08.10.2015

Strauhof

"Die zahlungskräftige Literaturszene ist nicht online unterwegs"

Vor knapp zwei Wochen hat der Strauhof seine Tore geöffnet. Rückblickend auf die enorme Empörung über die damaligen Schliessungspläne sei das mediale Interesse nun bescheiden, sagt Co-Leiterin Gesa Schneider im persoenlich.com-Interview. Aufgrund des gekürzten Budgets geht das Strauhof-Team nun neue Wege in der Eigenvermarktung - und versucht mit Social Media oder Wemakeit ein erweitertes Publikum zu erreichen.
Strauhof: "Die zahlungskräftige Literaturszene ist nicht online unterwegs"

Frau Schneider, am Donnerstag startet "Der Marsianer" mit Matt Damon in den Schweizer Kinos. Haben Sie sich bereits Tickets gesichert?
Nein, leider nicht. Aber ich werde mir den Film auf jeden Fall ansehen. Ich bin ein grosser Fan des Regisseurs Ridley Scott. Der Film soll ja besser sein als das Buch.

Der Film handelt über den Mars, genau wie die erste Ausstellung im Strauhof. Wie sind Sie gestartet?
Die Kritiken sind gut, das Publikum ist interessiert. Aber für Themen, die bei der literarischen Öffentlichkeit nicht im Fokus stehen, braucht es einen zusätzlichen Effort. Vereinfacht gesagt: Die Menschen, die sich "Der Marsianer“ anschauen, gehen nicht unbedingt in ein Museum.

Aber der Film sorgt für ein breiteres Interesse am Mars, und damit an der Ausstellung. Das kommt Ihnen doch zugute.
Das stimmt. Aber auch die Promotionsfirma des Films hat kürzlich bei uns angefragt, ob wir Goodies ausstellen würden. Für uns wäre es im Gegenzug natürlich spannend, wenn wir bei ihren Aktionen unsere Flyer auslegen könnten.

Der Strauhof präsentiert sich mit einem neuen Erscheinungsbild. Was ist die Idee dahinter?
Der Strauhof soll externen Gestaltern einen Ausstellungsraum bieten, er will erkundet werden. Beim Logo "S" dreht sich alles um eine gefaltete Seitenecke, ein Eselsohr also. Dabei denkt man sofort an ein Buch oder Literatur allgemein.

Worauf haben Sie bei der Ausarbeitung der Marke besonderen Wert gelegt?
Wir haben uns zusammen mit der Brandagentur Process umgeschaut, was im Umfeld von Literatur und Museen passiert. Der Strauhof soll elegant und trotzdem verspielt daherkommen. Das ist nicht so einfach, denn als Museum können wir keine eigene Bildsprache entwickeln oder ein eigenes Farbkonzept entwerfen.

Weshalb nicht?
Wir zeigen verschiedene Ausstellungen und jede einzelne hat ihre eigene Bildsprache. Werke von Friedlich Glauser zum Beispiel haben eine andere Anmutung als eine Mars-Ausstellung. Deshalb müssen wir flexibel sein.

Der neue Strauhof muss mit einem stark gekürzten Budget auskommen. Welche Mittel nutzen Sie dementsprechend, um die Menschen in das Museum zu locken?
Wir setzen hauptsächlich auf Social-Media-Marketing und sind damit auf Facebook, Twitter und Instagram präsent. Zudem nutzen wir unsere verschiedenen Partner als Multiplikatoren. Doch die finanziellen Einbussen sind einschneidend, das Budget für Inserate zum Beispiel fällt vollends weg. Deshalb versuchen wir zusätzliche Mittel durch Sponsoren zu akquirieren. Oder wie kürzlich mit einer Wemakeit-Kampagne.

Dort sammelten Sie 36'000 Franken für Flyer, Inserate und den Katalog - leider ohne Erfolg.
Ganz so würde ich das nicht sagen. Zwar kam der Betrag nicht zusammen, die Aktion hat uns aber bei einem grösstenteils neuen Publikum eine grosse Sichtbarkeit beschert. Auf der Kommunikationsebene hat das sehr gut funktioniert. Und wir haben daraus zwei Schlussfolgerungen gezogen.

Welche sind das?
Erstens, dass die zahlungskräftige Literaturszene nicht online unterwegs ist. Und zweitens, dass diejenigen, die einen Beitrag aus Überzeugung leisten würden, der Ansicht sind, dass Kulturförderung Aufgabe des Staates ist. 

Als Leiterin des Literaturhauses dienen Sie der "Neuen Zürcher Zeitung“ in der neuen Kampagne als Testimonial. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?
Die NZZ hat mich angefragt und ich habe erfreut zugesagt. Ich glaube, es ist eine Win-Win-Situation, da unsere Inhalte für ein frisches und intellektuelles Publikum miteinander kompatibel sind. Aber es ist schon ein etwas seltsames Gefühl, wenn man plötzlich im Tram seinem Bild gegenübersteht.

Versprechen Sie sich diesbezüglich auch Werbung für den Strauhof?
Indirekt schon, auch wenn wir die beiden Häuser auseinanderhalten wollen.

Inwiefern ist die Bekanntheit des Strauhofs durch seine politische Vorgeschichte nun beim Neustart hilfreich?
Das ist schwer zu sagen. Die Medien berichteten über unsere Neueröffnung, jedoch ohne grosse Emphase. Rückblickend auf die enorme Empörung über die Schliessungspläne des Strauhofs im letzen Jahr ist das bescheiden.

Sie wollen auf neue Formate setzen um Schwellenängste abzubauen. Wie machen Sie das?
Wir probieren neue Sachen aus, wie zum Beispiel mit den Live-Lesungen aus den Mars-Chroniken von Ray Bradbury, unserem Auftritt an der 'Langen Nacht der Museen' oder einem Workshop für experimentelle Videoaufnahmen. Zudem bleibt das Museum zurzeit donnerstags bis um 24 Uhr geöffnet. Auch unser neues Erscheinungsbild und unsere Aktivitäten auf Social Media sollen dazu beitragen, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Erste Erfahrungen sind erfolgsversprechend.

Sie attestieren den Zürchern in einem Bericht fehlende kulturelle Neugier. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das kulturelle Angebot in der Stadt ist so gross, dass man sich nicht parteiübergreifend für alles interessieren kann. Und die verschiedenen Szenen vermischen sich nicht so wie in anderen Städten. In Lausanne beispielsweise gehen die selben Leute ins Kino, besuchen experimentelle Theaterstücke, gehen an Rockkonzerte oder in die Oper, und hören sich Lesungen an. Das ist in Zürich weniger der Fall.

Sie selbst sind viel herumgekommen, haben als Kind in Deutschland und Brasilien gewohnt und wohnen nun in Zürich. Inwiefern fliesst dies in Ihrer Arbeit mit ein?
Ich versuche neugierig und offen zu bleiben. Wer verschiedene kulturelle Prägungen kennt, hat das Glück gut andere Positionen einnehmen zu können und die Dinge von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachten zu können.

Interview: Michèle Widmer, Bild: zVg.



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