17.03.2016

TBWA Worldwide

«Die meisten beurteilen sich als innovativ. Das ist eine Illusion»

Jean-Marie Dru ist der Vater des Begriffs Disruption, seine Agentur hat Firmen wie Apple, Netflix oder Airbnb im Portfolio. persoenlich.com hat den Chairman von TBWA Worldwide an der GfM-Tagung getroffen. Der 69-Jährige sagt, warum er Bücher schreibt, nennt zwei Favoriten für Cannes und äussert sich zur Debatte über die Honorierung von Agenturen.
TBWA Worldwide: «Die meisten beurteilen sich als innovativ. Das ist eine Illusion»
von Michèle Widmer

Herr Dru, als Chairmann von TBWA Worldwide sind Sie häufig an solchen Anlässen zu Gast – und zwar auf der ganzen Welt. Wie nehmen Sie den Spirit hier auf dem Dolder wahr?
Ich spüre hier jede Menge Energie. Das hat unsere Branche bitter nötig. Die Welt verändert sich so rasch, wir müssen uns gegenseitig inspirieren. Wer immer am Bürotisch sitzen bleibt, verpasst das. Ich kann Leute, die solche Veranstaltungen nicht besuchen, nicht verstehen.

Wie beurteilen Sie die einzelnen Referate?
Da ich kein Deutsch spreche, ist das schwierig für mich. Aber On-Mitgründer Caspar Copetti hat mich beeindruckt. Und als Monica Glisenti von der Migros auf dem Podium stand, hat das Publikum besonders viel gelacht. Da hätte ich gerne mehr verstanden.

Sie haben die Zuschauer dann mit ihrem Referat wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt. Sie haben die Anwesenden daran erinnert, dass jegliche Innovation weltweit von nur 20 Prozent der Unternehmen kommt.
Die meisten Marketingverantwortlichen beurteilen sich selbst als innovativ, weil sie von Innovation umgeben sind. Das ist eine Illusion. 80 Prozent der Unternehmen sind in Bezug auf ihre Produkte und ihre Services zu wenig offen und bereit neue Wege zu gehen.

Zu Ihren Kunden gehören unter anderen Apple, Netflix oder Airbnb. Was können Sie von diesen Unternehmen lernen?
Wir lernen von allen unseren Kunden. Wir beobachten, was die einen Unternehmen machen und versuchen es in einer anderen Branche anzuwenden, ohne es zu kopieren. Das ist extrem spannend.  

Im Dezember ist Ihr sechstes Buch «The Ways to New» erschienen. Was hat Sie dazu bewegt, alle diese Bücher zu schreiben?
Ich habe meine Bücher nicht für die Leser, sondern für mich selbst geschrieben. Wenn ich etwas im Kopf habe, muss ich es publizieren, um einen Schritt weiterzukommen. So kann ich sicher gehen, dass ich mich nicht wiederhole und immer weiterdenke.

Wieso sollte man das aktuelle Buch lesen?
Es liest sich leicht und basiert auf diversen Beispielen von überall aus der Welt - China, Indien oder Südafrika. Und es zeigt auf, wie unterschiedlich die Menschen überall auf der Welt Innovation verstehen.

Sie beschäftigen sich tagein tagaus mit Innovation und Kreativität. Wie lassen Sie sich inspirieren?
Bei TBWA arbeiten viele Persönlichkeiten, die mich inspirieren. Einer davon ist unser Chairman of Media Arts Lab, Lee Clow. Ich versuche zu verstehen, was Menschen tun und denken, dabei werde ich immer wieder aufs neue inspiriert.

Im Sommer trifft sich die Branche am Cannes Lions Festival in Cannes. Welche Kampagnen könnten Ihrer Meinung nach ausgezeichnet werden?
Einen Überblick über alle Anwärter habe ich nicht. Aus der Sicht von unserer Agentur kann ich sagen: Apple lanciert in den nächsten Wochen eine hervorragenden Kampagne. Und für Nissan haben wir ein Commercial für den neuen Titan XD kreiert, in dem auch die Konkurrenten vorkommen. Gut möglich, dass diese beiden einen Award erhalten werden.

Wie hat sich das Festival in all den Jahren verändert?
Ich habe die Cannes Lions vom kleinen Festival bis hin zum grössten Werbeanlass der Welt miterlebt. Diese Entwicklung ist der Wahnsinn. Ich meine, es hat zu wenige Hotels in Cannes in diesen Tagen, die Leute übernachten in Nizza, welches 30 Kilometer entfernt liegt. Aber der Weg lohnt sich - ein «Shot of Creativity» ist garantiert.

Hat diese Entwicklung auch negative Aspekte mit sich gebracht?
Wenn ich einen nennen muss, vielleicht jenen, dass die Kreativität auf Kosten des Networking und Business ein wenig in den Hintergrund gerückt ist.

Zum Abschluss noch ein anderes Thema: Die Branche diskutiert darüber, dass Agenturen immer mehr für ihre Aufwände und nicht für die Idee bezahlt werden. Was sagen Sie dazu?
Diese Entwicklung ist ein Desaster. Darauf angesprochen zitiere ich gerne Oscar Wilde, der sagte: «Die Leute kennen von allem den Preis und von nichts den Wert.»

Bild: GfM



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