08.06.2017

Cannes Lions 2017

Festival verzichtet auf Schweizer Juroren

Award-Jurys ohne Schweizer: In den letzten Jahren flogen regelmässig mehrere Schweizer Werber an die Côte d‘Azur, um die internationalen Top-Arbeiten zu bewerten. Dieses Jahr ist das anders. Ein Novum in der über 60-jährigen Geschichte des Festivals. Die Kreativszene ist besorgt.
Cannes Lions 2017: Festival verzichtet auf Schweizer Juroren
2013 waren in Cannes mit Diana Rossi, Alex Schmid und Christof Kaufmann drei Schweizer in der Award-Jury vertreten – dieses Jahr bleiben die Türen zu. (Bild: Edith Hollenstein)
von Edith Hollenstein

Sie können dazu führen, dass aus für Bronze-Löwen vorgesehenen Arbeiten Silber-Arbeiten werden – oder sie können Silber-Arbeiten vergolden: Juroren vor Ort in Cannes sind für ein Land immens wichtig. Es steigen aber nicht nur die Chancen auf Edelmetall. Vom internationalen Austausch und der Inspiration auf Weltniveau profitiert die ganze Schweizer Werbebranche.

Wenn nun nächste Woche wieder das international bedeutendste Werbefestival startet, bleibt die Cannes-Jury ohne helvetische Beteiligung. Das ist ein Novum. Noch nie in der über 60-jährigen Geschichte des Festivals blieb die Schweiz aussen vor. In den letzten Jahren flogen regelmässig drei oder mindestens zwei Schweizer an die Côte d‘Azur, um die internationalen Top-Arbeiten zu bewerten.

Vor Ort sein ist zentral

«Die Elite der Schweizer Kreativen hat mit grossem Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die Schweiz, als Gründungsmitglied des Festivals, dieses Jahr keine Juroren mehr vor Ort hat», sagt Art-Directors-Club-Präsident Frank Bodin auf Anfrage von persoenlich.com. Zwar sind mit Axel Eckstein für die Kategorie «Promo & Activation» und Nathalie Diethelm für «Media» zwei Schweizer unter denjenigen, die von zuhause aus übers Internet die Vorselektion für die Shortlists durchführen. «Zentral und viel wichtiger ist jedoch die Präsenz in den Award-Jurys vor Ort», sagt Bodin.

Schweiz zählt zu kleinen Ländern

Der Grund für das Fernbleiben liegt in einer Verkleinerung der Award-Jurys, sehr wahrscheinlich aus Spargründen. Denn auch die Goldgrube Cannes Lions gerät aufgrund der branchenweiten Krise zunehmend unter Druck. Insgesamt streichen die Veranstalter auf dieses Jahr hin 92 Juroren, betroffen sind unter anderen die Kategorien «Promo & Activation», «Direct» und «Media». In diesen drei Jurys konnte die Schweiz in der Vergangenheit jeweils einen Juror stellen.

«Die Zuteilung wird nun anhand eines statistischen Rankings errechnet, mit welchem es für die Schweiz und andere kleinere Länder schwierig wird, einen der Award-Plätze zu erhalten», erklärt Sibylle Widmer auf Anfrage von persoenlich.com. Widmer, Mitarbeiterin der PR-Agentur Farner, ist von Weischer.Media, der Cannes-Repräsentatin für die Schweiz, mit der Betreuung des Festivals beauftragt. Widmer sagt: «Wir unterstützen den Ansatz des Festivals zu kleineren Jurys. Für uns ist aber zentral, dass das Auswahlverfahren kleinere Länder nicht benachteiligt und die Schweiz in Zukunft die Möglichkeit hat, mindestens einen Award-Juror zu stellen.»

Weischer.Media will sich einsetzen

Laut Widmer hat Weischer.Media beim Festival bereits angeklopft. «Wir haben unseren Unmut über die Änderung platziert», sagt sie. Man benötige die Unterstützung der Branche. Dafür will Weischer.Media nach dem Festival mit einer entsprechenden Massnahmeninitiative auf die Branche zukommen, verspricht Widmer.

Ob das etwas bringen wird, ist ungewiss. Cannes Lions ist in den letzten Jahren stark gewachsen und dadurch unzugänglicher geworden. Anfragen gelangen seltener an die richtige Adresse oder bleiben aus anderen Gründen unbeantwortet.

Auch Bodin hat damit Erfahrungen gemacht: «Vor zwei Jahren, als es um die Neuvergabe der Cannes-Repräsentanz für die Schweiz ging, hätten wir als ADC Schweiz diese gerne übernommen. Doch auf unser Angebot ging Cannes Lions gar nicht erst ein. Offenbar war aus irgendwelchen undurchsichtigen Gründen im Vornhinein klar, dass Weischer.Media nicht nur in Deutschland, sondern im gleichen Zug auch in der Schweiz repräsentieren sollte».

Cannes-Löwen verlieren an Wert

Nicht aus Frust darüber, sondern aus Sorge um den hiesigen Kreativstandort, fordert Bodin für 2018 wieder Schweizer unter den Award-Juroren: Ändert sich das auf nächstes Jahr hin nicht, sieht er Handlungsbedarf: «Dann müssen wir uns Alternativen überlegen. Cannes ist zwar das grösste Festival, aber nicht der einzige globale Topwettbewerb.» Beim D&AD oder One Show oder Clio zu gewinnen, sei schwieriger und darum mindestens so ehrenvoll. «Cannes-Löwen sind aufgrund der Inflation an Kategorien und gleichzeitigen Vergaben nicht mehr so hoch einzustufen wie früher.»



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Kommentare

  • Marius Müller, 09.06.2017 11:37 Uhr
    Dann gibts in Zukunft wohl noch weniger Löwen für die Schweiz.
  • Matthias Luchsinger, 09.06.2017 09:22 Uhr
    Sehr schade! Den Kampf hatte ich schon früher mit der cinecom als Representaticv und mit Werbe Weischer hoffe ich, dass da das ganze Gewicht für den deutschsprachigen Raum in die Waagschale geworfen wird. Was ich persönlich bedauerlich finde ist, dass sich eine PR-Agentur um das Engagement kümmert und nicht der Chef persönlich. Ich rate da dieses Engagement als "Swiss Representative" durch Werbe Weischer wieder zur direkten Chefsache zu machen!
  • Andreas Schürch, 09.06.2017 08:22 Uhr
    Werber die sich für diese Selbstberäucherung interessieren haben den Zweck der Werbung meiner Meinung nach sowieso noch nicht verstanden (siehe Zitate Ogilvy). Gut also, wenn die Schweiz nicht mehr dabei wäre.
  • Weingart Robert, 08.06.2017 18:31 Uhr
    Uiiiii, die Kreativszene ist besorgt. Vielleicht werden sie wieder eingeladen, wenn die Hipster-Bärte weg sind ;-) .
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