23.11.2015

Gossage Day

"Gossage gehört zu den Rebellen unserer Zunft"

Michael Conrad hat die Philosophie der Werberlegende nach Deutschland gebracht.
Gossage Day: "Gossage gehört zu den Rebellen unserer Zunft"

Ob Social Media, Storytelling, 360-Grad-Ideen oder Community Building: Vor 50 Jahren hat Howard Luck Gossage nahezu alles vorweggenommen, was im Moment Werber und Auftraggeber bewegt. Am Montag wird des 1969 verstorbenen Werbegenies gedacht: mit dem internationalen Gossage Day, den die Kommunikationsagentur Rod nach Zürich holt. Auch der legendäre Werber Michael Conrad (im Bild oben) ist bei diesem Anlass dabei. Ende der 1960er Jahre haben er und Walter Lürzer die Werbephilosophie von Gossage nach Deutschland gebracht.

Warum sollte man Howard Luck Gossage kennen, Michael Conrad? Der Mann ist seit fast 50 Jahren tot, seine Agentur längst liquidiert.
Gossage war ein grandioser Kommunikator, der zu den absoluten Meistern unserer Zunft gehört – und zu ihren ganz grossen Rebellen. Mit den Coupons zum Einsenden, die es in all seinen Anzeigen gab, nahm er die interaktive Werbung vorweg.

Dennoch ist Gossage nahezu unbekannt, zumindest bei den Werbern unter 70.
Leute geraten in Vergessenheit, das ist ganz normal. Aber jeder Vollblut-Texter muss Gossage studiert haben, daran führt kein Weg vorbei. Vielleicht ging Gossage auch vergessen, weil er mehr als nur ein Werber war. Er war auch ein PR-Mann. Und vor allem war er ein Philosoph. 'Nobody reads ads. People read what interests them. And sometimes it’s an ad.' Darin steckt eine Menge Weisheit.

Welche Gossage-Kampagne gefällt Ihnen am besten?
Wahrscheinlich die, mit der er den Bau eines Wasserkraftwerks im Grand Canyon verhindert hat. Eine der Headlines war: 'Should we also flood the Sistine Chapel so tourists can get nearer the ceiling?' Das hat im ersten Moment nichts mit dem Thema zu tun. Es geht nicht um die Tiere und Pflanzen, für die der Staudamm eine Katastrophe gewesen wäre. Aber gerade das macht kreative Kommunikation aus – dass man über einen kleinen Umweg ein Thema überhaupt erst interessant macht. Das Genie von Gossage bestand aber vor allem darin, in eine seiner Anzeigen nicht weniger als sieben Coupons einzubauen. Die konnte man dann an diverse Politiker schicken, mit der Bitte, sich gegen den geplanten Staudamm zu wehren. Einer der Coupons war sogar für den amerikanischen Präsidenten bestimmt.

Sie wissen, dass Gossage in seiner Anti-Staudamm-Kampagne blank gelogen hat? Seine Behauptung, der Grand Canyon würde durch den Staudamm geflutet werden, war Unsinn. Ein Landsmann von Gossage würde dazu sagen: "He was a son of a bitch."
Als Anhänger der Werbephilosophie von Leo Burnett würde ich eher sagen: 'He was digging for the inherent drama.' Gossage hat die idiotische Idee eines Wasserkraftwerks im Grand Canyon einfach weitergedacht und zugespitzt. Die Behauptung, der Grand Canyon würde durch den Staudamm geflutet werden, ist insofern keine Lüge, sondern eine legitime Dramatisierung. In den USA gab es den Vorschlag, dass Hurricanes in Zukunft nicht mehr Katrina oder so heissen, sondern den Namen von Kongressabgeordneten tragen, die nichts gegen den Klimawandel unternehmen. Was für eine grossartige Idee – die könnte von Gossage sein!

Als Gossage seine Agentur gründete, war er überzeugt, dass die Welt bessere Werbung braucht. 10 Jahre später hatte er eine andere Überzeugung: dass Werbung nur dann eine Existenzberechtigung hat, wenn sie die Welt verbessert.
Eine sehr philosophische Aussage. Aber auch eine sehr richtige. Ich selbst habe mich immer als Verkäuferpoeten gesehen. Das heisst erstens, dass ich etwas verkaufen muss. Und zweitens, dass ich die Menschen verzaubern will. Poesie macht die Welt zu einem schöneren Ort, liefert Schmalz fürs Leben. Bei Leo Burnett habe ich eine Skala zur Beurteilung von Werbeideen entwickelt: von 'appalling' – also erschreckend – bis 'most inspiring in the world'. Werbung muss die Menschen inspirieren. Als kreativer Werber kann ich vielleicht nicht gleich die ganze Welt verbessern. Aber ein bisschen was schon – und das ist auch schon was.

Interview: Dominik Imseng, Journalist und Texter bei Matter Gretener Lesch, Bild von Michael Conrad: Charlotte Bufler


Das ganze Interview mit Michael Conrad lesen Sie in der Dezember-Ausgabe vom "persönlich"-Heft. Informatinen zu Abos finden Sie hier.



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