05.01.2016

Christoph Stokar

"Wir leben davon, wie gescheit wir lügen"

Wie soll man sich für Weihnachtskarten bedanken? Kann ich Leute, die ich nur einmal gesehen habe, etwa bei einem Pitch, bereits auf LinkedIn adden? Damit schlechte Manieren nicht zum Karriere-Stolperstein werden, hat Christoph Stokar einen weiteren Benimm-Ratgeber geschrieben. Der Autor erklärt gegenüber persoenlich.com, warum es sich auch für die sonst nicht nur regelkonformen Werber lohnt, das Business-Knigge-Einmaleins zu pauken.
Christoph Stokar: "Wir leben davon, wie gescheit wir lügen"

Herr Stokar, was raten Sie jemandem, der nach der Weihnachtspause ins Büro kommt und einen Stapel mit Grusskarten vorfindet: Muss man sich dafür bedanken?
Tja, das kommt darauf an, in welcher Beziehung Sie zu dieser Person stehen. Kunde? Oder Druckerei und andere "Lieferanten"? Im ersten Fall werden Sie hoffentlich schon geschrieben haben, im zweiten ist es nicht immer notwendig sich zu bedanken, das entscheidet der Beziehungsgrad. Und ehrlich gesagt auch, was Sie sich in Zukunft von der Geschäftsbeziehung noch erhoffen.

Kann man sich auch über LinkedIn oder Facebook bedanken und sich so gleichzeitig grad digital vernetzen?
Eher nicht! Auf Einladungen, Briefe, usw. ist in der gleichen Form zu antworten, wie sie eingetroffen sind. Eine von Hand geschriebene Karte sollte demnach ebenfalls eine mit Füllfeder verfasste Antwort sein. Sogenannt neue Medien finde ich dafür ziemlich altmodisch, ehrlich gesagt.

Dass Sie - schon zum zweiten Mal - ein Buch über Benimm-Regeln geschrieben haben erstaunt vor allem deshalb, weil Sie Werber sind. Hier gilt doch viel mehr die Regel: "Wer nicht aus dem Rahmen fällt, fällt nicht auf". Ist das Knigge-Einmaleins heute also auch in dieser Branche nötig?
In einem gewissen Sinne sind sie das. Ich denke, schlechte Manieren sind nur darin effizient als dass sie rasch und unbarmherzig Gräben zwischen Menschen aufreissen. Unhöflichkeit hat denn auch die verhängnisvolle Eigenschaft, dass sie nur Nachteile für den bewirkt, der sich ihrer bedient. Auch in der vermeintlich so liberalen und "kreativen" Werbewelt.

Trotzdem gibt es Spielraum. 
Genau, und den darf man natürlich nützen. Im Buch spreche ich allerdings nicht von Regeln, sondern mache Vorschläge. Jeder soll dann mit dem Wissen anstellen, was er will. Jedenfalls sind in der Arbeitswelt nicht nur fachliche Qualifikationen gefragt, sondern auch Qualitäten im Bereich der Persönlichkeit: Offenheit, Empathie, Charisma oder Teamfähigkeit beispielsweise.

Aber manierliches Verhalten ist doch langweilig.
Finden Sie das wirklich? Langweilig sind jedenfalls jene, die ihr Herz stets auf der Zunge tragen, und natürlich macht es einen Unterschied, ob Sie mit jener Person zusammen leben wollen oder zusammen arbeiten müssen.

Fast alle Menschen, die etwas taugen, haben schlechte Manieren. 
Was meinen Sie denn mit "taugen"? Ich kann Sie aber insofern beruhigen, als dass das Buch nicht von einem alten Tanzlehrer geschrieben wurde, der den moralischen und gesellschaftlichen Niedergang des Abendlandes aufhalten will.

Doch ist das nicht ganz einfach eine Form der Manipulation, der oberflächlichen, kurzfristigen Image-Aufbesserung sozusagen?
Klar! Und das ist die Werbung auch. Kommt einfach darauf an, ob das intelligent, charmant oder tölpelhaft und dumm geschieht. Sie, ich und alle anderen in der Kommunikationsbranche leben davon, wie glaubhaft und gescheit wir "lügen". Und mit welchem Erfolg! Das erste Buch "Der Schweizer Knigge" hat sich übrigens gegen dreissigtausend Mal verkauft, der "Schweizer Business-Knigge" geht nach zwei Wochen in die zweite Auflage.

Generell sind die Schweizer solchen Benimm-Regeln gegenüber jedoch entspannter als Deutsche beispielsweise, oder Franzosen. Warum?
Weil wir hier die Dinge etwas entspannter angehen, unser soziales System viel durchlässiger ist und wir Authentizität für wichtig halten. Das Wort "Höflichkeit" stammt übrigens von der Bezeichnung "Hof" ab und beschreibt, welches Verhalten die Etikette an Fürsten- und Königshäusern verlangte. Bekanntlich gab es diese hierzulande selten, der Begriff der Freiheit ist aber in der Schweizer Volksseele tief verwurzelt. Schiller hat das mit dem Gessler-Hut ziemlich träff aufgezeigt.

Dann geben Sie doch bitte nochmals ein paar konkrete Tipps: Sollen sich Leute, die sich über Twitter per Du ansprechen auch bei realen Begegnungen duzen?
Die Formel fürs Duzismachen lautet: Rang vor Alter vor Geschlecht. Auch in dem von Ihnen geschilderten Fall würde ich mich daran halten, gleich zu Beginn jedoch versuchen, auf die ungewöhnliche Situation hinzuweisen und die Dinge zu klären.

Wie soll man Geschäftskontakte um die Aufnahme in Karrierenetzwerke anfragen?
Wie immer: höflich und charmant. Klingt vielleicht altmodisch, ist aber ziemlich effizient.

Wann ist es erlaubt, in einem Meeting, Interview oder bei einem Pitch das Smartphone auf laut gestellt zu haben?
Wenn man einen wirklich dringenden Anruf erwartet, das vorher mitteilt, das Telefon auf lautlos schaltet und man den Raum beim Telefonieren verlässt.

Und wie beendet eine Journalistin mit Manieren ein Interview knigge-konform?
Wie "Der Spiegel": Herr Stokar, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Fragen: Edith Hollenstein, Bild: zVg.


"Der Schweizer Business Knigge" ist im Beobachter-Verlag erschienen. Autor Christoph Stokar, der vielen auch wegen der von ihm gestalteten Schaufenster der Zürcher Stadelhofen-Apotheke ein Begriff ist, arbeitet als selbstständiger Texter und Konzepter in Zürich. 



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