27.09.2013

Condor Films

"Aufmerksamkeit zu bekommen, stand schon sehr weit oben auf der Liste"

Tobias Haase über seinen Film, in dem Adolf Hitler vom Mercedes überfahren wird.
Condor Films: "Aufmerksamkeit zu bekommen, stand schon sehr weit oben auf der Liste"

Adolf Hitler, vom Mercedes überfahren: Die Abschlussarbeit von Tobias Haase, Student an der renommierten Filmakademie Ludwigsburg, sorgte weltweit für Aufsehen. Weit über drei Millionen Klicks konnte der aufwändige "Werbespot" in täuschend echtem Mercedes-Look bislang verbuchen. Jetzt versucht sich Haase auf dem freien Werbemarkt. Die Zürcher Produktionsfirma Condor Films hat den 32-jährigen Regisseur unter Vertrag genommen. Und der verspricht: "Ich will schöne, ungesehene Sachen zeigen. Dinge, die der Mensch sonst nie zu sehen bekommt.

Herr Haase, Sie haben als Abschlussarbeit an der Filmhochschule Ludwigsburg einen vielbeachteten Film gemacht: Mercedes Benz trifft auf Hitler. Der Spot ging um die Welt. Wieso muss man dieses Thema wieder hervorkramen? Ist das der einzige Weg, um sich ins Gespräch zu bringen?

Gute Frage. Adolf Hitler ist in Deutschland immer noch ein Tabuthema. Über Hitler oder den Nationalsozialismus macht man keine Witze. Ich sag immer: Lieber lustig machen als ernst nehmen. Dieses Dogma stammt noch aus einer Zeit, in der man noch fast jedem vorwerfen konnte, einen Anteil am Nationalsozialismus zu haben. 

Wirklich? Das hab ich anders erlebt. Darüber werden doch ständig Witze gemacht.
Nicht in Deutschland. Wenn man das macht, kriegt man sofort einen auf den Deckel. Wie ich in den letzten Tagen gemerkt habe, gehen die Schweizer im Gegensatz zu uns relativ locker mit dem Thema um.

Na ja. Bei uns in der Redaktion gab es laute Stimmen, die sagten: Wieso müssen wir diesen Spot nochmals zeigen? Man ekelt sich hierzulande vor der ganzen braunen Sosse – und ich kann das verstehen.
Den Ekel kann ich verstehen, das Nicht-Thematisieren nicht ganz, ehrlich gesagt. Man muss hier unterscheiden. Der Nationalsozialismus und der 2. Weltkrieg haben unsere Vergangenheit in immensem Mass geprägt. Alles was danach kam, ist das, was Deutschland heute ausmacht. Der zweite Weltkrieg war eine Zäsur, wie sie heftiger nicht sein könnte. Das kann man doch thematisieren. Dass die Schweizer das ein wenig anders sehen, kann ich natürlich verstehen; es ist ja nicht Ihre Vergangenheit.

Ist das nicht schon zur Genüge thematisiert worden? Muss das jetzt auch noch in die Werbung?
Ich glaube nicht, dass man das Thema verdrängen kann und sollte. Meine Grosseltern reden noch sehr oft von dieser Zeit. Da findet ja auch eine Verklärung der Ereignisse statt: Alle waren immer nur Fahrer. Niemand hat auch nur einen Schuss abgegeben. Das ist doch absurd! 

Wie lange haben Sie an dem Mercedes Spot gearbeitet?
Ein gutes Dreivierteljahr. Das war schon kein Spaziergang. Da waren insgesamt sicher siebzig, achtzig Leute dran beteiligt. Beim Dreh waren ungefähr sechzig Leute dabei. Auch gab es viele Disskussionen darüber, ob man so etwas tun darf, oder eben nicht. 

Wie haben Sie den Film finanziert?
Die Filmakademie stellt kleine Budgets zur Verfügung. Ich habe 8000 Euro für zwei Diplomprojekte erhalten. Das hab ich dann alles in diesen Spot gesteckt. Ausserdem hat noch eine externe Produktionsfirma Geld eingeschossen. Insgesamt haben wir 14'000 Euro ausgegeben. Wobei das natürlich täuscht: Keiner der vielen Helfer hat irgendetwas bekommen und die Kamera und das Material habe ich umsonst ausleihen können.

Und den Mercedes?
Den haben wir in Mainz gemietet. Nur dort gab’s genau dieses Auto in dieser Farbe und mit dieser Ausstattung.

Wie lange dauerte es bis Mercedes reagiert hat?
Die haben umgehend reagiert – sobald sie den Spot zu Gesicht bekommen haben. Aber vorher haben wir ihn in Cannes bei den Young Directors Awards und beim First Steps Wettwerb eingereicht. Im Zuge des First Steps kam dann die erste Reaktion von Mercedes, da sie da Mitveranstalter sind. 

MCP from dath - Tobias Haase on Vimeo.


Und dann kam der böse Brief.
So böse war der gar nicht. Er war sehr freundlich und anerkennend formuliert. Aber sie wollten halt, dass ich sofort unterschreibe, dass der Film so nicht weiter veröffentlicht wird. Das hab ich nicht gemacht. Eine Woche später traf dann die Einstweilige Verfügung ein. Dann gab’s ein Gespräch zwischen Mercedes Benz und der Filmakademie.

Das Ende der Geschichte?
Sie haben erklärt, warum sie sich davon distanzieren müssen. Ist ja auch klar: Ein überfahrenes Kind in einem Autospot – nicht gerade ideal. Sie hätten auch verhindern können, dass der Spot überhaupt je gezeigt werden kann. Aber sie waren da sehr kulant. Nachdem ich die Hinweise angebracht hatte, dass sich Mercedes davon distanziert, durfte ich ihn umgehend ins Netz stellen.

Welches Fazit ziehen Sie selbst?
Wir haben eine Werbung gemacht, die schlussendlich nicht unbedingt für Mercedes wirbt, sondern für die, die den Film gemacht haben. Aufmerksamkeit zu bekommen, stand schon sehr weit oben auf der Liste. Aber ich bin Absolvent einer Filmschule. Ich hab das in keinster Weise bereut. Die Reaktionen sind in der grossen Mehrheit positiv.

Jetzt stehen Sie neu exklusiv bei Condor Films unter Vertrag und werden Schweizer Werbeagenturen schmackhaft gemacht.
Ja, ich hoffe, dass ich in Zukunft möglichst viel hier drehen kann. Meinen nächsten Spot drehe ich bereits im Oktober mit Condor. 

Haben Sie schon einen Partner für den deutschen Markt?
Nein, noch nicht. Ich bin mich da gerade am Aufstellen.

Auf Ihrem Vimeo-Konto sieht man unter anderem auch einen kurzen Film über Frühgeburten. Eine leise Geschichte in Schwarzweiss.
Das war der Film, mit dem ich mich in Ludwigsburg beworben habe. Ein kleines Porträt, gefilmt auf der Intensivstation einer Geburtsklinik. 

dath - 1050 from dath - Tobias Haase on Vimeo.

Was hat Sie daran gereizt?
Der Blickwinkel. Das ist eine Welt, die man sonst nicht mitkriegt. Schöne, spannende Dinge zeigen, das würde ich auch in Zukunft gerne. Dinge, die der Mensch sonst nie zu sehen bekommt.

Wie geht dieser Wunsch mit dem Herstellen von Werbespots zusammen?
Hervorragend! Gute Werbespots zeigen immer wieder schöne, ungesehene Dinge. Jetzt gerade sehr erfolgreich ist der Spot mit dem Smart, der sich als Offroader versucht und in jeder Situation grandios scheitert. Eine tolle Idee.

Was haben Sie sonst noch für Favoriten?
Es gibt viel, was mich geprägt hat. David Fincher. Er hat für mich die Symbiose aus VFX und Realbildern erfunden. Ein Beispiel (allerdings nicht von ihm) ist der alte Sprite-Film, in dem ein Basketballplatz zum Pool wird. Grossartig. Die digitalen Möglichkeiten bieten unglaubliches Potential ungesehene Dinge zu zeigen. Ich liebe den Film von Mark Schölermann in dem Skoda für sein Engagement für die Tour de France wirbt. Auch da werden die Autos "benutzt" und nicht nur in perfekten Bildern inszeniert. 

Letzte Frage: Müssen Ihre Auftraggeber keine Angst haben, dass der Provokateur mit Ihnen durchgeht? 
Sie meinen, dass plötzlich wieder Hitler irgendwo auftaucht? Nein, das ist nicht zu befürchten. Die Konzepte werden natürlich mit dem Kunden abgestimmt aber ich habe schon noch einige Ideen wie man Leute überraschen kann. 

Interview: Adrian Schräder



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