01.03.2017

Swissfilm Association

«Wasser predigen und Wein trinken»

Der neue «Meliens»-Spot von Melectronics ist von einer Produktionsfirma in Berlin umgesetzt worden. Dies stösst den Schweizer Werbefilmproduzenten sauer auf. Swissfilm-Association-Geschäftsführerin Rita Kovacs fordert, dass der Standort Schweiz gestärkt wird.
Swissfilm Association: «Wasser predigen und Wein trinken»
Die «Meliens» der Migros-Tochter Melectronics kommen aus dem Kosmos und die Produktionsfirma aus Deutschland. «Schweizer Produzenten verstehen Schweizer Kunden besser, sie bieten hohe Qualität und sicheren Production-Value», sagt Rita Kovacs, Geschäftsführerin Swissfilm Association. (Bild: zVg.)
von Christian Beck

Frau Kovacs, die Migros sorgt bei der Swissfilm Association für Kopfschütteln. Warum?
Der Migros-Chef Herbert Bolliger moniert im «persönlich»-Interview zu recht, dass der Einkaufstourismus für die ganze Volkswirtschaft schädlich ist. Für uns ist es darum eher unverständlich, dass diese Bedenken anscheinend nicht für den Einkauf bei seiner eigenen Organisation gelten.

Es stört Sie also die Doppelmoral, dass die Migros die Filmproduktion in Deutschland eingekauft hat.
Wir sind keine Moralapostel, wir beurteilen nicht die Moral Anderer. Aber ein bisschen wie Wasser predigen und Wein trinken ist es schon, oder nicht? Ivo Kummer, Leiter der Sektion Film des Bundesamtes für Kultur, hat es beim Edi.15 bei seiner Eröffnungsrede gut auf den Punkt gebracht, als er erwähnte: «Kürzlich wurde in meiner Wohnstadt … ein aufwendiger … Spot gedreht. Ich staunte nicht schlecht, als ich bemerkte, dass nur ausländisches Film-Equipment zum Einsatz kam und eine ausländische Filmcrew für die Dreharbeiten verantwortlich zeichnet, inklusive Darstellerinnen und Darsteller. Genau derselbe Grossverteiler appelliert in Medien an die Solidarität der Schweizer Bevölkerung, im Inland Einkäufe zu tätigen, statt ins billigere Ausland zu wandern.»



Die Migros wird argumentieren, sie hätte den Auftrag ja an die Schweizer Agentur Wirz vergeben…
Ja, das wird sie wohl tun. Grundsätzlich ist es ja lobenswert, dass dieses Melectronics-Kommunikationsbudget in der Schweizer Kreativwirtschaft platziert wurde. Die Agentur wird ihre Gründe haben, warum der Auftrag an eine deutsche Produktionsfirma vergeben wurde. Aber verantwortlich dafür ist die Migros als Auftraggeberin. Ich frage mich, ob die Migros darauf bestanden hat, dass der Spot in der Schweiz produziert wird.

Immerhin stehen hinter der Nachbearbeitung des Spots – wie Service-Produktion, Sound, Postproduction – Schweizer Firmen.
Das ist Augenwischerei, denn der Cashflow für die Filmproduktion fand in Deutschland statt.

Ich nehme an, das aktuelle Beispiel ist nicht das einzige. Kennen Sie noch weitere?
Ja, klar. Und die kennen Sie auch. Wir wollen nicht einzelne Firmen an den Pranger stellen, das bringt nichts. Vielmehr wollen wir erreichen, dass sich die Organisationen mit hohem Schweizer Bezug – sei es weil sie sich mit Steuer-, Gebühren- oder Bundesgelder finanzieren oder ihre Konsumenten ausschliesslich aus dem Schweizer Markt generieren – sich bewusst sind, dass wir volkswirtschaftlich alle im gleichen Boot sitzen und entsprechend handeln müssen.

Kann eine Filmproduktionsfirma in Deutschland im Vergleich zur Schweiz tatsächlich viel günstiger produzieren?
Die ausländischen Produzenten arbeiten nicht billiger als wir. Sie arbeiten genau gleich, aber halt mit ihren lokalen Preisen und Kostenstrukturen. Wir hören immer wieder von Auftraggebern, dass die erste Offerte viel günstiger war als diejenige der Schweizer Produktionsfirma, aber im Nachgang derart viele Zusatzkosten extra abgerechnet wurden, dass die Produktion schliesslich mehr gekostet hat, als es beim Schweizer Anbieter der Fall gewesen wäre.

Wie vergleichbar sind Offerten aus dem Ausland und der Schweiz tatsächlich?
Sie sind schon vergleichbar, wenn man das Angebot richtig lesen kann. Eine Filmofferte ist eine komplexe Sache, und um es vergleichen zu können, braucht es vertieftes Fachwissen. Wenn man sich darauf beschränkt, das Total zu vergleichen, hat man keinerlei Aufschluss über die Ausführung respektive den Inhalt der Produktionen. Man ist dann der Gefahr ausgeliefert, dass für den Film essenzielle Positionen nicht kalkuliert wurden.

Hätte es nicht fürs gleiche Geld in der Schweiz einfach einen viel schlechteren Spot gegeben?
Nein, definitiv nicht.

Wie geht es den Schweizer Filmproduzenten aktuell?
Der Produktionsstandort Schweiz ist enorm unter Druck, das betrifft die ganze Kreativwirtschaft. Im Moment ist alles im Umbruch, das ist auch für unsere Mitglieder eine grosse Herausforderung. Der Schweizer Auftragsfilm ist kreativer und qualitativ hochstehender denn je. Aber die aus unserer Sicht für den Werkplatz Schweiz gefährlich kurzfristig gedachte Auftragsvergabe an ausländische Produktionen bereitet uns ernsthafte Sorgen.

Was unternehmen Sie als Verband dagegen?
Wir unterstützen unsere Mitglieder mit einem Weiterbildungsangebot auf allen Stufen, um noch effizienter, kreativer und produktiver zu werden. Der hohe Bildungsstand der Schweiz bedeutet in der Auftragsfilmproduktion schon heute, dass es für die gleiche Leistung öfters weniger Leute auf dem Set braucht, als dies im Ausland der Fall ist. Wir Schweizer denken oftmals vernetzter als die Kollegen im Ausland. Wir würden uns wünschen, dass dies in der Schweiz auch die auftraggebenden Stellen tun. Nicht zuletzt auch um Reputationsrisiken auf der eigenen Seite zu minimieren.



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Kommentare

  • Rolf Wolf, 03.03.2017 08:20 Uhr
    Ich habe von einem Migros-Mitarbeiter vernommen, dass die Migros anscheinend sogar die Kokosmilch in Thailand herstellen lässt.
  • Nathi Weber, 02.03.2017 14:50 Uhr
    Ja, schon freie Marktwirtschaft für alle, aber nicht, wenn man gleichzeitig und überall über den Einkaufstourismus schimpft. Die Migrostochter m-way hat ihre (Wordpress!) Website ebenfalls in Köln machen lassen. m-way hat argumentiert, diese hätten das 'überzeugendere Angebot' gemacht, als die Schweizer Agenturen. Am Preis sei es aber nicht gelegen. Da reibt sich natürlich jede Schweizer Web-Agentur die Augen - was kann man denn bei Wordpress im Ausland besser als in der Schweiz?
  • Roland P., 02.03.2017 08:48 Uhr
    Zum Glück leben wir in einem Land in dem die freie Marktwirtschaft gelebt wird. Jedes Unternehmen kann selbst entscheiden, wo sie was zu welchem Geld produzieren lassen. Ob es moralisch vertretbar ist, dass sollte bitte jede Person für sich entscheiden.
  • Roman Widmer, 02.03.2017 00:03 Uhr
    Der Titel «Wasser predigen, Wein trinken» könnte nicht treffender sein. So lässt die Migros mittlerweile viele Artikel (zum Beispiel Geschirr, Besteck etc) in China produzieren. Ebenso Saison-Artikel (zum Beispiel 1. August-Schweizer Fahnen, Weihnachtsschmuck) sind alle Made in China. Und die Bio-Linie Alnatura kommt aus Deutschland. Wieso soll dieser Konzern mit soviel Marktmacht also nicht auch noch seine Werbung in Deutschland produzieren? Kommt wahrscheinlich billiger für die Migros.
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