29.06.2013

ZHAW

"Journalisten sind eher Störenfriede"

Das Ansehen der Journalisten verschlechtert sich – Prestige, Lohn und Unabhängigkeit sinken laufend. Hat der Beruf trotzdem Zukunft? Einer, der sich darüber Gedanken machen muss, ist Journalisten-Ausbildner Daniel Perrin. Seit 2000 leitet er das Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW in Winterthur. Im Interview äussert sich der Medienlinguistik-Professor zum veränderten Berufsbild, zur Krux der Studien-Interpretation und er erklärt, warum keine einzige Zeitung gratis ist - nicht einmal "20 Minuten".
ZHAW: "Journalisten sind eher Störenfriede"

Herr Perrin, sogar Bundesrätin Doris Leuthard kritisierte kürzlich die Journalisten: Vermeintliche News würden nicht mehr verifiziert – so ihr Hauptvorwurf (persoenlich.com berichtete). Das Prestige des Journalisten schwindet. Stimmt das oder täuscht dieser Eindruck? 
Ich bin froh, dass Bundesräte merken, wenn journalistische Arbeit nicht mehr solide gemacht werden kann. Das erhöht die Chance, dass auch die Ursachen ins Auge gefasst werden. Journalismus ist ein hoch anspruchsvoller Beruf; Journalistinnen und Journalisten brauchen also anständige Arbeitsbedingungen – und die sind zur Zeit nicht immer gegeben.

"Journalist ist der unattraktivste Beruf der Welt", so das Fazit einer kürzlich publizierten US-Studie. Journalist rangiert auf dem letzten von 200 Plätzen – Holzfäller, Soldat, Pöstler und sogar der Tellerwäscher liegen weiter vorne. Warum ist das Image so schlecht?
Studien, das schlechte Image des Journalisten zu Tage fördern, tauchen immer wieder auf. Auch Journalismus-Lehrbücher sind voll davon. Das ist kein neues Phänomen. Und wichtig ist: Studie ist nicht gleich Studie. Es kommt stark darauf an, wen und wie man was fragt. Da Medien meist Überbringer von schlechten Nachrichten sind, ist ihr Image nicht besonders gut. Wenn bei dieser Umfrage die Befragten beispielsweise vom Sofa aus in irgendeinen Telefonhörer antworten, resultiert ein ganz anderes Ergebnis, als wenn Leute in ihrem Arbeitsumfeld befragt würden. 

Was denken denn die Bürger über die Journalisten?
Welches Image ein Beruf hat, lässt sich zum Beispiel an Spielfilmen ablesen. Journalisten sind nicht wie Ärzte, denen man sein Leben sozusagen in die Hände legt. Journalisten sind eher Störenfriede. Journalismus elektrisiert aber immer noch. Der Beruf bleibt sehr attraktiv, denn er ist gesellschaftlich notwendig und bringt auch denen, die ihn ausüben, spannende Einblicke in die Gesellschaft.

Die Studie stammt von der Jobplattform Career Cast. Die Veröffentlichung einer Studie, bei der das Image des Journalisten schliesslich auf dem letzten Platz gelandet ist, könnte auch schlicht ein schlauer PR-Trick sein, um die Studie in einer Zeitung zu platzieren. Denn welcher Journalist bleibt schon gelassen, wenn es um den schlechten Ruf des eigenen Standes geht.
Das ist eine gute Überlegung. Das könnte tatsächlich ein PR-Trick sein. Denn diese Studie wurde von einem Unternehmen lanciert, das Interesse daran hat, in die Medien zu kommen. Je nach Absicht kann das Fragekonzept so angelegt sein, dass schliesslich Journalist auf einem der letzten Plätze rangiert.

Immerhin hat die SDA über diese Studie berichtet, sodass sie schliesslich von mehreren Newsportalen publiziert wurde. Dies zeigt doch, dass wir Journalisten mit Berechtigung einen so schlechten Ruf haben, weil wir unprofessionell arbeiten?
Es ist ähnlich wie bei den Ärzten oder Juristinnen: Es gibt in allen Berufen Leute, die in ihrem Beruf besser sind als andere. Aufgrund von Kunstfehlern bei Ärzten sterben zum Beispiel immer wieder Menschen. Beim Journalismus ist es also ähnlich wie überall: Irren ist menschlich, Fehler gibt’s, und schwarze Schafe auch. Deutlich wurde aber auch: Nicht alle Medien berichteten über diese Studie. Es gab also durchaus Journalisten, die ihr wenig Beachtung zumassen und sie nicht veröffentlichten, zum Beispiel, weil sie sofort merkten, woher der Wind weht.

Sie leiten das Institut für Angewandte Medienwissenschaft seit der Gründung 2000. Mittlerweile haben etwa 900 Leute das Studium abgeschlossen. Was tun Ihre Absolventen heute?
Wir führen darüber genau Buch, "Absolventen-Tracking" heisst dieses Instrument. Es zeigt, dass nach dem Studium rund die Hälfte der Studierenden in den Journalismus geht, die andere Hälfte in Kommunikationsberufe.

Aber schliesslich landen die meisten - trotz Spezialisierung im Journalismus - nach drei, vier Berufsjahren in der Kommunikation. 
Wer zum Beispiel eine Familie gründen will, sucht regelmässigere Arbeitszeiten. Das war schon immer so. Das Diktat der Aktualität verträgt sich schlecht mit dem unverrückbaren Stundenplan von Kinderkrippen.

Oft ist es doch so, dass viele gerne Journalisten wären, doch PR das ist, was einen letztlich besser ernährt. Wie gut bereiten Sie die Studierenden auf die Realität vor?
So gut wir können – und dies offenbar mit Erfolg, wie das Absolventen-Tracking zeigt: Beide Berufe tragen bei zur öffentlichen Kommunikation, das verbindet sie. Davon abgesehen, ticken die beiden Welten aber völlig anders, etwa in ihren Anforderungen an Transparenz oder Loyalität oder eben auch ihren finanziellen Perspektiven. Das kann nur wissen, wer sich ansatzweise mit beiden Feldern auseinander gesetzt hat, um sich dann dort zu vertiefen, wo die Eignungen und Neigungen, die Wünsche und Stärken liegen. Wer am IAM studiert hat, weiss, dass ein Wechsel vom Journalismus in die Organisationskommunikation einen Berufswechsel bedeutet: andere Haltungen, anderes Wissen und zum Teil auch andere Skills.

Ihre Studierenden entscheiden sich im letzten Ausbildungsjahr des Bachelor-Studiengangs zur Vertiefung Journalismus oder Unternehmenskommunikation. Bis anhin war die Verteilung ungefähr 50:50. Im aktuellen Studiengang ist das Verhältnis 28 Prozent zu 72 Prozent (vgl. Abb. unten). Wie deuten Sie diese Verteilung?
Das ist vorerst mal eine einmalige Verschiebung, daraus würde ich jetzt keinen Trend ableiten. Dass es künftig mehr Studierende geben wird, die schliesslich auf Kommunikationsseite wechseln, ist nicht ausgeschlossen. Doch dass es in diesem Jahr eine stark ungleiche Verteilung gab, ist mit Sicherheit noch kein Hinweis auf diese Entwicklung; statistische Ausreisser gab und gibt es immer wieder.

 

In Zeiten von Corporate Journalism und Verlagen mit Corporate-Publishing-Angeboten: Lösen sich die Grenzen nicht mehr und mehr auf, so dass bald nur noch notorische Nostalgiker auf eine strikte Trennung zwischen Journalismus und PR pochen?
Es verändert sich zum Beispiel die Vorstellung von der Definition eines Fachjournalisten. Kann man sich auch "Fachjournalist" nennen, wenn man nicht bei einem grossen Verlag angestellt ist, sondern bei einem kleinen Webportal? Diese Fragen stellen sich neu. Wir Forscher und Ausbildner wollen und müssen diese Entwicklungen beobachten und einbeziehen.

Was ist in der Forschung die Definition eines "Journalisten"? Ist ein Redaktor beim Migros-Magazin ein Journalist? Ein Texter fürs Credit-Suisse-Bulletin ebenfalls?
Nein, jemand, der fürs CS-Bulletin schreibt, zählt für uns nicht als Journalist. Ein Journalist schreibt für die Öffentlichkeit, im Interesse der Öffentlichkeit. Doch jeder Journalist ist immer auch abhängig von einem Geldgeber – sei es nun ein Verlag, eine Partei, eine Stiftung. Diese Abhängigkeit ist seit jeher da. Immer beeinflusste die Finanzierungsfrage die journalistische Unabhängigkeit. Heute brechen einfach gewisse Verflechtungen auf, andere bilden sich neu. Doch der Auftrag der Journalisten bleibt.

Ob jemand laut Ihrer Definition ein Journalist ist, hängt demnach danach davon ab, wie er seinen Auftrag wahrnimmt.
Genau. Oder anders gesagt: Wie sie oder er den Auftrag wahrnehmen kann. Ein Schreiber der Coop- oder Migros-Zeitung ist dann ein Journalist, wenn er auch negativ über Migros und Coop schreiben kann. Auch der „Tages-Anzeiger“ oder die „Neue Zürcher Zeitung“ stehen in Abhängigkeiten – etwa der Inserenten oder der Verlage selbst, die ja auch in Besitzverhältnisse eingebunden sind. Natürlich gibt es Regelungen zur Trennung von redaktionellen und verlegerischen Interessen, aber die Frage ist eben nicht nur, was geregelt ist, sondern auch wie die Regeln in der Praxis umgesetzt werden.

Auch wer sich strikt und ausschliesslich am Leser orientiert, ist abhängig. Davon können Online-Journalisten ein Lied singen. Klickzahlen zeigen deutlich, was die Leser interessiert.
Genau. Da stellt sich dann die Frage, ob die Leser tatsächlich nur Medien brauchen und wollen, die sich nach ihren kurzfristigen Vorlieben richten. Letztlich berichten solche Medien nämlich nur über das, was die Adressaten schon kennen. Man kann ja nur wollen und suchen, was man ansatzweise schon kennt. Der grosse Vorteil des herkömmlichen Medienprogramms liegt darin, dass es mir auch Themen und Zugänge zeigt, die ich überhaupt nicht erwartet habe – und die gerade deshalb meinen Horizont erweitern.

Was interessiert denn Ihre Studenten? Gibt es noch solche, die eine Bezahlzeitung lesen oder bringen alle "20 Minuten" mit in die Vorlesung?
Ich stelle vor allem fest, dass auch in gestandenen Redaktionen nur noch "20 Minuten" gelesen wird! (lacht) Gratis-Zeitungen haben bei vielen Leuten einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, wie ich finde. Wenn ich die Situation mit derjenigen vor 20 Jahren vergleiche, stelle ich fest, dass heute viel mehr Leute Zeitung lesen als damals. Nun liest meine 12-jährige Tochter Zeitung. Mein Sohn ist 16 Jahre alt, er wechselt jetzt zu einer Bezahl-Zeitung, weil ihm die Gratis-Zeitung zu wenig Tiefe bietet. Ich selber lese ja auch gerne Gratis-Zeitung beim Zmorge im Zug – aber natürlich nicht ausschliesslich. Seit jeher gilt: Neue Medien integrieren sich in den bestehenden Medienmix. "20 Minuten" hat die Marktlücke nach kurzer, gut geschriebener Information gefunden und sie erfolgreich besetzt. Im Übrigen ist eine Gratis-Zeitung auch für die Leser gar nicht gratis, sie kostet.

Zeit?
Ja, Lebenszeit. Im individuellen privaten Budget haben Menschen noch nie so viel Geld für Medien ausgegeben, wie heute. Man stelle sich eine gut mediatisierte Familie vor: vier iPhones mit Abos, Internet, Fernsehen, eine Bezahl-Zeitung, ... Man gibt so viel aus für Information wie noch nie. Jedoch sind sehr viele Anbieter am Geschäft beteiligt, sodass für die herkömmlichen Medien ein kleinerer Betrag übrig bleibt. Die Leute sind bereit, für gute Information sehr viel zu zahlen – sei es nun in Geld, oder in Lebenszeit.

Interview: Edith Hollenstein, Bilder: zVg


Daniel Perrin ist Professor für Medienlinguistik und leitet das Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er greift auf Praxiserfahrung als Redakteur und Textchef in Presse und Rundfunk zurück. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in Forschung, Beratung und Lehre zum Thema berufliches Schreiben.

 

 

 

 



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