur schon sieht, wie jenes Interview zustande kam, werden die unseriösen Methoden der Rundschau offensichtlich. Die Beweispflicht liegt ganz klar beim SRF. Wer derart happige Vorwürfe in die Welt setzt, wie dies die Rundschau im Fall Mörgeli/Condrau getan hat, zumal als Quasi-Monopolsender, der muss den Beweis erbringen. Ein anonymer Zeuge, der seinen Doktortitel betrügerisch erschlichen haben will, reicht dazu nicht.

Wie wird sich der Fall Ihrer Ansicht nach weiter entwickeln?
Dass die "Weltwoche" scharf kritisiert wird, ist ja nicht neu. Wäre schön, wenn z.B. bei der "SonntagsZeitung" auch derartige Massstäbe angelegt würden. Schon bei meinen Recherchen über das Zürcher Sozialamtes hiess es, diese seien erfunden, masslos und übertrieben und "lösten sich in Luft auf", wie der "Tagi" damals so schön titelte – Monika Stocker musste dann trotzdem zurücktreten. Und als Kollege Urs Paul Engeler den Fall Hildebrand zum Eclat brachte, wurde ein regelrechter medialer Shit-Storm gegen ihn veranstaltet; als sich herausstellte, dass Engeler recht hatte, entschuldigte sich natürlich niemand bei ihm“. 

Interview: Edith Hollenstein

 

 



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