21.08.2017

Bundesrats-Ersatzwahl

«Das direkte Gespräch ist immer noch erste Wahl»

FDP-Nationalrat Ignazio Cassis galt lange als Favorit für die Bundesrats-Ersatzwahl vom 20. September. Doch nun ist die Lage rund um die Nachfolge von Didier Burkhalter nicht mehr so klar. Ein Gespräch über die Rolle der Medien und seine politischen Schwerpunkte.
Bundesrats-Ersatzwahl: «Das direkte Gespräch ist immer noch erste Wahl»
Der Tessiner Nationalrat Ignazio Cassis posierte letzte Woche für Fotoaufnahmen im Bundeshaus in Bern. (Bild: Keystone/Gaetan Bally)
von Nathalie Zeindler

Herr Cassis, der Bundesratswahlkampf steigt in die heisse Phase. Wie erleben Sie diese Zeit?
Der Druck und die Erwartungen nehmen stetig zu. Ausserdem sind Verwicklungen und Eklats Teil nahezu jeder Wahl. Vor 40 Jahren war mir die Welt der Politik noch weitgehend fremd, da ich mich in erster Linie für die Medizin, geprägt von Erfahrungen mit Leben und Tod, interessiert hatte. Aber mittlerweile kann ich mir einen Alltag ohne Politik kaum mehr vorstellen ganz im Sinne meines Mottos «Keine Freiheit ohne Verantwortung».

Bundesratskandidaten müssen auch vor den Medien bestehen.
Als Nationalrat bin ich es seit Jahren gewohnt, mit Journalisten Gespräche insbesondere über Sachthemen zu führen. Allerdings erlebe ich nun auch die personenzentrierte Berichterstattung, mit der ich zuvor weniger konfrontiert worden war. Das ist hin und wieder etwas gewöhnungsbedürftig, aber wer Blessuren scheut, sollte sich nicht öffentlich zur Schau stellen.

In diesem Zusammenhang fällt das Stichwort Soziale Medien, die von immer mehr Politikerinnen und Politikern genutzt werden. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin ebenfalls auf Facebook präsent und vermittle meinen über 2000 Follower einen Einblick in meine politische Tätigkeit. Allerdings bin ich der Meinung, dass solche Portale vor allem überzeugte Anhänger ansprechen. Wenn das Ziel darin besteht, neue Wähler zu gewinnen, ist das direkte Gespräch meiner Meinung nach immer noch erste Wahl. Die Nutzung von sozialen Medien durch Bundesräte erachte ich aus Zeitgründen als wenig realistisch.

Was würden Sie als Mitglied des Bundesrates konkret ändern?
Bei so manchen Bürgerinnen und Bürgern drückt der Schuh, was die jährliche Steigerung der Krankenkassenprämien betrifft. Es existieren zahlreiche Fehlanreize im Gesundheitswesen, die beseitigt werden sollten. Dabei denke ich an die Tarifierung und damit an die notwendige Revision des nicht mehr zeitgemässen Ärztetarifs Tarmed sowie an die uneinheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen. Mit diesen Themen werde ich mich als Gesundheitspolitiker weiterhin auseinandersetzen. 

Nicht nur das politische Engagement prägt Ihren Alltag, sondern zahlreiche Mandate, die nicht selten Anlass zu Kritik geben. Wann wirkt sich der Lobbyismus im Parlament nachteilig aus?
In der Schweiz haben wir ein Milizsystem und dessen Mitglieder üben ihre parlamentarische Tätigkeit nebenberuflich aus. Als Arzt dürfte es naheliegend sein, dass ich im Gesundheitswesen tätig bin. Milizparlamentarier sind somit in der realen Gesellschaft verankert. Daraus entstehen Verbindungen und Interessensvertretungen, welche die Debatte fachlich gesehen bereichern. Zudem übernehmen Verbände in der direkten Demokratie eine wichtige dialektische Scharnierfunktion zwischen dem Staat und den einzelnen Wirtschaftsakteuren. Dieses Schweizer System hat sich bis heute bewährt.

Sie müssen sich als Lobbyist den Vorwurf gefallen lassen, die Interessen der Patienten zu wenig im Auge zu haben.
Als Vizepräsident der Ärzteverbindung FMH und im Forum Managed Care gehörte die Förderung der integrierten Versorgung zu meinen zentralen Anliegen, und als Präsident des Krankenkassenverbandes Curafutura habe ich mich unter anderem für eine einheitliche Finanzierung von ambulant und stationär eingesetzt, damit die Wahl des Behandlungsortes nicht von finanziellen Anreizen abhängt. Davon profitieren die Patientinnen und Patienten. Insofern ist diese Behauptung nicht gerechtfertigt.

Seit 20 Jahren befürworten Sie die Drogenlegalisierung. Wie müsste man sich Ihre Politik als Bundesrat diesbezüglich vorstellen?
Wir sollten von der Politik der illegalen Drogen zu jener der psychoaktiven Substanzen übergehen, denn die 1990er Jahre sind definitiv vorbei. Ich bin überzeugt, dass die Bestrafung der Sucht keine gute Lösung darstellt und eine Entkriminalisierung vonnöten ist. Ein regulierter Markt ist meiner Ansicht nach der geeignete Weg.

Zurück zu Ihren Bundesratsambitionen: Sie möchten eine Tessiner Perspektive in die Landesregierung einbringen.
Es geht nicht um den Kanton Tessin, sondern um die italienischsprachige Schweiz, um 8,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Mehr als die Hälfte davon lebt ausserhalb des Tessins. Besagte Kultur und Mentalität gehören in den Bundesrat. So will es auch unsere Verfassung. Dabei sollte der nationale Zusammenhalt eine zentrale Rolle spielen. Ein Bundesrat, der die dritte Schweiz vertritt, schafft eine psychologische und symbolische Verbindung zwischen den Institutionen und diesem Teil der Bevölkerung. 

Welches ist diesbezüglich Ihr Hauptziel?
Dazu gehört, die Schwierigkeiten in meinem Kanton aufzuzeigen. Italien ist der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz, und entsprechend sollten die Beziehungen normalisiert werden. Seit Jahren herrschen Differenzen im Steuerbereich vor. Wir benötigen endlich ein Doppelbesteuerungs- und Grenzgängerabkommen. Dadurch liesse sich das Problem der Grenzgänger wesentlich entschärfen. 

Empfinden Sie es als Nachteil, dass Sie als möglicher Nachfolger von Didier Burkhalter zuvor kein Exekutivamt ausgeübt haben?
Nein. In der Geschichte unseres Bundesstaates gab es sehr gute Bundesräte, die zuvor niemals ein Exekutivamt innehatten. Auch der umgekehrte Fall ist bereits vorgekommen. Was Menschen reifen lässt, sind die zahlreichen unterschiedlichen Erfahrungen, die sie im Leben sammeln.

Nach eigenen Aussagen möchten Sie im Falle einer Wahl zehn Jahre im Bundesrat bleiben. Was könnte Ihre schwierigste Herausforderung sein?
Wer sich als Kandidat nominieren lässt, sollte an eine längerfristige Verpflichtung denken. Wenn mich die Bundesversammlung wählen sollte, muss ich jenes Departement übernehmen, das am Ende übrig bleibt. Ich scheue keine Mühe und würde meine neue Aufgabe mit Engagement anpacken – in guten und in schwierigen Zeiten.

 

 

 

 

 



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Kommentare

  • Dieter Widmer, 22.08.2017 09:11 Uhr
    Für mich ist und bleibt Cassis Favorit, und ich hoffe, dass er gewählt wird. Seine Waadtländer Mitkandidatin hat sich wegen ihres Waffenlobby-Mandates so kurios benommen, dass man füglich den Eindruck haben kann, sie sei in heiklen Momenten nicht ehrlich.
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