TV-Kritik

SRF braucht Terrorismus-Experten

Terrorismus ist zum grössten Problem Europas geworden. Der Kontinent kämpft mit einer beispiellosen Form von dschihadistischem Terror. Entsetzen, Trauer und Ratlosigkeit sind eminent nach Anschlägen wie eben in Barcelona. Und das TV-Publikum erwartet immer rascher Antworten.

In den Newssendungen werden jeweils eiligst die Korrespondenten in den betroffenen Ländern und Städten zugeschaltet. Diese TV-Journalisten kommen an den Katastrophen-Schauplätzen nachvollziehbar oft schon mit der aktuellen Berichterstattung über die Barbareien an ihre Grenzen.

Spätestens seit 9/11 beschäftigen viele TV-Sender weltweit eigene Terrorismus-Experten. Nach Anschlägen können diese sofort auf den Plan gerufen werden. Berühmt geworden als Fachkapazität ist der britisch-US-amerikanische Journalist Peter Bergen bei CNN. 1997 gelang ihm übrigens als erstem westlichen Reporter ein Interview mit Osama Bin Laden.

Auch die deutschen Kanäle haben sendereigene Terrorismus-Experten. Beim ZDF ist dies der stellvertretende Chefredaktor Elmar Thevessen. Organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und Nachrichtendienst gehören zu seinen weiteren Fachgebieten.

Die ARD kann mit einer ganzen Reihe von – teils inzwischen freiberuflichen – Spezialisten aufwarten: Etwa mit Joachim Wagner, Holger Schmidt und Georg Mascolo. Letzterer war am Donnerstag direkt nach den Anschlägen in der katalanischen Metropole für die «Tagesthemen» im Einsatz. Die Analysen von Mascolo (2008 bis 20013 Chefredaktor des «Spiegel») gefallen mir in Bezug auf Inhalt und Sachlichkeit am besten. Mascolo leitet «hauptamtlich» den Rechercheverbund des NDR, WDR und der «Süddeutschen Zeitung». Bei RTL beschäftigt sich Michael Ortmann mit dem Terrorismus.

Und wen zieht das Schweizer Fernsehen zurate? Einen eigenen Terrorismus-Experten hat SRF nicht. Nach dem Attentat in Barcelona analysierte – aus Berlin zugeschaltet – der renommierte deutsche Wissenschaftler Guido Steinberg (arbeitet derzeit für die Stiftung Wissenschaft und Politik). Oftmals werden für «Tagesschau» und «10vor10» auch Strategie- und Militärexperten der ETH konsultiert.

Hauptsächlich bei den Printmedien viel gefragte Fachgrössen sind der Genfer Jean-Paul Roullier oder der frühere ETH-Forscher und Extremismusexperte Lorenzo G. Vidino, lehrt heute an der Georg Washington University.

TeleZüri lädt für Terrorismus- und Sicherheitsthemen meist dieselben beiden Profis ins Studio oder vor die Kamera: den Strategie-Sachverständigen Albert A. Stahel oder den ehemaligen Geheimdienstchef Peter Regli.

Der Terrorismus steht heute in vielen europäischen Ländern an der Spitze der wahrgenommenen Bedrohungen. Im Irak und in Syrien befindet sich die Terrormiliz zwar auf dem Rückzug, aber in Europa werden sich die Schreckenstaten laut Fachleuten fortsetzen und uns leider noch lange beschäftigen.

Als TV-Zuschauer wollen wir immer wieder Analysen, Einschätzungen und Meinungen von erstklassigen Experten hören. SRF sei empfohlen, einen eigenen Spezialisten aufzubauen.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Josef Ritler, 25.08.2017 15:35 Uhr
    René Hildbrand hat recht. Nur, SRF muss keine Spezialisten aufbauen. Die hat es bereits. Man muss sie nur ins Studio holen. Beispielsweise den schon erwähnten ehemaligen Geheimdienstchef Peter Regli. Ich habe ihn schon wiederholt erlebt, wie er in Vorträgen kompetent und messerscharf die aktuelle Lage erklärt hat. Er würde sicher mehr zur Analyse nach einem solchen Vorkommnis beitragen, als der Reporter vor Ort, der vielfach vom Studio aus mit dummen Fragen zu einer nichtssagenden Antwort genötigt wird. Die Kollegen tun mir oft leid. Vielfach sind die Redaktionen kurz nach einem Attentat besser informiert, als er Reporter an der Front, der eigentlich die Lage atmosphärisch schildern sollte.
  • Manfred Joss, 25.08.2017 15:33 Uhr
    Das können Sie, Herr Bonanomi schon schreiben, solange der Terror nicht Sie, Ihre Angehörigen oder die Schweiz betrifft. Zum Artikel: Ein Hausexperte ist keine gute Idee. Denn auch Experten haben ihre Vorlieben und blinden Flecken, auch wenn das in der Expertokratie heute viele nicht gerne hören mögen.
  • Klaus Bonanomi, 25.08.2017 14:30 Uhr
    Moment mal. Terrorisums ist das grösste Problem in Europa? Ich wüsste ein Dutzend dringenderer Probleme. Von A wie Altersvorsorge bis Z wie Zukunftsperspektiven.
  • Tom Briner, 22.08.2017 11:05 Uhr
    Das ist tatsächlich so, wie es Ueli Custer schildert. Am Besten ist nach solchen Ereignissen, man lässt zwei bis drei Tage verstreichen ohne sich auf die 1000000000 Breaking News und sogenannte Expertenberichte zu konzentrieren und liest danach die zusammenfassenden Berichte in einer seriösen Tageszeitung. Auch jetzt nach Barcelona kann man sich erst jetzt ein solides Bild über die schrecklichen Geschehnisse machen.
  • Ueli Custer, 21.08.2017 08:35 Uhr
    Macht es einen Unterschied, ob ein Journalist nichts genaues weiss und nur vage Vermutungen anstellen kann oder ein sogenannter Experte? Nach solchen Ereignissen wird doch auf allen Sendern mehr oder weniger leeres Stroh gedroschen weil die Informationslage unmittelbar nach dem Ereignis schlicht viel zu dürftig ist. Ob da es da dann wirklich noch einen Terrorismusexperten braucht, bezweifle ich.
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