TV-Kritik

Zu viel Dank für die blosse Pflicht

Vielen Dank, besten Dank, merci vielmal! Auf keinem anderen Sender der Welt finden Sie so dankbare Moderatorinnen und Moderatoren wie beim Schweizer Fernsehen. Ob «Tagesschau», «10vor10» oder Abstimmungssendungen: Laufend bedanken sich die SRF-Aushängeschilder bei ihren (gut bezahlten) Kollegen dort, wo bloss eine Pflicht erfüllt wird.

Der Dankbarste ist «Tagesschau»-Moderator Florian Inhauser. Aufgeregt ruft er jeweils in die Kamera: «Adrian Arnold, live aus Berlin, vielen Dank!». Dann: «Peter Düggeli, live aus Washington, vielen Dank!» Leicht verlegen nicken die Korrespondenten den Dank oft kurz ab. Apropos Live: Ich gehe als Zuschauer nicht davon aus, dass ein TV-Korrespondentenbericht am Nachmittag vor der Sendung aufgezeichnet wurde. Für Inhauser scheint Live nach über sechzig Jahren TV indes immer noch eine Sensation zu sein.

Zurückhaltender verhält sich nach Korrespondenten-Schaltungen Franz Fischlin (der Beste des «Tagesschau»- Moderatoren-Teams). Der vornehme Berner belässt es bei einem «Besten Dank». Dank-Weltmeister ist Urs Leuthard in den Abstimmungssendungen. Nach jedem neuen Resultat aus den Kantonen, von seinen Kollegen abgelesen, folgt von ihm ein «Vielen Dank» oder ein «Merci vielmal».

Mit seinem Dank überschüttet werden permanent auch Politforscher Claude Longchamp und seine Kolleginnen und Kollegen in Bern, jene in den Standorten der Gewinner und Verlierer, sowie in den Kantonen. Bei Susanne Wille, die 2015 absolut brillant den eidgenössischen Wahlmarathon moderierte, hatte ich übrigens nach ihrem zwanzigsten(!) «Vielen Dank» zu zählen aufgehört.

Liebe Leserinnen und Leser, ich weiss nicht, wie oft täglich sich Ihre Arbeitskollegen oder Ihr Chef für jede Ihrer erledigten Arbeiten bedanken. Hoffentlich tun sie es ab und zu. Ich nehme aber an, Sie erfahren es eher selten. Zugegeben: Dankbarkeit ist heute dünn gesät. Und nichts ist vergesslicher als die Dankbarkeit (Friedrich Schiller).

Aber merke: Die Bitte ist immer heiss, der Dank oft kalt. Die News-Moderatoren von ARD, ZDF, RTL, ORF, TF 1, RAI usw. «eilen» nach Korrespondenten-Berichten direkt zum nächsten Thema. Aber auch sie bedanken sich. Nämlich dann, wenn es wirklich angebracht ist: Etwa nach Schaltungen und Gesprächen mit Politikern oder Experten. Für Ihre Aufmerksamkeit werden Sie von mir nun bestimmt keinen Dank erwarten. Merci vielmal für Ihr Verständnis!


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Florian Hodel, 22.02.2017 21:35 Uhr
    Dankbarkeit ist eine edle Tugend.
  • Markus Rohr, 22.02.2017 10:36 Uhr
    Gut registriert Rene. Es ist ein Ärgernis sondendergleichen. Mehr noch: manchmal bewerten die Moderatoren die Sendungen ihrer Kollegen auch noch.
  • Peter Liechti, 22.02.2017 08:23 Uhr
    Lieber René Hildbrand, ich bin dankbar, gibt's heutzutage noch Medien - und Menschen -, die für geleistete Arbeit ihren Dank aussprechen, auch wenn diese Arbeit blosse Pflicht ist. Ich versuche als Chef auch bei jenen Angestellten meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die exakt das tun, was ich von ihnen verlange - weil selbst das keine Selbstverständlichkeit ist und bereits einen Erfolg darstellt. Leistung erreicht man nicht nur mit der Peitsche, sondern auch mit Freundlichkeit und Respekt. Im Gegensatz zur Peitsche gibt's oben drauf noch unbezahlbare Motivation. Und wenn Medien danken und verdankt werden, wird letztlich Freundlichkeit, Respekt und Anstand in die Breite getragen - nichts als gute Schweizer Tugenden, die heutzutage mehr als angebracht sind. Danke, dass Sie Ihr unverständliches Problem mit dankbaren Leuten und Institutionen nochmals hinterfragen.
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