TV-Kritik

Warum Verschwörungstheorien boomen

Die erste Mondlandung hat nie stattgefunden. Nine Eleven war das Werk der CIA. Die Erde ist flach und der Klimawandel eine Lüge. Kondensstreifen am Himmel vergiften uns. Im Keller des Weissen Hauses liegen Ausserirdische. Verschwörunstheorien haben Hochkonjunktur. Warum suchen so viele Menschen ihr Heil darin? Der deutsche Philosoph Richard David Precht sprach darüber mit seinem Kollegen Harald Lesch, Physiker, Philosoph und ZDF-Moderator («Leschs Kosmos»).

«Precht» ist eine der intelligentesten TV-Sendungen. Es gibt sie nur sechsmal pro Jahr. Um Mitternacht. Früher läuft die neueste Ausgabe («Verschwörungstheorien und erfundene Wahrheiten») am 28. April auf 3sat. Precht spricht meist mehr als seine Gäste und doziert, er stellt ihnen Fragen, die er gleich selber beantwortet. Damit muss der Zuschauer klarkommen. Zuhören lohnt sich bei dieser Sendung aber immer.

Immer mehr Menschen misstrauen den «offiziellen» Wahrheiten: der Öffentlichkeit, den Medien, den Regierungen. Sie sind verunsichert, trauen nur dem eigenen Bauchgefühl und «pflegen» Verschwörungstheorien. In unsicheren Zeiten vermuten sie hinter komplexen und schwer nachvollziehbaren Ereignissen übermächtige und teuflische Drahtzieher. Durch alternative Fakten wird die Realität nach eigenem Gusto manipuliert. Kommt dazu, dass Rechthaberei im Alltag der Menschen eine viel grössere Rolle spielt als die Wahrheit.

Das Internet bietet Verschwörungstheoretikern eine ideale Kommunikations- und Verbreitungsform. Echte Verschwörungen (Beispiel: Abgasmanipulation) tragen dazu bei, absurde Theorien zu produzieren. Harald Lesch: «Jede aufgedeckte Verschwörung ist Wasser auf die Mühle der Verschwörungstheoretiker.» Precht und Lesch waren sich einig: Verschwörungstheorien brechen heute auch deshalb auf, weil das Wahrheitsmonopol der Massenmedien durch das Internet aufgebrochen wurde. Wir leben in einer durchfiktionalisierten Welt. Die Menschen wissen nicht mehr, was sie glauben sollen und finden dann Zuflucht in Geschichten, die ihnen am besten gefallen.

Verschwörungstheorien (sie müssen aufregend und spannend sein) sind die Nachfolger der Mythen. Die absolute Wahrheit gibt es nicht. Precht: «Gibt es eine Theorie, von der es heisst, es sei eine Verschwörungstheorie, wo Sie sagen, da könnte etwas dran sein?» Lesch: «Ja, die Ermordung von John F. Kennedy. Bei dieser Theorie weiss man am wenigsten, was falsch ist.»


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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