28.07.2015

Das grosse Geschäft mit der Media

Sie möchten Ihr Geschäftseinkommen versechsfachen? Fragen Sie doch einfach Ihre Mediaagentur. Das Fachmagazin Werbung & Verkaufen hat die dunklen Seiten der Mediaagentur-Geschäfte recherchiert und schonungslos aufgedeckt. Werbeauftraggeber rufen nun panisch ihre Agenturen an, beauftragen unabhängige Experten mit der Überprüfung der Zusammenarbeit, Agenturverbände beschwichtigen, Kundenverbände laufen zur Hochform auf und bei Mediaagentur-Managern liegen die Nerven blank. Selbst der Staat denkt nun über neue einschränkende Gesetze nach. Was ist los?
von Sandro Prezzi

Sie möchten Ihr Geschäftseinkommen versechsfachen? Fragen Sie doch einfach Ihre Mediaagentur. Das Fachmagazin Werbung & Verkaufen hat die dunklen Seiten der Mediaagentur-Geschäfte recherchiert und schonungslos aufgedeckt. Werbeauftraggeber rufen nun panisch ihre Agenturen an, beauftragen unabhängige Experten mit der Überprüfung der Zusammenarbeit, Agenturverbände beschwichtigen, Kundenverbände laufen zur Hochform auf und bei Mediaagentur-Managern liegen die Nerven blank. Selbst der Staat denkt nun über neue einschränkende Gesetze nach. Was ist los?

Die Mediaagenturen haben unter dem Renditedruck, und wohl auch weil es halt so einfach war, ihre Position missbraucht. Statt sich um die beste Mediaplanung und um die Herausforderungen der Kommunikationsplanung zu kümmern, wurden immer neue Wege gesucht, um das Agentureinkommen zu steigern – mit Erfolg. Gemäss den Geschäftsberichten z.B. der GroupM wird in Märkten in denen üblicherweise für ein Durchschnittshonorar von 1.5% gearbeitet wird, aus dem gleichen Buchungsvolumen gut 10% Agentur-Income erwirtschaftet. Wie das geht? W&V hat in einem sechsseitigen Artikel alle gängigen Methoden akribisch zusammengestellt.

Beeindruckend und erschreckend zugleich, wie kreativ die Mediaagenturen doch sein können, wenn es darum geht, ihre Einkünfte zu steigern. Dafür haben sie ihre Rolle als neutrale Berater aufgegeben. Sie lassen sich von den Medien bezahlen und agieren als Vermarkter eigener Produkte. Die Kundenhonorare spielen längst eine untergeordnete Rolle und dienen als Grundlage für weitaus lukrativere Geschäfte. Hierbei werden das Vertrauen und die Budgets der Kunden als Druck- und Durchsetzungsmittel gegenüber Medien und Vermarktern eingesetzt.

Diese Seuche wurde bereits vor Jahren in die Schweiz importiert, wie Mitarbeiter von Schweizer Vermarktern und Medienhäusern hinter vorgehaltener Hand bestätigen. Geheimhaltungsklauseln und der immense Druck der Agenturen verhindern öffentliche Wortmeldungen. Der Rollenwechsel der Mediaagenturen führt auch hierzulande zu schiefen Mediaplänen und Gammelmedia, was zu einem sinkenden Return on Investment führt und Loyalitätsverluste wie auch eine Erosion von Markenwerten begünstigt.

Dabei gibt es wirklich grosse Herausforderungen für smarte Mediaplaner, welche ein gutes Honorar wert sind. Es wird immer schwerer, echte Kontakte zu echten Menschen herzustellen und zwar so, dass die Botschaft wahrgenommen wird und Kommunikation entsteht, die auch wirkt. Das braucht mehr als nur Tools.

Die Digitalisierung hat die Medienwelt auf den Kopf gestellt. Aus Zielgruppen werden Content User und Publisher, Werbekunden mutieren zu Content Providern und Medien entwickeln sich zu Communities. Als ob die Digitalisierung nicht schon genügend Umdenken fordern würde, verändert sich die Art und Weise wie Menschen Medien nutzen – disruptiv und vehement. Lesen ist eben nicht gleich Lesen. Studien der University of Oregon zeigen, dass Printleser signifikant mehr Inhalte und Details wahrnehmen und merken als Nutzer der gleichen Inhalte online. Die Aufmerksamkeit der TV-Zuschauer sinkt dank Second-Screens. Online werden werbliche Inhalte an den Computer, Tablet und Smartphone-Screens nicht besonders gut wahrgenommen und der Klick-Betrug nimmt zu. Obwohl die alten KPIs und Tools die neue Welt nicht abbilden; in den Mediaagenturen herrscht mehrheitlich noch "business as usual".

Die Aufgabe der Mediaplaner ist nicht, die Vermarkter und Medien unter Druck zu setzen und zum eigenen Vorteil gegeneinander auszuspielen. Sie besteht auch nicht darin, den Kunden Medieninventar unterzujubeln, das sie für ihre Kommunikation nicht benötigen und auch nicht alleine darin, die Rendite der Agentur zu steigern.

Die Aufgabe war immer und bleibt die ehrliche und neutrale Beratung der Kunden. Besonders in diesen digitalen Umbruchzeiten, braucht es Media- und Kommunikationsplaner, welche neugierig forschen, kritisch hinterfragen, mutig planen und akribisch umsetzen, kontrollieren und die richtigen Schlüsse ziehen. Die Kunden brauchen neue Strategien, einen angepassten effizienten Media-Mix und Werbeträger, welche helfen, die Marketing- und Kommunikationsziele der anvertrauten Marken zu erreichen.

Die Kunden zählen auf einen vertrauenswürdigen Partner. Wer das nicht begreift und sein Verhalten nicht ändert, ist schon bald überflüssig. Kunden, die nicht nur blind vertrauen wollen, überprüfen jetzt ihre Zusammenarbeit und organisieren bei Bedarf ihren Mediaeinkauf neu, um Missbrauch auszuschliessen.

Sandro Prezzi ist unabhängiger Media-Experte, Dozent, Blogger und Inhaber von Prezzi Media Consulting.

 



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